Die Regierung ist niemals inkompetent: Die Macht in der Pandemie

Via It’s Going Down

Einleitung von IGD Worldwide: Seit Beginn der Pandemie waren Anarchist_innen nicht überrascht, dass die Nationalstaaten auf der ganzen Welt opportunistisch nach der Macht griffen. Die Regierungen haben die Pandemie als Gelegenheit genutzt, die soziale Kontrolle zu vertiefen. Der Staat zeigte seine Sterblichkeit und machte das wahre Elend des Kapitalismus für viele deutlich; die globalen Märkte kamen zum Stillstand und die Regierungen bemühten sich, so zu tun, als hätten sie einen Plan. Gleichzeitig ist es nicht verwunderlich, dass viele Regierungen dies als Chance sahen, ihre Macht weiter zu festigen, denn das beispiellose Virus löste in der gesamten Menschheit Angst aus.

Israel und Russland setzten unter dem Deckmantel der Kontaktverfolgung Überwachungstechnologien und Cyber-Polizei ein. Brasilien griff indigene Gemeinschaften an, indem es das Virus in Gemeinschaften mit weniger Zugang zu medizinischer Versorgung verbreitete und Gesetze zur Landnahme erließ, die es Bauunternehmen erlaubten, den Amazonas zu zerstören. Thailand fand eine Gelegenheit, das „Jugendbeben“ — Student_innen- und Volksproteste gegen die Junta und die Monarchie — durch die Illegalisierung von Versammlungen und die Unterdrückung des Informationsaustauschs zu unterdrücken; unter dem Vorwand, „Fake News“ über das Coronavirus zu unterdrücken, wurden alle Stimmen zum Schweigen gebracht, die den Status quo in Frage stellten. Griechenland reagierte auf die Pandemie, indem es die Ressourcen von den Krankenhäusern abzog und stattdessen den Polizei- und Militärhaushalt aufstockte und auf eine medizinische Krise mit einem neuen autoritären Experiment reagierte. Der griechische Staat verabschiedete außerdem in Windeseile beispiellose arbeits- und versammlungsfeindliche Gesetze, während die Menschen Angst hatten, ihre Häuser zu verlassen.

Anarchist_innen sind gezwungen, das Verhalten des Staates und die Sicherheit der Schwächsten der Gesellschaft während der Pandemie in ausgewogener Weise zu analysieren.

Wir weigern uns, staatliche Anordnungen zu akzeptieren, wie es das liberale Establishment in Europa und Nordamerika tut, aber wir müssen uns auch dagegen wehren, dass die immer stärker werdende Rechte die Pandemie nutzt, um todeskultische, antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten, während sie gleichzeitig die Kämpfe der unverhältnismäßig stark betroffenen armen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen abtut, wenn es um das Virus geht. Faschist_innen und religiöse Fundamentalist_innen auf der ganzen Welt haben plötzlich ein Interesse an individueller Freiheit erklärt, wenn es um Impfstoffe und Maskenmandate geht, ignorieren aber weiterhin den passiven Genozid, die Unterdrückung und die Repression von ausgegrenzten und ausgebeuteten Gruppen auf der ganzen Welt durch Kapitalismus und Staat.

Die falsche Akzeptanz staatlicher Mandate erfordert ein Vertrauen in den Staat, das kein_e Anarchist_in jemals in Betracht ziehen sollte, während die falschen Aufstände der Rechten gegen staatliche Mandate zur Kontrolle der Pandemie jeder echten befreienden Analyse entbehren.

Diese Balance zu finden und dieses Thema zu diskutieren, ist etwas, das wir in unseren Veröffentlichungen und Texten weiter erforschen wollen. Wir freuen uns, diesen Originalbeitrag von Simoun Magsalin, einem philippinischen Anarchisten, zu veröffentlichen, in dem er die Dynamik des staatlichen Vorgehens gegen die Pandemie unter dem „starken“ Diktator Rodrigo Duterte diskutiert.

Die Zahl der durch das Coronavirus verursachten Todesfälle auf den Philippinen liegt derzeit bei etwas über 41.000. In einem Land mit einigen der am dichtesten besiedelten Städte der Welt ist diese Zahl jedoch wahrscheinlich viel höher als vom Duterte-Regime angegeben.

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Ein bestimmtes Narrativ legt nahe, dass Rodrigo Duterte, der amtierende Präsident der Philippinen, im Umgang mit der Covid-19-Pandemie inkompetent ist.

Die Idee stammt aus dem überwältigenden Versagen des Landes bei der Eindämmung der SARS-CoV-2-Übertragungen. Jeden Tag werden weiterhin Tausende infiziert. Die Philippinen befinden sich nach wie vor im längsten Lockdown der Welt, während in anderen Ländern bereits eine gewisse Rückkehr zur Normalität herrscht. Die Regierung Dutertes hat auch bei der Einführung des Impfstoffs gepfuscht und die Massenimpfungen später als andere Länder durchgeführt.

Sind Duterte und seine Regierung inkompetent? Eine Regierung als inkompetent zu bezeichnen, deutet darauf hin, dass sie die Absicht hatte, die Pandemie zu managen und abzuschwächen, es aber nicht getan hat. Im Gegenteil, ich behaupte, dass Duterte und seine Regierung keine solche Absicht hatten und immer noch haben.

Die allererste Handlung der Regierung Dutertes inmitten der Pandemie war die Mobilisierung von Polizei und Militär. Einige Kommentator_innen (darunter auch ich) stellten sogar fest, dass die Mobilisierung der Polizei im Jahr 2020 zu einer Quarantäne mit den Merkmalen des Kriegsrechts führte.

Inmitten der Welle des Todes und der Verwüstungen müssen wir verstehen, dass das Versäumnis der Regierung, eine vernünftige Pandemiepolitik zu betreiben, nicht auf Inkompetenz zurückzuführen ist, sondern auf eine bewusste politische Entscheidung. Jede politische Entscheidung der Regierung Dutertes war darauf ausgerichtet, eine bewaffnete Herrschaft aufzubauen und zu festigen. Jede Mobilisierung von Cops, jede Verschuldung des Staates, jeder Verzicht auf Massentests und eine einheitliche Kontaktverfolgung war eine bewusste politische Entscheidung. Das ist keine Inkompetenz; was wir sahen, waren Bestandteile eines vorsätzlichen Plans zur Ausweitung der staatlichen Macht als bewaffnete Herrschaft unter dem Vorwand der Pandemie. Weil der Staat sich so sehr auf die Ausweitung der Polizeimacht konzentrierte, sahen wir, wie die Polizei selbst das Virus verbreitete, wie im März 2021, als der damalige Polizeigeneraldirektor Debold Sinas sich nicht untersuchen ließ, bevor er nach Oriental Mindoro reiste, wo er positiv auf Covid-19 getestet wurde.

Wie können wir sicher sein, dass es sich nicht um Inkompetenz, sondern um bewusste politische Entscheidungen handelt? Um das zu sagen, müssen wir die Staatsgewalt hinterfragen.

Staatliche Macht ist eine bestimmte Form der Organisation, die sich aus bestimmten historischen Umständen heraus entwickelt hat. Zwar gab es schon in der Antike einige Formen von Staaten, aber moderne Staaten sind sehr junge Konstruktionen, die nur auf wenige hundert Jahre zurückgehen. Vormoderne Staaten hatten nicht die Macht und Handlungsfähigkeit, die für moderne Staaten charakteristisch sind. Das Wort eines Königs mag zwar Gesetz gewesen sein, aber draußen an den Grenzen und in den Provinzen, fernab von Burgen und Städten, bedeutete dieses Gesetz sehr wenig. In einigen Bauerndörfern im mittelalterlichen Europa herrschten manchmal die dörflichen Bräuche über die Krone. Aber im Vergleich zu den vormodernen Staaten ist die Macht der modernen Staaten totalisierend; der moderne Staat hat Macht in JEDEM Bereich unseres Lebens, wie zum Beispiel im Schlafzimmer. Aber woher kommt diese Macht?

Der Mangel an Macht, den wir unter dem Staat über unser eigenes Leben haben, ist umgekehrt proportional zu der Macht, die der Staat über uns hat. Das heißt: Unser Mangel an Macht hängt damit zusammen, dass der Staat zu viel Macht hat.

Ein Beispiel: Warum können unsere angesehensten Mediziner_innen keinen Ausschuss bilden, der die medizinischen Ressourcen des Landes verwaltet und leitet? Warum müssen wir darauf warten, dass der Staat dies organisiert? Wir tun dies, weil der Staat die Macht hat, bestimmte Aktionen und Organisationen zu legitimieren oder zu delegitimieren. Medizinische Fachkräfte können sich nicht zusammentun, weil der Staat die Macht an sich gerissen hat, zu erklären, was legitim oder illegitim ist, und er seine eigene behördenübergreifende Task Force als legitim ansieht, während er andere Expert_innen delegitimiert. Wir können nicht für uns selbst handeln, weil der Staat unsere Handlungsfähigkeit an sich gerissen hat — unsere Macht zu handeln.

Was hat das nun mit der Frage nach Dutertes Inkompetenz zu tun? Wir können die politischen Maßnahmen von Duterte und seiner Regierung nicht als inkompetent bezeichnen, weil wir wissen, dass Duterte und seine Kumpane die Macht haben, die Pandemie zu kontrollieren, einzudämmen und sogar zu stoppen. Der Staat, verkörpert durch die Regierung Dutertes, kann diese Pandemie stoppen, wenn er es will — er tut es aber nicht, weil seine eigentliche Absicht die bewaffnete Herrschaft und die Ausweitung der Staatsmacht ist, um einer bereits immobilisierten, desorientierten und verzweifelten Zivilgesellschaft noch mehr Macht zu entreißen und zu nehmen.

Der Staat ist kein Club voll „Armleuchtern“, sondern eine bewusste Institution, die Macht hortet, so wie der Kapitalist Reichtum hortet. Wenn der Staat sich dafür entscheidet, etwas nicht zu tun, dann ist das immer seine Entscheidung, eine Untätigkeit, die von der Macht angetrieben wird, die er uns entrissen hat.

Was wir heute erleben, ist keine Inkompetenz, sondern die Entscheidung, Tausende sterben und Millionen leiden zu lassen. Stattdessen sehen wir ein hohes Maß an Kompetenz beim Aufbau immer größerer polizeilicher Befugnisse und der Festigung der bewaffneten Herrschaft.

Schau dir die Aktionen der Duterte-Regierung an. Wer war für die Quarantäne zuständig? Speichelleckende und Militärs. Wer wurde zuerst geimpft? Die Cops, die Duterte bewachen. Welche Kräfte wurden zuerst mobilisiert und welche nicht? Wir können die Gewalt der Polizeiarbeit jeden Tag sehen, wenn sogenannte „Quarantäneverletzende“ selbst verletzt und Aktivist_innen ermordet werden, während sie durch die Pandemie ruhiggestellt werden, während bewährte Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit wie Massentests immer noch nicht umgesetzt werden. Es wurde so viel Geld geliehen und gedruckt, aber ist es auch in Unterstützung oder Impfstoffe geflossen? Nein, und das wirft die Frage auf: Wohin fließt es eigentlich? Diese Entscheidungen sind bewusste politische Entscheidungen und deuten auf eine Kompetenz hin, die auf etwas anderes ausgerichtet ist als auf Pandemiebekämpfung: die bewaffnete Herrschaft.

Was können wir also gegen eine solche böswillige Kompetenz tun?

Gegen die Macht über uns müssen wir stattdessen eine andere Art von Macht aufbauen: „Macht mit“. Macht mit anderen ist etwas anderes als Macht über andere. Wenn du mit jemandem Macht hast, schmälert die Macht des einen nicht die Macht des anderen. Stattdessen ergänzen sich unsere Kräfte gegenseitig und sind zusammen mehr als die Summe ihrer Teile. Macht kann nicht von dieser oder jener Partei an sich gerissen werden, sie kann nur durch Solidarität aufgebaut werden.

Aktionen wie die Einrichtung von Gemeinschaftsspeichern und -küchen, um Bedürftige mit Lebensmitteln zu versorgen, sind Beispiele für „Macht mit“. Der Staat ist gegen solche Macht, weil sie unsere kollektive Abhängigkeit von der Macht des Staates untergräbt. Diese Feindseligkeit wurde uns allen letztes Jahr vor Augen geführt, als der Staat Gemeinschaftsküchen aus absurden Gründen zwangsweise schloss. Wir haben das wieder erlebt, als bewaffnete Gangster die Organisator_innen der Gemeinschaftsküchen schikanierten. Solche Aktionen zeigen dem Staat, dass wir unsere eigene Macht haben, die er nicht stehlen kann, und der Staat weiß das und mag es nicht.

Andere Aktionen, mit denen du „Macht mit“ aufbauen kannst, sind Gespräche mit deinen Nachbar_innen, um Gemeinschaftsgärten, Küchen, Journalismus, Kliniken, Selbstverteidigungskurse und Workshops zu gründen. Schau dir an, was du hast und frag deine Nachbar_innen, welche Ressourcen wir gemeinsam nutzen können. „Macht mit“ kann auch dadurch entstehen, dass du mit deinen Kolleg_innen sprichst und eure Anstrengungen bündelst, um mit oder ohne Gewerkschaft als Streikkomitee für bessere Löhne oder Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Wir müssen die Abhängigkeit voneinander aufbauen und unsere Abhängigkeit vom Staat verringern.

Wir müssen uns aber auch vor falschen Kritiker_innen der bestehenden Ordnung hüten. Es gibt auf allen Seiten diejenigen, die die Macht des Staates mit ihrer eigenen Macht, mit ihren eigenen Hierarchien und ihren eigenen Usurpationen herausfordern. Diese falschen Kritiker_innen sind nicht gegen die bestehende Ordnung mit Polizei, Gefängnissen oder prekären Arbeitsbedingungen; sie wollen einfach nur das Sagen haben. Die falschen Kritiker_innen lehnen diese bewaffnete Herrschaft einfach deshalb ab, weil sie ihre eigene haben wollen.

Duterte und seinesgleichen sind nicht inkompetent, und das macht es noch schlimmer! Es wird immer deutlicher, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass der Staat uns rettet; der Staat sorgt sich nur um seine eigene Macht. Gegen die Macht, die diese militarisierte Quarantäne über uns ausübt, können wir vielleicht miteinander Macht finden. Vielleicht können wir gegen die bösartige Macht der gegenwärtigen Ordnung eine Macht unter uns und miteinander finden.