Das Versagen der Linken im Ausnahmezustand

Manch eine*r mag sagen, dass zur Corona-Pandemie und zum (Nicht-)Umgang von linker Seite aus bereits alles festgehalten wurde, und sicher stimmt das auch, dennoch möchte ich an dieser Stelle einige Punkte zum Versagen der Linken in eben jener Pandemie ansprechen. Warum das Ganze? Einen besonderen Zweck wird es wohl nicht erfüllen, doch wer sieht nicht gerne Tränen und Schimpftiraden von weißen und priviligierten Wohlstandslinken? Die nachfolgende Kritik richtet sich auch an Anarchist*innen — zumindest jene, die sich auch selbst als links betrachten (obwohl das Links-Rechts-Spektrum ein Konstrukt des Systems ist und der Anarchismus eine Zerstörung eben jenes Systems, bzw aller Systeme, beabsichtigt — damit agieren Anarchist*innen außerhalb dieses Spektrums und lassen sich nicht diesem unterordnen, auch wenn Anarchist*innen und Linke durchaus mehrere gemeinsame Nenner haben können).

Dazu, dass die Linke in die Bedeutungslosigkeit versunken ist, wurde bereits von anderen so einiges geschrieben (und das bereits im vergangenen Jahr) und inzwischen dürften alle eingesehen haben, dass dieser Fehler nicht mehr umkehrbar ist. Die Bruchlinien sind bereits gezogen. Wenn es richtig und konsequent ist Tankies und Terfs zu Feind*innen zu erklären, so bleibt für Anarchist*innen nur die Konsequenz sich auch von eben jenen Linken zu trennen, die sich während der Pandemie auf Seite der Autorität gestellt haben und alldiejenigen, die es nicht taten, in die ideologische Nähe von Querdenken gerückt haben.

„Antilinks“, wie es in schlechten Analysen gerne genannt wird, ist kein Argument. Es ist eine notwendige Konsequenz den angesprochenen Linken genau so feindlich gegenüber zu stehen wie auch Rechten. Und diese Feindschaft beruht auf Gegenseitigkeit. Für Menschen, die der Autorität den Krieg erklärt haben, ergibt sich damit die Konsequenz einen Krieg an drei Fronten zu führen: gegen das System, gegen Querdenken, gegen staatstreue Linke. Wenn sich Linke 2020 hinter staatlichen Narrativen gestellt und Zerocovid abgefeiert haben, ist das noch verzeihlich, schließlich war die Situation neu und die Angst vor dem Unbekannten kann zu abstrusen Verhaltensweisen führen, doch wer es heute noch macht ist einfach nur lost. Ein Umdenken findet nicht statt und es ist nur richtig hier von einer priviligierten Wohlstandslinken zu reden, denen das völlige Verständnis dafür fehlt, welche Auswirkungen die Pandemie und die Corona-Politik vor allem auf die Ausgestoßenen der Gesellschaft hat (aber nicht nur).

Endlich Bulle spielen

Es ist kein Geheimnis: Linksautoritären ging während des gesamten Ausnahmezustandes so richtig einer ab, wann immer der Staat eine neue autoritäre und repressive Politik durchsetzte. Kontaktverbote und Lockdown? Fuck yeah, hoffentlich prügeln die Cops den Pöbel von der Parkbank! Impfpflicht? Bitte so schnell wie möglich her damit, körperliche Selbstbestimmung braucht niemand! 2G im autonomen Zentrum? Stabil! Endlich selber Bulle spielen und Ausweise kontrollieren.

Die psychischen Auswirkungen von sozialer Isolation werden ignoriert. Ein weiterer Lockdown wird ebenfalls viele töten. Kontaktverbote, Ausgangssperren, Lockdowns, Impfpflicht, 2G/3G und andere Politiken treffen zudem vor allem Obdachlose, BIPOC, Menschen, deren Zuhause nicht sicher ist, Menschen ohne Papiere, Behinderte und andere Ausgestoßene der Gesellschaft. Menschen, die von der weißen Wohlstandslinken gerne übersehen werden, solange sie nicht gerade für ihre politische Agenda missbraucht werden können.

Linke sind schnell dabei auf Demos gegen die Festung Europa Parolen für Geflüchtete zu skandieren, doch für Geflüchtete und Migrant*innen im Land bleibt kaum Support. Die meisten haben weder Bezug zu migrantischen Communities und „Ghetto-Kids“ noch versuchen sie überhaupt einen solchen Bezug aufzubauen. Hätten sie einen solchen Bezug, wüssten sie, dass die derzeitigen Debatten um eine Impfpflicht besonders diese Menschen treffen wird und es dort viele Ungeimpfte gibt. Zum einen Menschen, die sich impfen lassen würden, jedoch aus Gründen besorgt sind, wie etwa die Angst vor Repression bei fehlenden Dokumenten, zum anderen aber auch weil Staat und Wissenschaft misstraut wird. Für Wohlstandslinke ist es schockierend, dass dieses Misstrauen gegenüber ihrer heiligen Wissenschaft der weißen Vorherrschaft berechtigt ist und „die Wissenschaft“ schon immer ein Werkzeug der Autorität war. Das RKI ist nach einem Kolonialisten benannt und der Kolonialismus und Rassismus in der Wissenschaft gehören längst nicht der Vergangenheit an. Diese uneingeschränkte Liebe zur Wissenschaft und Glorifizierung von Menschen in weißen Kitteln ist ein erhebliches Problem für eine Bewegung, die sich selbst als antiautoritär bezeichnen will.

Auch 2G und 3G bedeuten Repression, wieder vorrangig gegenüber Marginalisierten. Hier ein Beispiel — und das betrifft nur die harmlos erscheinende 3G-Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Was ist nun mit den Impfungen?

Liebe linke Staatsbüttel und falsche Anarchist*innen, die diesen Beitrag hier lesen: wie genau stellt ihr euch eine Impfpflicht überhaupt eigentlich vor? Sind Staat, Polizei und Gefängnisse (eine Konsequenz, wer zB Geldstrafen nicht zahlen kann/will) doch voll cool? Und kommt gar nicht erst mit dem beschissenen Argument „WIR HABEN EINE PANDEMIE!“. Okay cool, und wie sähe es denn aus, wenn der Staat nicht mehr existieren würde oder eine Pandemie staatenlose Gebiete überrollt? Wo es keine Autorität gibt, kann niemand einen Zwang, egal welcher Art, durchsetzen. Müssen dann Hierarchien gebildet werden? Für viele Linke ist es natürlich der Traum. Wie schön wäre es doch nur endlich mal selbst den Stiefel anzuziehen, den man vorher nur lecken durfte! Körperliche Selbstbestimmung ist sowieso völlig überbewertet.

Du heulst rum wegen einer Impfquote von nur 70%? Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es Länder, bei denen die Impfquote erst im einstelligen Bereich liegt. Check your privileges. Aber wieso sollte mensch auch erwarten, dass Wohlstandslinke vermehrt einen Blick in ferne Länder werfen, wenn sie nicht mal im eigenen Land einen Bezug zu den Ausgestoßenen der Gesellschaft aufbauen können und sich deutlich stärker für sie einsetzen als nur vereinzelte halbherzige Aktionen.

An einer Impfpflicht ist nichts solidarisch und eine Solidarität, die erzwungen werden muss, hat diesen Namen auch nicht verdient. Solidarisch wäre es die Länder mit niedriger Impfquote zu berücksichtigen, denn eine Pandemie ist ein fucking globales Unterfangen und lässt sich nicht national beenden. Solange weite Teile der Welt keinen Zugang zu Impfstoffen haben, wird jeder impfnationalistische Versuch schnell untergraben.

Doch auch wenn es erstrebenswert ist eine hohe Impfquote zu erreichen, werde ich Menschen, die eine Impfung ablehnen (und das sind entgegen miserabler Analysen von linker Seite nicht nur Querdenkerdullis), nicht alle als unsolidarisch bezeichnen, wenn ich nicht die Lebensumstände der jeweiligen Personen kenne. Ein paar Ungeimpfte sind auch nicht der Grund für das Fortbestehen des Ausnahmezustandes. Hört auf, euch den leichtesten Gegner zu suchen.

Mach stets das Gegenteil von dem was Faschos machen — Ein Rezept fürs Totalversagen

Es herrscht eine Angst vor diffusen Bewegungen und Linke lassen sich Kämpfe bereitwillig von Rechten nehmen. Es besteht mehr als offensichtlich eine große Angst vor Konflikt und Konfrontation und unter gar keinen Umständen dürfen sich Kämpfe auch nur annähernd ähneln, auch wenn die Hintergründe des Kampfes (sowie die Ziele) unterschiedlicher nicht sein können.

Egal ob Occupy, die Bewegung der Empörten oder die Gilet Jaunes — in allen großen Protestbewegungen versuchen Rechte Fuß zu fassen und können nur dort zurückgedrängt werden, wo sich Menschen auf Konfrontation einlassen. Linke schießen sich selbst ins Aus, wenn Rechten das Feld ohne jede Konfrontation überlassen wird. Genau das ist während der Corona-Pandemie passiert. Und weil es notwendig ist stets das Gegenteil von dem zu machen was Rechte machen, wurden aus nicht wenigen angeblich radikalen Antiautoritären obrigkeitshörige Stiefelleckende. Ein Kampf gegen sowohl das System als auch den Rechten ist zu weit gedacht.

Selbst nach über 1,5 Jahren Pandemie hat sich an der linken Resignation nichts grundlegend geändert. Österreich geht in den nächsten Lockdown und beschließt eine Impfpflicht und von der ach so radikalen Linken ist außer einem leisen Wimmern nichts zu hören. Wenn es in Deutschland oder hier in der Schweiz so weit ist, hört mensch lediglich ein „Das hätte ja niemand kommen sehen!“. Sofern es nicht ohnehin wohlwollend begrüßt wird.

Währenddessen entlädt sich die Wut auch von überwiegend migrantischen Vierteln bei Corona-Riots, aber das sind ja alles nur Nazis.

Auswege aus der Pandemie

Es wird Zeit sich der unschönen Erkenntnis zu stellen, dass es keine bequemen Auswege aus der Pandemie gibt.

Lockdowns und Kontaktverbote reduzieren (kurzfristig) die Infektionen, töten aber auf anderem Wege.

Es gibt Länder mit hoher Impfquote und einem Notstand, aber auch Länder mit geringer Impfquote, die dennoch besser durch die Pandemie kommen. Es ist offensichtlich, dass Impfungen die Pandemie nicht beenden können (was dennoch nicht ausschließt, dass Impfungen schützen — dieser Schutz ist aber individuell und nicht kollektiv).

Der Impfnationalismus durchkreuzt ein Abflachen der pandemischen Lage. Eine Pandemie lässt sich nicht national beenden.

Auch nach der Impfung wird das Virus weiter mutieren. „Lernen mit dem Virus zu leben“ ist vermutlich die bittere Realität. Es braucht Wege das Massensterben so weit möglich zu reduzieren, bis das Virus durch Mutationen deutlich weniger gefährlich worden ist. So endete auch die spanische Grippe. Die Grippeviren dieser Pandemie begleiten uns auch heute noch.

Das Massensterben fand und findet weiterhin vor allem in den Pflegeheimen statt. Viele Menschen im Gesundheitswesen haben während des Ausnahmezustandes ihren Job geschmissen. Trotz der Rufe von linker Seite Menschen in der Pflege und im Gesundheitswesen allgemein zu unterstützen, waren es größtenteils leere Worte. Es gab mehrere Streiks, doch wo war die Linke? Es gab höchstens halbherzige Aktionen, wenn sich überhaupt erst die Mühe gemacht wurde von der Coach aufzustehen. Besondere Aufmerksamkeit haben die Streiks jedenfalls nicht erhalten.

Es ist notwendig Bezug zu migrantischen Communities (und anderen Marginalisierten) aufzubauen. Wie wäre es mal damit, Menschen, zB diejenigen ohne Dokumente, zu helfen sichere Impfangebote zu finden anstatt nur rumzuflennen, dass die Impfquote zu gering ist?

Es sollte auf das Versagen des Staates hingewiesen werden, ohne jemals zu verlangen, dass der Staat es besser macht. Der Staat wird uns nicht schützen. Das war nie seine Absicht.

Es reicht nicht aus auf Demos hübsche Schilder hochzuhalten. Die Komfortzone muss verlassen und sich auf Konflikt und Konfrontation vorbereitet werden. Covid-19 ist erst der Anfang. Wir befinden uns im Zeitalter der Pandemien. Vorherrschende mangelnde und schlechte Analysen verhindern jedoch die Zusammenhänge und Verstrickungen von Pandemien mit anderen Elementen zu erkennen. Wenn wir über Pandemien reden, kommen wir schnell zum Klimawandel und vom Klimawandel zur Industrialisierung und Technologisierung aller Winkel der Erde.

Die vierte industrielle Revolution hat durch die Pandemie einen großen Schub bekommen. Die Umweltzerstörung, wichtige Lebensgrundlage der Pandemie(n), ist untrennbar mit der Industrie und Techno-Herrschaft verbunden. Von anarchistischer Seite gibt es immer mehr gezielte Angriffe gegen Infrastrukturen der technologischen Dystopie, aber priviligierte Wohlstandslinke heulen lieber rum, wenn mal wieder ein Mobilfunkmast abgefackelt wurde. Du findest es scheiße eine Woche kein Netz zu haben? Na dann warte mal ab bis du vom Klimawandel hörst. (Und weil es gerade passend ist: Sorry Solarpunks, euer verfickter grüner Kolonialismus ist auch keine Lösung.)

Direkte Aktion, speziell Öko-Sabotage, ist der einzige Weg zukünftige Pandemien zu verhindern. Warum also nicht mal ein paar Tiere aus ihren Käfigen befreien?

Von autoritätsgläubigen Linken erwarte ich jedoch nichts. Die Bruchlinien sind gezogen und jede*r hat seine Seite gewählt. Nicht alles, was sich selbst als antiautoritär bezeichnet, ist auch tatsächlich ein*e Gefährt*in.

In offener Feindschaft mit jeglicher Autorität und den Menschen, die sie brauchen.