[Nordeuropa] Sápmi: Widerstand gegen den grünen Kolonialismus

Via Gabriel Kuhn / Counterpunch

Am 23. Juni errichtete eine Koalition aus Sámi und Umweltaktivist_innen ein Protestcamp in Nussir, dem geplanten Standort einer gigantischen Kupfermine in Sápmi, der traditionellen Heimat der Sámi, den Indigenen Nordeuropas. Heute wird Sápmi durch die Grenzen von vier Nationalstaaten geteilt: Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Keines dieser Länder führt Volkszählungen durch, und verlässliche Zahlen sind nur schwer zu bekommen. Der Gebrauch der samischen Sprache, die Wähler_innenlisten der samischen Parlamente (es gibt in jedem Land eines) und die Selbstidentifikation sind wichtige Kriterien. Grob kann man von etwa 70.000 Sámi in Norwegen, 20.000 in Schweden, 10.000 in Finnland und etwa 2000 in Russland sprechen. Aus historischen Gründen ist die russische Gemeinschaft am meisten isoliert.

Nussir liegt auf der „norwegischen Seite“ von Sápmi in der Nähe der Stadt Hammerfest. Der Bergbau ist in Sápmi schon seit Jahren ein kontroverses Thema. In Schweden entstand 2013 eine starke Protestbewegung, die sich gegen die Pläne zur Eröffnung einer Eisenerzmine in Gállok wandte. Das Projekt ist zwar noch nicht vom Tisch, aber die Proteste haben die schwedische Regierung dazu veranlasst, das Projekt zu stoppen und eine neue Untersuchung zu versprechen. Dies war ein Teilsieg. Das Gleiche kann über die Proteste in Nussir gesagt werden. Aufgrund des Protestcamps und der Aktivist_innen, die sich an die Maschinen gekettet haben, ist die Arbeit auf der Baustelle bisher unmöglich gewesen. Noch wichtiger ist, dass das Unternehmen, das die Produktion der Mine kaufen sollte, Aurubis, der zweitgrößte Kupferproduzent der Welt, die „Absichtserklärung“ mit Nussir ASA im August 2020 aufgrund von Bedenken hinsichtlich der „sozialen Unternehmensverantwortung“ gekündigt hat. Ob Nussir ASA nach diesem prominenten Rückzug neue Investoren finden kann, bleibt abzuwarten.

Der Bergbau ist nicht das einzige Problem, das die Kontrolle der Sámi über ihr traditionelles Land und ihre Lebensgrundlage, vor allem die Rentierzucht und den Fischfang, bedroht. Windparks werden in einem Gebiet errichtet, das viele immer noch als „unbewohntes Gebiet“ bezeichnen, und die Turbinen machen die Rentierzucht in einem Umkreis von vielen Kilometern unmöglich. Wasserkraftwerke sind bereits über ganz Sápmi verstreut. Das vermeintlich „unbewohnte Gebiet“ wird auch für militärische Übungen, Autotests und zunehmend für Geoengineering-Versuche genutzt. In Finnland würde eine geplante „Arktisbahn“ durch traditionelle Rentierweiden führen. Entlang des Flusses Deatnu, der auf einer Länge von mehr als 250 Kilometern die Grenze zwischen Norwegen und Finnland markiert, begünstigt das Fischereigesetz die Interessen der nicht-sámischen Hüttenbesitzenden gegenüber denen der traditionellen samischen Lachsfischenden. In Schweden bedroht der Kahlschlag des staatlichen Holzunternehmens Sveaskog die Existenz der Waldsámi und ihrer Rentierherden. Die Regierungen Schwedens und Finnlands weigern sich nach wie vor, das Übereinkommen über Indigene und in Stämmen lebende Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) zu unterzeichnen, während die norwegische Regierung die Versprechen des Finnmark-Gesetzes von 2005 nicht einlöst, mit dem das Landeigentum in der Provinz Finnmark formell an die Mehrheit der samischen Bevölkerung übertragen wurde.

Es ist interessant, dass viele der genannten Entwicklungsprojekte mit „grüner Energie“ und „Nachhaltigkeit“ begründet werden. Das geplante Bergwerk in Nussir wird als „das erste vollständig elektrifizierte Bergwerk der Welt mit null CO2-Emissionen“ gepriesen. Wasserkraft und Windkraft werden als nachhaltige Alternativen zu fossilen Brennstoffen gepriesen. Eisenbahnen als umweltfreundliche Transportmittel. Sogar Geoengineering soll, so die Befürwortenden, dazu beitragen, die Zukunft unseres Planeten zu sichern. Die Ironie, dass in Sápmi eine Kultur, die sich seit Jahrtausenden als nachhaltig erwiesen hat, dadurch bedroht wird, scheint an diesen Verfechter_innen des unternehmerischen Umweltschutzes vorbeizugehen.

In Sápmi sprechen die Menschen zunehmend von einem „grünen Kolonialismus“. In einer Rede gegen Bergbauprojekte erklärte Marie Persson Njajta im April 2019: „Wir müssen aufhören, mit umweltverschmutzenden Industrien zu liebäugeln und ihre Folgen und Kosten betrachten. Wir wollen keinen grünen Kolonialismus. Das Land der Sámi darf nicht noch einmal ausgebeutet werden, weder für Windkraft noch für Metalle zur Herstellung von Elektroautos.“


Gabriel Kuhn ist der Autor von Liberating Sápmi: Indigenous Resistance in Europe’s Far North.