Lorenzo Kom’boa Ervin: Woran ich glaube

Der nachfolgende Beitrag ist eines von 85 Artikeln aus dem Buch Schwarze Saat – Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus.

Anmerkung: Im Buch befinden sich völlig unterschiedliche, und teils widersprechende, Positionen. Es werden hier alle Beiträge veröffentlicht, auch solche, deren Positionen wir nicht teilen.

Woran ich glaube

Lorenzo Kom’boa Ervin

Anarchist*innen glauben nicht alle an dasselbe. Es gibt Unterschiede zwischen ihnen. Das anarchistische Feld ist jedoch groß genug, damit diese Unterschiede nebeneinander existieren und respektiert werden können. Woran die anderen dabei genau glauben, weiß ich nicht. Ich weiß nur, woran ich glaube. Dies werde ich mit einfachen, aber deutlichen Worten zu formulieren versuchen.

Ich glaube an die Schwarze Befreiungsbewegung, also bin ich ein Schwarzer Revolutionär. Ich glaube, dass Schwarze Menschen sowohl als Arbeiter*innen als auch als Angehörige einer bestimmten Nation unterdrückt sind und dass sie nur von einer Schwarzen Revolution befreit werden können, die ihrerseits immanenter Teil einer breiten sozialen Revolution zu sein hat. Ich glaube, dass Schwarze und andere unterdrückte Nationen ihre eigenen Ziele haben müssen, ihre eigene Weltanschauungen und kämpferischen Organisationen. Dies gilt auch, wenn sie sich dazu entscheiden, mit weißen Arbeiter*innen zusammenzuarbeiten.

Ich glaube an die Zerstörung des kapitalistischen Weltsystems, also bin ich ein Antiimperialist. Solange der Kapitalismus auf dem Planeten herrscht, wird es Ausbeutung, Unterdrückung und Nationalstaaten geben. Es ist der Kapitalismus, der für die beiden Weltkriege sowie unzählige weitere kriegerische Konflikte und den Hungertod von Millionen von Menschen verantwortlich ist. Alles nur, um die Profitgier der reichen Länder des Westens zu befriedigen.

Ich glaube an Gerechtigkeit für alle Menschen ungeachtet ihrer Ethnizität, also bin ich ein Antirassist. Das kapitalistische System wurde auf der Basis der Versklavung und der kolonialen Unterdrückung von Afrikaner*innen errichtet und wird darüber aufrechterhalten. Bevor es zu einer breiten sozialen Revolution kommen kann, muss die weiße Vorherrschaft besiegt werden. In den USA, dem „weißen Vaterland“, bilden Afrikaner*innen eine innerstaatliche Kolonie. Weiße Arbeiter*innen müssen ihren privilegierten Status sowie ihre „weiße Identität“ aufgeben und unterdrückte nicht-weiße Arbeiter*innen in ihrem Kampf für Gleichheit und nationale Befreiung unterstützen. Freiheit kann nicht auf der Basis von Versklavung und Ausbeutung anderer erreicht werden.

Ich glaube an soziale Gerechtigkeit und ökonomische Gleichheit, also bin ich ein libertärer Sozialist. Ich glaube, dass die Produkte der Arbeit von der Gesellschaft geteilt werden müssen bzw. von allen, die an ihrer Produktion beteiligt sind. Ich glaube weder an den Kapitalismus noch an den Staat. Ich glaube, dass beide überwunden und abgeschafft gehören. Ich akzeptiere die ökonomische Kritik des Marxismus, aber nicht sein Modell politischer Organisation. Ich akzeptiere die antiautoritäre Kritik des Anarchismus, aber nicht seine Vernachlässigung des Klassenkampfes.

Ich glaube an die Kontrolle der Gesellschaft und der Industrie durch die Arbeiter*innen, also bin ich ein Anarchosyndikalist. Anarchosyndikalismus ist revolutionärer Unionismus, in dem Taktiken direkter Aktion verwendet werden, um den Kapitalismus zu bekämpfen und die industrielle Produktion zu übernehmen. Ich glaube, dass die Arbeitsstellen von Fabrikkomitees, Arbeiter*innenräten und anderen Organisationsformen der Arbeiter*innen selbst verwaltet werden müssen. Den Kapitalist*innen muss durch Taktiken wie Sabotage, Streik, Arbeitsniederlegung, Fabriksbesetzung usw., die Kontrolle entrissen werden.

Ich glaube nicht an das angebliche Heil, das von Regierungen kommt, also bin ich ein Anarchist. Ich glaube, dass die Regierung die schlimmste Form moderner Unterdrückung sowie die Ursache von Krieg und ökonomischer Ausbeutung ist. Deshalb glaube ich, dass alle Regierungen gestürzt werden müssen. Anarchismus bedeutet mehr Demokratie, soziale Gleichheit und ökonomischen Wohlstand. Angesichts dieser Ziele wende ich mich gegen alle Formen von Unterdrückung, welche die moderne Gesellschaft kennzeichnen: das Patriarchat, weiße Vorherrschaft, Kapitalismus, Staatskommunismus, religiösen Dogmatismus, Homofeindlichkeit usw.