Schwarze bewaffnete Freude: Einige Anmerkungen zu einer Schwarzen Theorie der aufständischen Anarchie — Teil 1/2

Ein Beitrag von einer Gruppe Schwarzer Anarchist_innen in den USA, die anonym bleiben wollen. Während aufständische Praxis unter Schwarzen in Amerika zahlreich ist, mangelt es doch sehr an theoretischen Werken. Dieser Essay ist einer der Versuche einer Schwarzen aufständischen Theorie. Deutsche Übersetzung in zwei Teilen.


Dieser Essay ist dem Andenken an unseren revolutionären Ältesten, Theoretiker und Kämpfer Russell Maroon Shoatz gewidmet.

Dieser Essay wurde teilweise von einer unserer Gefährt_innen inspiriert, als wir über das Scheitern der Gewaltlosigkeit als Taktik und Philosophie diskutierten. Sie sagte etwas in der Art: „Ich wurde von Radikalen aus den 1960er und 1970er Jahren aufgezogen. Wenn du ein Panther warst und erwischt wurdest, hast du etwas falsch gemacht.“ Das Zine ist das Ergebnis einer Vielzahl von Gesprächen unter Schwarzen Anarchist_innen in der Zeit nach der George-Floyd-Rebellion, obwohl viele dieser Gedankenstränge schon vorher existierten. Wir haben drei Fragen, die wir in diesem Zine beantworten wollen.

Was würde eine aufständische anarchistische Position bedeuten, die vollständig im Schwarzen Radikalismus und in der Schwarzen Revolte verwurzelt ist? Woran scheitert das derzeitige weiße aufständische anarchistische Milieu? Wie können Schwarze Revolutionär_innen die Insurrektion ausweiten?

Was ist aufständische Anarchie?

Für diejenigen, die damit nicht vertraut sind, bedeutet „Anarchismus“ weder „Chaos“ noch bedeutet „Aufstand“ „sinnlose Zerstörung“. Anarchismus ist das Konzept der sozialen Selbstverwaltung, das sich etymologisch aus dem griechischen Wort „anarkhos“ ableitet und „ohne Herrschaft“ bedeutet. In den Worten des Ältesten Lorenzo Komboa Ervin heißt es daher: „Anarchist_innen sind soziale Revolutionär_innen, die eine staatenlose, klassenlose, freiwillige, kooperative Föderation dezentralisierter Kommunen anstreben, die auf sozialem Eigentum, individueller Freiheit und autonomer Selbstverwaltung des sozialen und ökonomischen Lebens basiert.“ Wenn wir über aufständischen Anarchismus sprechen, sprechen wir über eine Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung, die sich auf den Aufstand als primäre revolutionäre Praxis konzentriert. Aufstand bedeutet das soziale Phänomen der ungebremsten Rebellion, die gewaltsame Umverteilung von Privateigentum, Land und Gerechtigkeit durch die unruhigen Massen. Das Konzept des Angriffs und der ständigen Auseinandersetzung mit den hierarchischen Kräften ist zentral für den aufständischen Anarchismus. Aufständische Anarchist_innen glauben nicht, dass wir einfach mittels „dualer Macht“ oder mit „Wahlen“ Freiheit erlangen können. Die Institutionen, die derzeit den racialen Kapitalismus und alle anderen Herrschaftskräfte aufrechterhalten, müssen zerschlagen werden. Es kann keine Revolution ohne Revolutionär_innen geben, die sich in militanten Aktionen gegen den Staat und das Kapital engagieren müssen. Schließlich schätzen die aufständischen Anarchist_innen die Selbsttätigkeit der Massen als wichtig ein. Ohne die Organisation zu vernachlässigen, verstehen aufständische Anarchist_innen, dass Aufstände als revolutionäres Phänomen sozial und nicht militärisch sind. Die Selbsttätigkeit der Ausgebeuteten und Unterdrückten treibt die Revolution voran, nicht die Aktionen leninistischer Parteien oder sogenannter revolutionärer Gewerkschaften. Die Aufständischen betonen den informellen Charakter der Revolution und der Organisation. Die Revolution zur Zerstörung dieser Welt geschieht von unten nach oben und schließt alle ein oder findet überhaupt nicht statt. Wir definieren hier die Begriffe des aufständischen Anarchismus, bevor wir in unsere Kritik einsteigen, um für Leser_innen, die damit nicht vertraut sind, Klarheit zu schaffen und jegliche Verwirrung zu vermeiden.

Auf dem Weg zu einer Schwarzen aufständischen Anarchie

„Es ist unsere Pflicht, für unsere Freiheit zu kämpfen.
Es ist unsere Pflicht, zu gewinnen.
Wir müssen einander lieben und uns gegenseitig unterstützen.
Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Ketten.“ — Assata Shakur

Der kritische Moment

Es ist unerlässlich, dass wir eine Schwarze, aufständische, anarchistische Position entwickeln. Die Geschichte des Schwarzen Kampfes in diesem Land ist eine Geschichte der Revolte mit allen Mitteln. Es ist eine Geschichte des ständigen Angriffs der Schwarzen Massen gegen die kapitalistischen und kolonialen Mächte, die die Schwarzen versklavt haben. 2020 erinnerte viele von uns an diese Geschichte und dieses Erbe. Trotzdem hoffen viele Schwarze Liberale, die George Floyd Rebellion aus unserem Gedächtnis zu streichen. Viele in der Schwarzen „Linken“ hoffen, dasselbe zu tun, damit sie uns in dieselben 50 Jahre alten Organisationen hineinziehen können, die nichts anderes als symbolische Proteste und nutzlose Konferenzen hervorgebracht haben.

Unsere Geschichte

Noch weiter gehend möchten viele der eher reformistischen und autoritären Enden der Schwarzen Linken die Geschichte der Schwarzen und der Schwarzen Radikalen auf eine rein formale Organisation reduzieren. Obwohl sie Persönlichkeiten wie Assata hochleben lassen, bezeichnen sie jede Art von rebellischer Aktivität der Schwarzen als „zu schnell“ oder „nicht bereit“ oder beschweren sich darüber, dass die Ultralinken ihre Pläne für die Revolution „ruinieren“, trotz der rebellischen Aktionen der Schwarzen Jugend im Sommer 2020. Sie wollen nicht, dass Schwarze die Taktiken der Black Liberation Army studieren. Sie wollen Kuwasi Balagoon und sein rebellisches Verhalten auslöschen. Sie wollen auslöschen, wie Assata Shakur befreit wurde. Sie wollen den Generalstreik der Sklav_innen auslöschen. Sie wollen die Maroons ignorieren. Sie wollen nur, dass wir uns an ihren reformistischen Kampagnen für „Defund the Police“ oder „Community Control of the Police“ beteiligen. Der*die Schwarze Aufständische muss diese Positionen zurückweisen.

Der kommende Aufstand

Wir suchen die unvermittelte und kompromisslose Auseinandersetzung mit Staat und Kapital. Es ist überdeutlich, dass die Schwarzen Massen im letzten Sommer bewiesen haben, dass sie nicht an „Defund“ oder „Community Control“ interessiert sind, sondern sich stattdessen dafür entschieden haben, Polizist_innen zu bekämpfen und Geschäfte zu plündern. Wir lehnen Gewaltlosigkeit und Kompromisse ab. Um es mit den Worten unseren Ältesten George Jackson zu sagen: „Wir müssen die Möglichkeit akzeptieren, die USA in die Knie zu zwingen; wir müssen akzeptieren, dass kritische Teile der Stadt mit Stacheldraht abgesperrt werden, dass gepanzerte Schweinetransporter durch die Straßen fahren, dass Soldat_innen überall sind, dass Maschinenpistolen auf Bauchhöhe gerichtet sind, dass sich schwarzer Rauch gegen den Tageshimmel abhebt, dass es nach Kordit riecht, dass Häuser durchsucht werden, dass Türen eingetreten werden, dass der Tod alltäglich ist.“ Wir alle haben gesehen, wie das Dritte Revier in Minneapolis in Schutt und Asche gelegt wurde. Wir lehnen „taktische“ Festnahmen ab. Wir lehnen symbolische Proteste und Demonstrationen ab, die immer wieder zu mehr Polizeigewalt führen, ohne dass es eine „Gegenleistung“ gibt. Wir teilen die grundlegende Überzeugung, dass der*die Schwarze Aufständische versuchen sollte, alle Unterdrückungssysteme zu zerschlagen, selbst innerhalb der so genannten „radikalen“ Organisationen und Szenen. Anarchie zu leben bedeutet, nach Prinzipien zu leben. Nach Prinzipien zu leben bedeutet, dass wir die Systeme in dieser Welt in diesem Moment (so gut wir können) auflösen.

Die Wichtigkeit des Angriffs

Obwohl es einige Formationen wie die Salish Sea Black Autonomists gibt, die Schwarzen Radikalismus und aufständische Anarchie miteinander verbunden haben, halten wir es für wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, wie zentral Angriff und Konfliktualität für jede ernsthafte Schwarze anarchistische Politik sind, die sich mit revolutionärem Wandel beschäftigt. Mit dem Wiederaufleben des Interesses an Schwarzen anarchischen Formen des Radikalismus durch die Arbeiten von William C. Anderson, Zoe Samudzi, den Anarkatas und Lorenzo Kom’boa Ervin halten wir es für wichtig, dass Schwarze Anarchist_innen nicht in die Falle tappen, zu glauben, dass nur die Präfiguration für die Revolution ausreicht. Wir müssen die weiße Machtstruktur mit allen notwendigen Mitteln physisch angreifen. Der Aufbau von Kooperativen in Schwarzem Besitz reicht nicht aus. Wir glauben zwar, dass die Arbeit der Menschen in der Cooperation Jackson wichtig ist, aber es reicht nicht aus, einfach Kooperative zu bauen, um aus dem Kapitalismus „auszusteigen“, wenn die Realität ist, dass der Staat diese „Kommunen“ leicht durch Gesetze oder einfach durch schiere Gewalt unterdrücken könnte. Es gibt keinen Ausweg aus diesem Alptraum des Kapitals, außer durch unerbittlichen Angriff, Kampf, Erfahrung und Selbstwahrnehmung.

Über so genannte „Gegenseitige Hilfe“

Wir finden, dass das Wiederaufleben der „gegenseitigen Hilfe“ als Praxis für uns wichtig ist, um sie zu kritisieren. Vieles, was als „gegenseitige Hilfe“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit nur Umverteilungsarbeit mit einem radikalen Etikett. Wir sind zwar nicht prinzipiell gegen diese Art von Arbeit, da sie dazu beiträgt, Beziehungen zwischen Revolutionär_innen aufzubauen, aber das Problem ist, dass wirkliche gegenseitige Hilfe als Konzept eher in Schwarzen queeren Gemeinschaften zu finden ist, die GoFundMes für einander machen, als in radikalen Organisationen, die etwas tun, was auf linke Wohltätigkeit hinausläuft. Wir sind der Meinung, wenn der Akt der gegenseitigen Hilfe nicht zur Entwicklung einer revolutionären Subsistenzwirtschaft beiträgt, dann ist es keine „gegenseitige Hilfe“, die die Gesellschaft einbezieht, und muss kritisiert werden. Leider ist die meiste „gegenseitige Hilfe“, die heute geleistet wird, nicht auf Gegenseitigkeit angelegt. Mehr noch, sie stellt sich nicht gegen die Macht. Wir glauben, dass die Gegenseitigkeit der gegenseitigen Hilfe entscheidend ist und auch ein aufrührerisches Element darstellt. Zum Beispiel haben viele Linke die massenhaften Plünderungen im Jahr 2020 als Aktionen von Kriminellen oder als „unpolitisch“ abgetan, während in Wirklichkeit die Befreiung von Ressourcen und Waren durch Schwarze von den Konzernen weitaus revolutionärer ist als ein Großteil der „Organisierung“ durch linke oder abolitionistische Formationen in diesem Land. Die Enteignung von den Kapitalist_innen wird die Grundlage für unsere Subsistenzwirtschaft schaffen. Wir müssen an die revolutionäre Tapferkeit und Solidarität denken, die diese Taten inspiriert haben, wenn wir in Zukunft auf militante Eigentums- und Kapitalenteignungen sowie Landrückforderungen blicken. Wir sollten uns mehr an solchen Beispielen gegenseitiger Hilfe orientieren als an einem eher von Wohltätigkeitsorganisationen getragenen Modell. Unsere Kritik an der gegenseitigen Hilfe ist ähnlich wie die Kritik an der „dualen Macht“ oder der „Solidarwirtschaft“. Gegenseitige Hilfe allein reicht nicht aus, um das Kapital zu bekämpfen und zu zerstören. Wir können nicht einfach aus dem Kapitalismus „aussteigen“. Die Schwarzen Kommunen müssen aus dem Schwarzen Aufstand hervorgehen, wie wir von unserem Ältesten Lorenzo Kom’boa Ervin lernen.

Gegen die weiße Insurrektion

Wir widmen diesen Abschnitt dem Gedenken an Antonio Mays Jr., der von einem weißen Linken in der sogenannten CHAZ ermordet wurde. Wir widmen diesen Abschnitt auch Michael Reinhoel, Eric G. King und David Gilbert. Wir ermutigen weiße Revolutionär_innen in Amerika, euren revolutionären Beispielen zu folgen. Wenn eine Revolution realisiert werden soll, muss weniger geredet und mehr gehandelt werden.

Aus unserer Sicht sind die aufständischen anarchistischen Milieus in den Vereinigten Staaten in ihrer Zusammensetzung und Analyse überwiegend weiß. Ihre raciale Analyse erkennt die aufständischen Fähigkeiten der Schwarzen Massen nicht wirklich an, und ihre Versuche, dies zu tun, sind oft fetischisierend. Die meisten aufständischen anarchistischen Analysen und Theorien konzentrieren sich auf Europa als Hauptbeispiel für die Revolte. Wenn sich die aufständischen Milieus wie die weißen Jungs von Ill Will auf die Schwarze Revolte konzentrieren, spielen sie die raciale Dynamik der Riots herunter, indem sie alles als „multi-racial“ bezeichnen. Ohne ein angemessenes Verständnis der Erfahrung, Schwarz zu sein, kann es kein Verständnis dafür geben, wie die Schwarze Revolte über ihr Anfangsstadium hinaus gefördert werden kann. Es ist unnötig zu sagen, dass diese Erfahrung und Führung von denjenigen gemacht werden muss, die an den Rändern des racialen Kapitalismus leben: Frauen, trans Menschen, Lesben, Schwule und andere sexuell und racial unterdrückte Gruppen. Darüber hinaus verstehen wir den jugendlichen Charakter des Aufstands, da die jungen Menschen, die in unseren Städten leben, in der Anfangsphase unserer Revolution am meisten zu gewinnen haben. Während der Charakter der George Floyd Rebellion 2020 nicht auf die Teilnahme von Schwarzen beschränkt war, sind die weißen Aufständischen, die versuchen, die Schwarze Revolte zu universalisieren, die „All Lives Matter“-Typen der anarchistischen Bewegung.

Wir riskieren mit diesem Essay, beschuldigt zu werden, den Mythos der „weißen Agitator_innen von außen“ aufrechtzuerhalten, aber die Realität ist, dass Whiteness und Anti-Blackness auch während und nach einem Riot fortbestehen. Es ist antimaterialistisch, diese Realitäten zu ignorieren, indem man suggeriert, dass, sobald wir alle auf der Straße sind, alle unsere Aktionen in den Augen des Staates gleich sind. Diese weißen Aufständischen können nicht begreifen, wie ihre eigene Whiteness innerhalb und jenseits eines Riots weiter existiert, und glauben stattdessen, dass Race auf magische Weise überwunden wird, wenn sie ein Fenster einschlagen. Weiße Aufständische versäumen es, sich mit der langen Geschichte Schwarzer Aufstände in diesem Land auseinanderzusetzen, indem sie versuchen, Strategien und Taktiken aus anderen Revolten hier in die Vereinigten Staaten zu importieren…bitte haltet die Klappe über Frankreich. Das soll nicht heißen, dass es keine Elemente des Kampfes in Orten wie Palästina und Rojava oder in mittel- und südamerikanischen Kämpfen gegen den Staat und die Polizei gibt. Unsere Unterdrückung ist in Form und Struktur ähnlich, und so werden auch unsere Methoden des Widerstands ähnlich sein. Allerdings glauben wir, dass weiße Aufständische uns sehr wenig über unseren Kampf beibringen können. Die Angst und die Kritik an Waffen auf Demonstrationen, die im letzten Sommer in einer Reihe von „anarchistischen“ Publikationen und Berichten auftauchte, spricht zum Beispiel dafür. Der bewaffnete Kampf war schon immer ein Teil der Schwarzen aufständischen Bewegung. Außerdem macht es absolut keinen Sinn, gegen staatliche und faschistische Gewalt mit geringeren Gewaltmitteln als ihren eigenen zu kämpfen.

Erinnern wir uns daran, dass Amerika über die größte Menge an Waffen verfügt, die den Bürger_innen in der „entwickelten“ Welt zur Verfügung stehen. In der Tat ist der bewaffnete Kampf ein zentraler Bestandteil der Gründungsdokumente und der kulturellen Entwicklung dieses Landes. Wir planen, jedes Element von Amerikas Schöpfung zu nutzen, um es zu zerstören. Warum wird nicht gefragt, warum George Washington, Lincoln, sogar Stalin, Mao und die weißen Anarchist_innen auf der ganzen Welt den bewaffneten Kampf einsetz(t)en? Es gibt keine Veränderungen der Macht oder der Herrschaft, außer mit Gewalt. Intuitiv sind wir uns der Existenz und der „Weltuntergangsvorbereitungen“ der rechtsextremen Milizen und faschistischen Zellen bewusst, die unsere Auslöschung vorantreiben wollen. Wir sind uns auch der Unterwanderung unserer sogenannten Bundes-, Landes- und lokalen Strafverfolgungsbehörden und des nationalen Militärs durch diese faschistischen Akzelerationist_innen bewusst. Deshalb werden wir den Krieg gegen die weiße Vorherrschaft an allen Fronten führen. Die weiße Linke mag glauben, dass wir entweder Todessehnsucht haben oder dass unser Leben entbehrlich ist, und wir sind entschlossen, das Gegenteil zu beweisen.

Das Händeringen weißer Anarchist_innen über „symmetrische Kriegsführung“ oder „horizontale Gewalt“ spiegelt ein — vielleicht absichtliches — Missverständnis der Geschichte und der Macht in diesem Land wider. Dieses Land hat bereits einen Bürgerkrieg hinter sich, dessen Überreste die Grundlage für den derzeitigen kulturellen Krieg bilden. Die Rebellionen von 2020 haben die historischen Vorbehalte weißer Anarchist_innen gegenüber den Methoden der Schwarzen Aufständischen wieder aufleben lassen, nämlich den Einsatz von Schusswaffen bei Protesten/direkten Aktionen. Wir empfehlen ihnen, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um über die Realität nachzudenken, dass Schwarze in den Vereinigten Staaten gezwungen waren und weiterhin gezwungen sein werden, sich gegen Weiße zu stellen, die weiterhin als Vertretende des Staates agieren. Wir werden es unseren Vorfahren gleichtun und alle verfügbaren Mittel einsetzen, um diese Menschen zu bekämpfen, ungeachtet der Angst einiger weißer Anarchist_innen vor Waffen. Idris Robinson spricht diese weiße Angst in seinem offenen Brief an Michal Reinoehl (erschoss und tötete einen Faschisten in Portland) direkt an:

„Was die Doppelmoral in Bezug auf deine Situation offenbart, ist, dass Gewalt in Amerika zwangsläufig immer eine zutiefst raciale Dimension haben wird. Und genau das — der erschreckende Kern rassifizierter Gewalt — versuchen sie zu verdrängen, wenn sie sich selbst und andere belügen, wenn sie sagen, dass ihr Problem mit dem, was du getan hast, eine Frage der Strategie oder Taktik ist. Ich meine, macht mal halblang: In einem Land, das buchstäblich von Gewalt gesättigt ist, von Massenschützen bis hin zu mörderischen Bullen, kann niemand ernsthaft behaupten, dass die wenigen Schüsse, die du abgegeben hast, in irgendeiner Weise als Eskalation missverstanden werden könnten. Es gibt einfach keine Möglichkeit, die Spirale der Gewalt zu vermeiden, die in dem Moment begann, als die ersten Holzschiffe die Küsten des Atlantiks erreichten.“

Die weiße Linke muss in der heutigen Zeit nicht nur bereit sein, sich damit abzufinden, dass einige ihrer eigenen Familienmitglieder, so genannten Freund_innen und Idole mit revolutionärer Gewalt niedergemacht werden müssen, wenn sie als gewalttätige Staatsvertretende, Faschist_innen oder Rassist_innen auftreten. Diejenigen, die unseren Kampf nicht verstehen, mögen diese Position als „Abenteurertum“ ansehen, aber es ist nur Vernunft, rassifizierte Gewalt mit einer vereinten Front der Gegengewalt zu entschärfen, die die psychologischen und sozialen racialen Grenzen des Siedlerkolonialismus in späteren Phasen des bewaffneten Konflikts überschreitet. Mit anderen Worten, wir wollen den bewaffneten Konflikt zwischen den Völkern Nordamerikas gegen den Staat, gegen alle Staaten generalisieren, bis die hegemoniale Maschinerie und die Produktionsstätten für den herrschenden Klassenkonsumismus in Schutt und Asche gelegt sind.

Greg Jackson kritisiert die weiße Linke in seinem Werk „Authoritarian Leftists: Kill the Cop in Your Head“, dass in der Welt der Anti-Blackness die Whiteness für Recht und Ordnung steht und Weiße vom Staat deputiert (zu Cops gemacht) werden, was bedeutet, dass ihre Handlungen ein Ergebnis des „natürlichen Laufs der Dinge“ sind. Von Weißen geführte Kommunen und autonome Zonen wiederholen die Handlungen des Staates in einem kleineren Maßstab. Das ist es, worauf Jackson in seinem Essay anspielt, echte weiße „Genoss_innen“ wissen, dass die Bedeutung der Schwarzen Autonomie darin besteht, den Cop in deinem Kopf zu töten. Daher werden wir gegen die von Weißen geführten „autonomen Zonen“ kämpfen, da sie den Staat und die Anti-Blackness wiederholen, wie es sich 2020 nach der George Floyd Rebellion zeigte, als in der autonomen Zone namens CHAZ zwei Schwarze Jungen erschossen wurden und einer dabei starb. Das ist überhaupt kein Aufstand. Aufstände erfordern tiefe Netzwerke der Fürsorge und Liebe, sonst sterben sie aus, bevor sie sich zu einer revolutionären Bewegung entwickeln können. Diese von Weißen geführten anti-Schwarzen autonomen Zonen müssen mit der gleichen Heftigkeit angegriffen werden, mit der wir die Bullen und die weißen Milizen angreifen. Es versteht sich von selbst, dass weiße Linke, die Schwarze töten und die weiße Vorherrschaft in vermeintlich befreiten Räumen wieder einführen, unsere Feind_innen sind.

Vermeintliche Schwarze Anarchist_innen oder Linke, die die gewalttätigen und anti-Schwarzen Tendenzen der weißen Linken decken, müssen ebenfalls als Feind_innen betrachtet werden. Tokenismus existiert in anarchistischen Räumen. Wir sind es leid, dass weiße Leute behaupten, ihre Gruppen seien multi-racial und unproblematisch, weil sie einen einzigen Schwarzen Alibi-Anarchisten haben. Es ist seltsam, dass Anarchist_innen und die Linke im weiteren Sinne Tokenismus weniger gut zu verstehen scheinen als Liberale, obwohl dies für das Scheitern jeglicher Art von politischer Orientierung von weißen Anarchist_innen in Bezug auf Race spricht. Es ist klar, dass der Anarchismus eher als eine Szene denn als eine revolutionäre Bewegung existiert, wenn es mehrere mehrheitlich weiße „anarchistische“ Projekte in mehrheitlich Schwarzen oder POC Städten gibt. Außerdem bedeutet die Veröffentlichung eines Schwarzen anarchistischen Buches oder die Teilnahme einer Schwarzen anarchististischen Person an einem Projekt nicht, dass das anarchistische Projekt nicht kolonial ist. Wenn du eine Schwarze anarchistische Person bist, die weißen anarchistischen Unsinn deckt, solltest du damit aufhören. Es ist uns egal, ob diese Leute deine „Freund_innen“ sind. Wenn sie die weiße Vorherrschaft auf Schwarze wiederauferlegen, selbst als „Anarchist_innen“, sind sie Feind_innen.

Die weiße Linke muss zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit kollektiv das Wohlergehen des Rests der Welt über ihren eigenen kulturellen Rassismus und ihre Privilegien stellen. Es ist die Aufgabe aller anderen unterdrückten Gruppen im ganzen Land, dafür zu sorgen, dass sie keine andere Wahl haben, als in unserem Interesse zu handeln. Wir sind nicht unsere Ältesten. Wir haben weder die Zeit noch die Geduld, darauf zu warten, dass die weiße Linke die moralische Fähigkeit erlangt, wahre Revolutionär_innen zu werden, während wir wie Hunde auf der Straße abgeschlachtet werden. Entweder ihr helft der Revolution als Gefährt_innen oder wir werden euch als Feind_innen angreifen, bis ihr es tut.

Im zweiten Teil geht es weiter mit:
Was sollte also getan werden?
Die Aussicht auf revolutionäre Gewalt
Schlussfolgerungen