Im zweiten Teil des Interviews mit Peter Gelderloos geht es weiter mit der Diskussion über die jüngsten Bewegungen für Klimagerechtigkeit, bevor er über Dekolonisierung und die Reproduktion von kolonialem Trauma spricht. Das Interview schließt mit einem Gespräch über sein kommendes Buch über anarchistischen Widerstand gegen den Klimawandel ab.
Ein Interview mit Peter Gelderloos – Teil II: Vom kolonialen Trauma zum ökologischen Wiederaufflammen weiterlesenGriechenland im Lockdown: Bericht Dezember 2020 und Januar 2021
Übersetzung eines Berichts von Crimethinc
Zur Zeit werden wir durch Banner und Graffiti an unsere Gefährt:innen erinnert, durch kurze Begegnungen unter dem Deckmantel, sich zwischen den Ausgangssperren Bewegung zu verschaffen, und durch die mutigen Aktionen derer, die nachts handeln, da es tagsüber zu gefährlich geworden ist.
Griechenland im Lockdown: Bericht Dezember 2020 und Januar 2021 weiterlesenInterview mit dem Team hinter antijob.net
„Die meiste Zeit unseres Lebens müssen wir arbeiten. Unsere Bemühungen, Zeit, Ideen, Erfolge und Misserfolge werden in Rubel, Dollar und Euro gepresst – unpersönliche Geldscheine, die ständig fehlen, um unsere Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Typischerweise ist die Arbeit gespickt mit Lohnverzögerungen, Machenschaften der Bossen, Nervosität und Demütigung durch beknackte Regeln und Chefs, die mit uns spielen.“
Interview mit dem Team hinter antijob.net weiterlesenDie Abschaffung der Arbeit
Niemand sollte jemals arbeiten
Arbeit ist die Ursache nahezu allen Elends in der Welt. Fast jedes erdenkliche Übel geht aufs Arbeiten oder auf eine fürs Arbeiten eingerichtete Welt zurück. Um das Leiden zu beenden, müssen wir aufhören zu arbeiten.
Das bedeutet nicht, dass wir aufhören sollten, Dinge zu tun. Vielmehr sollten wir eine neue Lebensweise schaffen, der das Spielen zugrunde liegt; sozusagen eine spielerische Revolution. Unter Spielen verstehe ich dabei ebenso Feierlichkeiten, Kreativität, Geselligkeit und vielleicht sogar Kunst. Spielen umfasst mehr als bloßes Kinderspiel, so wertvoll das auch sein mag. Ich fordere ein kollektives Abenteuer allgemeiner Freude in freiem und gegenseitigem Überschwang. Spielen hat nichts Passives an sich. Ohne Zweifel brauchen wir alle mehr Zeit fürs Faulsein und Herumlungern als gegenwärtig, unabhängig vom Einkommen oder der Beschäftigung, doch wenn wir uns erst von der beschäftigungsbasierten Verausgabung unserer Kräfte erholt haben werden, werden beinahe alle von uns wieder tätig werden wollen. Oblomowismus und Stachanowismus sind zwei Seiten derselben entwerteten Medaille.
Spielerisches Leben ist vollkommen inkompatibel mit der bestehenden Wirklichkeit. Das sagt alles über die „Wirklichkeit“, das schwarze Loch, das dem Wenigen im Leben, das es noch vom bloßen Überleben unterscheidet, die Lebenskraft entzieht. Seltsamerweise – oder vielleicht auch nicht – sind alle alten Ideologien konservativ, weil sie an die Arbeit glauben. Manche von ihnen, wie der Marxismus oder die meisten Spielarten des Anarchismus, glauben an die Arbeit umso inbrünstiger, als sie an so wenig anderes glauben.
Die Liberalen wollen die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt beenden. Ich sage, wir sollten den Arbeitsmarkt abschaffen. Die Konservativen unterstützen Gesetze für ein Recht auf Arbeit. Mit Karl Marx eigensinnigem Schwiegersohn Paul Lafargue unterstütze ich das Recht auf Faulheit. Linke bevorzugen Vollbeschäftigung. Ebenso wie die Surrealist*innen, abgesehen davon, dass ich es auch so meine, bevorzuge ich volle Beschäftigungslosigkeit. Die Trotzkisten agitieren für die permanente Revolution. Ich agitiere für permanente Gelage. Aber auch wenn alle Ideolog*innen (wie sie es tun) für die Arbeit streiten – und nicht nur, weil sie beabsichtigen, andere Menschen die ihre verrichten zu lassen –, sind sie doch seltsam zurückhaltend, das zu sagen. Sie debattieren endlos über Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Produktivität und Profitabilität. Sie reden gerne über alles, außer über die Arbeit selbst. Diese Expert*innen, die uns anbieten, das Denken für uns zu übernehmen, teilen nur selten ihre Erkenntnisse über die Arbeit mit uns, wo doch die Arbeit so bedeutend für unser aller Leben ist. Unter sich streiten sie sich ein bisschen um Einzelheiten. Gewerkschaften und Vorstände stimmen darin überein, dass wir unsere Lebenszeit für unser Überleben verkaufen sollen, auch wenn sie sich über den Preis streiten. Marxist*innen sind der Meinung, dass wir von Bürokrat*innen geleitet werden sollten. Liberale sind der Meinung, dass wir von Unternehmern geführt werden sollten. Feminist*innen interessieren sich nicht für die Art von Chef*innen, solange es Frauen sind. Alle diese Ideolog*innen haben ernste Differenzen hinsichtlich der Verteilung der Macht. Genauso klar ist, dass sie kein Problem mit Macht als solcher haben und dass sie uns alle am Arbeiten halten wollen.
Du magst dich fragen, ob ich Witze mache oder es ernst meine. Ich mache Witze und meine es ernst. Spielerisch zu sein bedeutet nicht notwendigerweise frivol zu sein und Frivolität ist nicht gleichbedeutend mit Trivialität. Sehr oft sollten wir Frivolitäten ernst nehmen. Ich möchte, dass das Leben ein Spiel ist – aber ein Spiel mit hohen Einsätzen. Ich will für immer spielen.
Das Gegenteil von Arbeit ist nicht nur Faulheit. Kindlich und kindisch sind nicht dasselbe. So sehr ich die Lust der Trägheit schätze, so ist sie doch am Lohnendsten, wenn sie anderen Genuss und Zeitvertreib unterbricht. Genausowenig werbe ich für das verwaltete, zeitlich begrenzte Sicherheitsventil namens „Freizeit“, nichts läge mir ferner. Freizeit ist Nicht-Arbeit um der Arbeit willen. Freizeit ist die Zeit, die man damit verbringt, sich von der Arbeit zu erholen und der fieberhafte, aber hoffnungslose Versuch die Arbeit zu vergessen. Viele Menschen kehren so geschafft aus dem Urlaub zurück, dass sie es nicht erwarten können, wieder zu arbeiten, um sich zu erholen. Der Hauptunterschied zwischen Arbeit und Freizeit ist, dass du bei der Arbeit wenigstens für deine Entfremdung und Entkräftung bezahlt wirst.
Ich betreibe hier keine Wortklauberei. Wenn ich sage, dass ich die Arbeit abschaffen will, meine ich genau das, aber ich will mich nicht auf eigenartige Art und Weise ausdrücken. Meine Minimaldefinition von Arbeit ist Zwangsarbeit, also erzwungene Produktivität. Beide Bestandteile dieses Wortes sind zentral für seine Bedeutung. Arbeit ist Produktion, die mithilfe von wirtschaftlichen oder politischen Mitteln erzwungen wird, durch Zuckerbrot oder Peitsche (Das Zuckerbrot ist letztlich auch nichts anderes als die Peitsche mit anderen Mitteln.) Aber nicht jede schöpferische Tätigkeit ist Arbeit. Arbeit wird niemals um ihrer selbst Willen verrichtet, sie wird mit dem Ziel verrichtet, dass der*die Arbeiter*in (oder meistens jemand anderes) durch sie ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Leistung gewinnt. Das ist es, was Arbeit notwendigerweise ist. Sie zu definieren, bedeutet sie zu verachten. Aber Arbeit ist üblicherweise noch schlimmer, als ihre Definition verheißt. Die Herrschaftsdynamik, die der Arbeit innewohnt, entwickelt sich mit der Zeit weiter. In fortgeschrittenen Arbeitsgesellschaften, inklusive allen industriellen Gesellschaften, egal ob kapitalistisch oder „kommunistisch“, besitzt Arbeit immer auch andere Eigenschaften, die ihre Absurdität noch weiter betonen.
Üblicherweise – und das gilt mehr noch als in kapitalistischen in „kommunistischen“ Ländern, wo der Staat beinahe als einziger Arbeitgeber auftritt und jede*r Arbeitnehmer*in ist –bedeutet Arbeit Anstellung, d.h. Lohnarbeit, was bedeutet, sich an den Dienstplan zu verkaufen. Dementsprechend arbeiten 95% der Amerikaner*innen, die arbeiten, für jemand (oder etwas) anderen. In der UdSSR oder Kuba oder Jugoslawien oder irgendeinem anderen alternativen Modell, das man heranziehen will, nähert sich dieser Anteil 100% an. Lediglich in den umkämpften Bauernbastionen der Dritten Welt – Mexiko, Indien, Brasilien, Türkei – gibt es derzeit einen bedeutenden Anteil an Landwirten, die an den traditionelleren Organisationsmodellen der meisten Arbeiter*innen der letzten paar Jahrhunderte festhalten, der Zahlung von Steuern (= Lösegeld) an den Staat oder von Pacht an parasitäre Landbesitzer*innen im Austausch dafür, ansonsten in Ruhe gelassen zu werden. Selbst dieses schlechte Abkommen erscheint mittlerweile verhältnismäßig gut. Sämtliche Industriearbeiter*innen (ebenso wie Büroarbeiter*innen) sind Angestellte und stehen unter einer Art von Beobachtung, die ihre Unterwürfigkeit garantiert.
Aber die moderne Arbeit hat noch schlimmere Implikationen. Die Menschen arbeiten nicht einfach nur, sie haben „Jobs“. Eine Person erledigt eine produktive Aufgabe die ganze Zeit über auf einer „sonst setzt es was“-Basis. Selbst wenn dieser Tätigkeit auch nur ein Quäntchen Erfüllung innewohnt (was zunehmend mehr Jobs nicht bieten können), so zerstört doch die Eintönigkeit ihrer verbindlichen Ausschließlichkeit jedes spielerische Potenzial. Ein „Job“, der die Energien einiger Personen für einen naheliegenderweise begrenzten Zeitraum und für den Spaß an der Sache zu mobilisieren vermag, ist für diejenigen, die ihn 40 Stunden die Woche erledigen müssen, ohne Mitspracherecht darüber, wie er erledigt werden sollte und zum Profit der Eigentümer, die nichts zu dem Projekt beitragen und ohne die Möglichkeit, die Aufgaben unter denen, die tatsächlich daran arbeiten, aufzuteilen, nichts als eine Bürde. Das ist die wirkliche Welt der Arbeit: Eine Welt des bürokratischen Pfuschs, sexueller Belästigung und Diskriminierung, eine Welt voller holzköpfiger Bosse die ihre Untergebenen, die – allen rational-technischen Erwägungen zufolge – eigentlich das Sagen haben sollten, ausbeuten und zu Sündenböcken machen. Aber der Kapitalismus der realen Welt ordnet die rationale Maximierung der Produktivität und des Profits den Erfordernissen der organisatorischen Kontrolle unter.
Die Entwürdigung, die die meisten Arbeiter*innen in ihrem Job erfahren, ist die Summe allerlei Demütigungen, die als “Disziplin” bezeichnet werden können. Foucault hat dieses Phänomen verkompliziert, aber eigentlich ist es ganz simpel. Disziplin besteht aus der Gesamtheit an totalitärer Kontrollen am Arbeitsplatz – Überwachung, Fließband, festgelegte Arbeitsgeschwindigkeiten, Produktionsziffern, Ein- und Ausstempeln, etc. Disziplin ist das, was die Fabrik, das Büro und der Laden mit dem Gefängnis, der Schule und dem Irrenhaus gemein haben. Sie ist etwas historisch Einzigartiges und Schreckliches. Sie übersteigt die Möglichkeiten der dämonischen Diktatoren der alten Zeiten wie Nero, Dschingis Khan und Iwan der Schreckliche. Ungeachtet all ihrer üblen Absichten hatten sie einfach nicht die geeignete Maschinerie, um ihre Subjekte so vollständig zu kontrollieren, wie es die modernen Despoten tun. Disziplin ist der spezifische, diabolische Kontrollmechanismus der Moderne, sie ist ein innovativer Eingriff, dem schnellstmöglich Einhalt geboten werden muss.
Das meine ich mit “Arbeit”. Spiel ist genau das Gegenteil. Spiel ist immer freiwillig. Was ansonsten Spiel wäre, aber erzwungen wird, ist Arbeit. Das ist axiomatisch. Bernie de Koven hat Spiel als die “Aussetzung von Konsequenzen” definiert. Das ist dann unhaltbar, wenn es darauf hinauslaufen soll, dass Spiel konsequenzlos wäre. Der Punkt ist nicht, dass Spielen keine Konsequenzen hätte. Das soll das Spiel bloß herabsetzen. Der Punkt liegt darin, dass die Konsequenzen, soweit es sie gibt, unbedeutend sind. Spielen und Schenken sind eng miteinander verwandt, sie sind die verhaltensbezogenen und transaktionalen Facetten des gleichen Impulses, des Spieltriebs. Sie teilen eine vornehme Verachtung gegenüber Ergebnissen. Der Spieler zieht etwas aus seinem Spiel, deshalb spielt er. Aber die hauptsächliche Entlohnung ist die Erfahrung der Aktivität selbst (egal worin sie besteht). Einige ansonsten aufmerksame Beobachter*innen des Spiels, wie Johan Huizinga (Homo Ludens) definieren es als Spielespielen oder Regelbefolgen. Ich respektiere Huizingas Gelehrsamkeit, aber weise seine Befangenheit entschieden zurück. Es gibt viele gute Spiele (Schach, Baseball, Monopoly, Bridge) die regelbeherrscht sind, aber es gibt viel mehr zu spielen als nur Spiele. Unterhaltungen, Sex, Tanzen, Reisen – diese Tätigkeiten sind nicht regelbeherrscht, aber sie fallen auf jeden Fall in die Kategorie des Spiels, wenn das irgendetwas tut. Und selbst mit Regeln lässt sich spielen, ebenso wie mit allem anderen.
Arbeit verspottet die Freiheit. Die offizielle Behauptung ist, dass wir alle Rechte haben und in einer Demokratie leben. Andere Unglückliche, die nicht so frei sind wie wir, müssen in Polizeistaaten leben. Diese Opfer müssen Befehle befolgen, egal wie willkürlich sie sind. Die Autoritäten behalten sie unter ständiger Kontrolle. Staatsbürokrat*innen kontrollieren selbst die kleinsten Details ihres Alltags. Die Beamt*innen, die sie herumschubsen, müssen sich nur nach oben verantworten, öffentlich wie privat. Auf die eine oder andere Art und Weise wird jede Abweichung und jeder Ungehorsam bestraft. Denunzianten erstatten den Autoritäten regelmäßig Bericht. All das gilt als etwas sehr Schlechtes.
Und das ist es schließlich auch, obwohl es nichts anderes ist als die Beschreibung des modernen Arbeitsplatzes. Die Liberalen und Konservativen, ebenso wie die Libertären, die den Totalitarismus anklagen, sind Schwindler und Heuchler. In jeder moderaten ent-stalinisierten Diktatur gibt es mehr Freiheit als an einem durchschnittlichen amerikanischen Arbeitsplatz. In einem Büro oder einer Fabrik kann man die gleiche Art von Hierarchien und Disziplin beobachten wie in einem Gefängnis oder in einem Kloster. Tatsächlich haben Foucault und andere gezeigt, dass Gefängnisse und Fabriken etwa zur gleichen Zeit aufkamen und ihre Betreiber ganz bewusst Kontrollmechanismen beieinander abgeschaut haben. Eine Arbeiter*in ist eine Teilzeitsklav*in. Ihre Chef*in befiehlt ihr, wann sie aufzutauchen und zu gehen hat und was sie in der Zwischenzeit tun soll. Er sagt dir, wie viel Arbeit du zu erledigen hast und wie schnell. Es steht ihm frei, seine Kontrolle bis hin zu demütigenden Extremen auszuweiten, indem er, wenn er will, sogar die Kleidung, die du trägst, bestimmt und wie oft du auf die Toilette gehen darfst. Mit wenigen Ausnahmen kann er dich aus beliebigen Gründen oder grundlos feuern. Er lässt dich von Denunzianten und Vorgesetzten bespitzeln, er führt Akten über jeden Angestellte*n. Ihm zu widersprechen wird “Aufmüpfigkeit” genannt, als wäre eine Arbeiter*in ein ungezogenes Kind, und führt nicht nur zu deiner Entlassung, sondern es verwehrt dir auch das Arbeitslosengeld. Ohne das notwendigerweise bei ihnen gutzuheißen, ist es bemerkenswert, dass Kinder zu Hause und in der Schule ziemlich die gleiche Behandlung erfahren, und diese in ihrem Fall mit ihrer angeblichen Unreife gerechtfertigt wird. Was sagt das über ihre Eltern und Lehrer*innen aus, die arbeiten?
Das erniedrigende System der Herrschaft, das ich hier beschrieben habe, beherrscht fast die Hälfte der Wachzeit einer Mehrheit der Frauen und der überwiegenden Mehrheit der Männer seit Jahrzehnten für beinahe deren gesamtes Leben. Aus bestimmten Gründen ist es nicht allzu irreführend, unser System Demokratie oder Kapitalismus oder – noch besser – Industrialismus zu nennen, aber sein eigentlicher Name ist Fabrik-Faschismus oder Büro-Oligarchie. Jede*r, die sagt, dass diese Menschen “frei” sind, lügt oder ist ein Idiot. Du bist, was du tust. Wenn du langweilige, dumme, monotone Arbeit verrichtest, dann stehen die Chancen gut, dass du darin endest, langweilig, dumm und monoton zu sein. Arbeit ist eine viel bessere Erklärung für die schleichende Verblödung um uns herum, als selbst so bedeutende, verdummende Mechanismen wie das Fernsehen und die Bildung. Menschen, die ihr gesamtes Leben herumkommandiert werden, erst in der Schule, dann in der Arbeit und von der Familie zu Anfang und dem Pflegeheim am Ende umschlossen, sind an Hierarchien gewöhnt und psychologisch versklavt. Ihre Eignung zu Autonomie ist so verkümmert, dass ihre Angst vor Freiheit zu den wenigen rational begründeten Phobien gehört. Ihr Gehorsamkeitstraining in der Arbeit pflanzt sich sowohl in den von ihnen begründeten Familien fort, wo es das System auf mehr als nur eine Weise reproduziert, als auch in der Politik, der Kultur und allem anderen. Wenn die Vitalität der Menschen in der Arbeit erst einmal ausgetrocknet wurde, unterwerfen sie sich der Hierarchie und Expertise vermutlich auch in allen anderen Beziehungen. Sie sind ja daran gewöhnt.
Wir sind der Welt der Arbeit so verbunden, dass wir nicht in der Lage sind zu sehen, was sie mit uns macht. Wir müssen auf außenstehende Beobachter*innen aus anderen Zeiten oder anderen Kulturen zurückgreifen, um die Extremität und die Krankhaftigkeit unserer derzeitigen Situation zu erkennen. Es gab eine Zeit in unserer eigenen Geschichte, als die “Arbeitsehtik” unvorstellbar gewesen wäre und möglicherweise lag Weber gewissermaßen richtig damit, ihr Erscheinen mit einer Religion zu vergleichen, dem Calvinismus, der, wenn er heute statt vor vier Jahrhunderten aufgekommen wäre, sofort und passenderweise als Sekte bezeichnet worden wäre. Wie dem auch sei, wir müssen uns nur der Weisheit der Antike bedienen, um uns ein Bild von Arbeit zu machen. Die Menschen der Antike sahen die Arbeit als das, was sie ist, und ihre Sicht dauerte so lange an, die calvinistischen Sonderlinge einmal ausgenommen, bis sie vom Industrialismus über den Haufen geworfen wurde – aber nicht bevor diese die Unterstützung ihrer Propheten erhielt.
Tun wir für einen Moment so, als ob die Arbeit die Menschen nicht in verdummte Untertanen verwandeln würde. Tun wir entgegen jeder plausiblen Psychologie und der Ideologie ihrer Verfechter*innen so, als ob sie keinerlei Auswirkung auf die Charakterbildung hätte. Und tun wir so, als wäre die Arbeit nicht langweilig, ermüdend und entwürdigend, wie wir alle wissen, dass sie es ist. Selbst dann würde die Arbeit noch immer alle humanistischen und demokratischen Ansprüche verspotten, alleine aus dem Grund, dass sie so viel Zeit verschlingt. Sokrates sagte, dass Handarbeiter schlechte Freunde und Bürger abgäben, weil sie keine Zeit hätten, die Pflichten der Freundschaft und Bürgerschaft zu erfüllen. Er hatte Recht. Wegen der Arbeit schauen wir dauernd auf unsere Uhr, unabhängig davon, was wir gerade machen. Das einzig “freie” an der sogenannten Freizeit ist, dass wir von unseren Bossen dafür nicht bezahlt werden. Freizeit dient hauptsächlich dazu, sich für die Arbeit fertig zu machen, zur Arbeit zu gehen, von der Arbeit nach Hause zu gehen und sich von der Arbeit zu erholen. Freizeit ist ein Euphemismus für die merkwürdige Art und Weise, auf die sich Arbeit als eine Ressource der Produktion nicht nur auf eigene Kosten vom und zum Arbeitsplatz transportiert, sondern auch die Hauptverantwortung für ihrer Wartung und Reparatur übernimmt. Kohle und Stahl tun das nicht. Drehstühle und Schreibmaschinen tun das nicht. Aber Arbeiter*innen tun das. Kein Wunder, dass Edward G. Robinson in einem seiner Gangsterfilme ausrief: “Arbeiten ist etwas für Trottel!”
Sowohl Plato als auch Xenophon schreiben Sokrates die Wahrnehmung der destruktiven Auswirkungen der Arbeit auf die Arbeiter als Bürger und Menschen zu und stimmen mit ihm darin offensichtlich überein. Herodotus identifizierte die Verachtung der Arbeit als eine Einstellung der klassischen Griechen auf dem Höhepunkt ihrer Kultur. Um nur ein römisches Beispiel zu nennen: Cicero sagte, dass “wer auch immer seine Arbeit gegen Geld anbietet, sich selbst verkauft und sich in die Reihen der Sklaven begibt.” [1] Seine Freimütigkeit ist heutzutage rar, aber zeitgenössische Vertreter*innen primitiver Gesellschaften, auf die wir es gewöhnt sind, herabzublicken, haben westliche Anthropologen erhellt. Die Kapauku aus Westpapua besitzen, Posposil zufolge, eine Vorstellung von Ausgeglichenheit des Lebens und arbeiten entsprechend nur jeden zweiten Tag, während die übrigen Tage dazu dienen “die verlorene Kraft und Gesundheit wiederzuerlangen.” Unsere Vorfahren waren sich selbst bis ins 18. Jahrhundert, als sie sich bereits auf dem Pfad unseres heutigen Dilemmas befanden, darüber im Klaren, was wir heute vergessen haben, die Kehrseite der Industrialisierung. Ihre religiöse Zuneigung zu den “Blauen Montagen” – und die damit verbundene Etablierung einer de facto Fünf-Tage-Woche rund 150 bis 200 Jahre vor ihrer rechtlichen Einführung – trieb die frühen Fabrikbesitzer zur Verzweiflung. Es dauerte ziemlich lange, bis sie sich der Tyrannei der Glocke, der Vorgängerin der Uhr, unterwarfen. Tatsächlich war es notwendig, eine oder zwei Generationen lang erwachsene Männer durch Frauen, die an Gehorsam gewöhnt waren [2], und Kinder, die nach den industriellen Bedürfnissen geformt werden konnten, zu ersetzen. Selbst die ausgebeuteten Bauern der alten Ordnung entrissen der Fronarbeit eine bedeutende Menge an Zeit. Lafargue zufolge bestand ein Viertel des Kalenders der französischen Bauern aus Sonntagen oder Feiertagen und Tschajanows Zahlen aus Dörfern des zaristischen Russlands – schwerlich eine fortschrittliche Gesellschaft – zeigen ebenfalls, dass zwischen einem Viertel und einem Fünftel der Tage der Bauern der Ruhe gewidmet waren. Der Produktivität unterworfen fallen wir offensichtlich hinter diese rückschrittlichen Gesellschaften zurück. Die ausgebeuteten Muzhiks [russische Bauern des Zarenreichs] würden sich fragen, warum wir überhaupt arbeiten. Und wir sollten uns diese Frage auch stellen.
Um jedoch den vollen Umfang unseres Verfalls zu begreifen, müssen wir uns in den frühesten Zustand der Menschheit hineinversetzen, ohne Regierung und Eigentum, als wir als Jäger*innen/Sammler*innen umherzogen. Hobbes bildete sich ein, dass das Leben damals scheußlich, roh und kurz gewesen sein müsse. Andere nehmen an, dass das Leben ein verzweifelter, unaufhörlicher Kampf ums Überleben gewesen sei, ein Krieg gegen die raue Natur mit Tod und Katastrophe, die die Unglücklichen oder alle, die den Herausforderungen des Kampfs ums Überleben nicht gewachsen waren, erwartete. Tatsächlich war all das eine Projektion der Ängste um einen Zusammenbruch der Regierung von Gemeinschaften, die es nicht gewohnt waren, ohne auszukommen, wie das England zu Zeiten Hobbes während des Bürgerkriegs. Hobbes‘ Landsleute waren bereits mit alternativen Gesellschaftsformen in Berührung gekommen, die andere Lebensweisen vorführten – besonders in Nordamerika –, aber schon diese waren zu weit von ihren Erfahrungen entfernt, um von ihnen verstanden zu werden. (Die niederen Klassen, die den Lebensbedingungen der Indianer näher standen, verstanden sie besser und fanden sie oft attraktiv. Während des gesamten 17. Jahrhunderts liefen englische Siedler*innen zu den Stämmen der Indianer über oder weigerten sich nach ihrer Gefangennahme im Krieg zurückzukehren. Unterdessen wanderten die Indianer ebensowenig in die weißen Siedlungen aus, wie Deutsche die Berliner Mauer von der Westseite her überkletterten.) Die “Überleben des Bestangepassten”-Version – die Thomas-Huxley-Version – des Darwinismus war eine bessere Beschreibung der ökonomischen Zustände des viktorianischen Englands als der natürlichen Selektion, wie der Anarchist Kropotkin in seinem Buch Gegenseitige Hilfe, ein Faktor der Evolution zeigte. (Kropotkin war ein Wissenschaftler – ein Geograph –, der reichlich unfreiwillige Gelegenheit für Feldforschung hatte, als er nach Sibirien verbannt wurde: Er wusste, wovon er sprach.) Wie die meiste soziale und politische Theorie war die Geschichte, die Hobbes und seine Nachfolger*innen erzählten, nichts anderes als eine uneingestandene Autobiografie.
Der Anthropologe Marshall Sahlins, der die Daten heutiger Jäger*innen/Sammler*innen auswertete, nahm den Hobbes’schen Mythos in einem Artikel mit dem Titel “Die ursprüngliche Überflussgesellschaft” auseinander. Sie arbeiten viel weniger als wir und ihre Arbeit lässt sich nur schwer von dem unterscheiden, was wir Spiel nennen. Sahlins folgerte, dass “Jäger*innen/Sammler*innen weniger arbeiten als wir; und statt dass die Suche nach Nahrung eine anhaltende Plackerei ist, ist sie ständig von Müßiggang unterbrochen und es gibt eine größere Menge an Schlaf pro Kopf und Jahr während des Tages als in jeder anderen Gesellschaftsform.” Sie arbeiten durchschnittlich vier Stunden am Tag, wenn man davon ausgehe, dass sie überhaupt “arbeiten”. Ihre “Arbeit”, wie sie uns erscheint, sei Facharbeit, die sowohl ihre geistigen als auch körperlichen Fähigkeiten trainiert; Hilfsarbeit im größeren Stil ist, wie Sahlins sagt, unmöglich außer im Industrialismus. Damit erfüllt sie Friedrich Schillers Definition des Spiels als einzige Gelegenheit, bei der der Mensch seine vollständige Menschlichkeit erkennt, indem er beiden Seiten seiner doppelten Natur ihren Lauf lässt, dem Denken und Empfinden. Er drückt das folgendermaßen aus: “Das Thier arbeitet, wenn ein Mangel die Triebfeder seiner Thätigkeit ist, und es spielt, wenn der Reichthum der Kraft diese Triebfeder ist, wenn das überflüssige Leben sich selbst zur Thätigkeit stachelt.” (Eine moderne Version dessen – etwas zweifelhaft weiterentwickelt – ist Abraham Maslows Gegensatz von “Mangel” und “Wachstum” als Motivation.) Spiel und Freiheit sind, was die Produktion angeht, deckungsgleich. Selbst Marx, der (trotz all seiner guten Intentionen) in die produktivistischen Ruhmeshallen gehört, beobachtete, dass “das Reich der Freiheit in der Tat erst da beginnt, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.” Er konnte sich nicht dazu durchringen, diesen glücklichen Umstand als das zu erkennen, was er ist, die Abschaffung der Arbeit – immerhin ist es eher eine Anomalie, für die Arbeiter zu sein, aber gegen die Arbeit –, aber wir können das tun.
Das Bestreben, zu einem Leben ohne Arbeit voranzuschreiten oder zurückzukehren, findet sich in jeder ernstzunehmenden Sozial- oder Kulturgeschichte des präindustriellen Europas, darunter auch M. Dorothy Georges England im Umbruch und Peter Burkes Populärkultur im frühen modernen Europa. Ebenfalls passend ist Daniel Bells Essay “Arbeit und ihr Unbehagen”, der erste Text, wie ich glaube, der die “Revolte gegen Arbeit” so ausführlich beschreibt und, wäre er verstanden worden, ein wichtiges Korrektiv der sonstigen Selbstgefälligkeit der Sammlung, in der er erschienen ist, Das Ende der Ideologie. Weder Kritiker*innen noch Bewunderer*innen haben bemerkt, dass Bells Ende-der-Ideologie-These nicht das Ende der sozialen Unruhen bedeutete, sondern den Beginn einer neuen, unerforschten Phase, die von der Ideologie nicht gehemmt oder beeinflusst wird. Es war Seymour Lipset (in Political Man), nicht Bell, der zur selben Zeit verkündete, dass “die grundlegenden Probleme der industriellen Revolution gelöst worden” seien, nur wenige Jahre bevor die post- oder meta-industrielle Unzufriedenheit Lipset von der Universität Berkeley ins (vorübergehend) verhältnismäßig ruhige Harvard vertrieb.
Wie Bell bemerkt, war Adam Smith in seinem Wohlstand der Nationen trotz all seinem Enthusiasmus für den Markt und die Arbeitsteilung den Schattenseiten der Arbeit viel aufgeschlossener (oder ehrlicher gegenüber) als Ayn Rand oder die Chicagoer Ökonomen oder irgendeine*r von Smiths modernen Immitator*innen. Smith beobachtete: “Der Intellekt des größten Teils der Menschen wird notwendigerweise von ihrer gewöhnlichen Beschäftigung geformt. Der Mann, der sein Leben damit verbringt, einige einfache Tätigkeiten auszuführen … hat keine Gelegenheit seinen Intellekt zu schulen … Er wird für gewöhnlich so dumm und ignorant wie ein Mensch nur werden kann.” Hier findet sich in wenigen, ungeschminkten Worten meine Kritik der Arbeit. Bell identifizierte bereits 1956, dem goldenen Zeitalter von Eisenhowers Beschränktheit und amerikanischer Selbstgefälligkeit, das unorganisierte, unorganisierbare Unwohlsein seit den 1970ern als eines, das sich keine politische Strömung zunutze machen kann, als das, das im Regierungsbericht Arbeit in Amerika identifiziert wurde, als das, das sich nicht nutzen lässt und das deshalb ignoriert wird. Dieses Problem ist die Revolte gegen die Arbeit. Es kommt in keinem Text irgendeines Laissez-faire-Ökonomen – Milton Friedman, Murray Rothbard, Richard Posner – vor, weil es sich ihren Worten zufolge, wie es bei Star Trek heißt, “nicht berechnen lässt”.
Wenn all diese von der Liebe zur Freiheit bewegten Argumente die Humanist*innen nicht zu einer utalitaristischen oder selbst paternalistischen Wende bewegen mögen, so gibt es andere, die sie nicht ignorieren können [3]. Arbeit ist eine Gefährdung unserer Gesundheit, um den Titel eines Buches zu zitieren. Tatsächlich ist Arbeit Massenmord und Genozid. Arbeit wird die meisten Menschen, die diese Worte lesen, direkt oder indirekt umbringen. Zwischen 14.000 und 25.000 Arbeiter*innen werden in diesem Land jährlich von ihrem Job getötet. Über zwei Millionen werden behindert. Zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen werden jedes Jahr verletzt. Und all diese Zahlen basieren auf einer sehr konservativen Vorstellung davon, was ein Arbeitsunfall ist. Als solche zählen sie die halbe Million Fälle von Berufskrankheit jedes Jahr nicht mit. Ich habe ein medizinisches Lehrbuch über Berufskrankheiten gefunden, das 1.200 Seiten umfasste. Und selbst das kratzt kaum an der Oberfläche. Die verfügbaren Statistiken zählen die offensichtlichen Fälle, wie die der 100.000 Bergarbeiter*innen, die eine Staublunge haben und von denen 4000 jedes Jahr sterben, eine viel höhere Sterblichkeitsrate als beispielsweise die von AIDS, die so große mediale Aufmerksamkeit erlangt. Das resultiert aus der unausgesprochenen Annahme, dass AIDS Perverse befallen würde, die ihre Sittenlosigkeit kontrollieren könnten, während Kohlebergbau eine unantastbare Tätigkeit ist, die nicht in Frage gestellt wird. Was die Statistiken nicht zeigen, ist, dass Arbeit die Lebenserwartung von zehn Millionen Menschen verkürzt – was so viel wie Mord bedeutet. Man denke an die Ärzte, die sich in ihren 50ern zu Tode arbeiten. Man denke an all die anderen Workaholics.
Selbst wenn du, während du tatsächlich arbeitest, nicht getötet oder verstümmelt werden magst, kann dir das auch auf dem Weg zu oder von der Arbeit passieren, während du nach Arbeit suchst oder beim Versuch, die Arbeit zu vergessen. Die große Mehrheit der Opfer des Automobils waren entweder dabei, eine dieser für die Arbeit obligatorischen Tätigkeiten auszuüben oder kollidierten mit denen, die es taten. Zu diesem übermäßigen Leichenzählen müssen noch die Opfer der autoindustriellen Luftverschmutzung und des arbeitsinduzierten Alkoholismus und Drogenabhängigkeit addiert werden. Sowohl Krebs als auch Herzkrankheiten sind moderne Beschwerden, die üblicherweise direkt oder indirekt auf Arbeit zurückgeführt werden können.
Demnach institutionalisiert Arbeit Mord als eine Lebensweise. Die Menschen sind der Ansicht, dass die Kambodschaner*innen verrückt waren, sich selbst auszulöschen [4], aber sind wir denn anders? Das Pol-Pot-Regime hatte immerhin, wenn auch verschwommen, eine Vision einer egalitären Gesellschaft. Wir töten Menschen in sechsstelliger Höhe (mindestens), nur um Big Macs und Cadillacs an die Überlebenden zu verkaufen. Unsere vierzig- bis fünfzigtausend jährlichen Autobahnunfalltote sind Opfer, keine Märtyrer. Sie starben für nichts – oder vielmehr starben sie für die Arbeit. Aber Arbeit ist nichts, für das es sich lohnt zu sterben.
Schlechte Neuigkeiten für Liberale: regulatorisches Flickwerk ist in diesem Leben-und-Tod-Kontext sinnlos. Die Bundesbehörde für Arbeitsschutz und Gesundheitsverwaltung (OSHA) war dazu gedacht, das Kernproblem des Ganzen, die Sicherheit am Arbeitsplatz, zu kontrollieren. Selbst bevor Reagan und der Oberste Gerichtshof sie lahmlegten, war die OSHA eine Farce. In der vorangehenden und (gemessen an heutigen Standards) generösen Finanzierung in der Carter-Ära konnte ein Arbeitsplatz statistisch nur etwa alle 46 Jahre von einem Inspektor der OSHA Besuch erwarten.
Staatliche Kontrolle der Wirtschaft ist keine Lösung. Arbeit ist, wenn überhaupt, in den staatssozialistischen Ländern eher noch gefährlicher als hier. Beim Bau der Moskauer U-Bahn wurden tausende russischer Arbeiter*innen getötet oder verletzt. Geschichten, die den vertuschten sowjetischen Nuklearkatastrophen nachhallen, lassen Times Beach und Three Mile Island [5] wie Grundschul-Luftschutzübungen erscheinen. Deregulierung auf der anderen Seite hilft ebenfalls nicht und richtet möglicherweise sogar Schaden an. Von einem Gesundheits- und Sicherheitsstandpunkt betrachtet waren die Auswirkungen von Arbeit in den Tagen am Schlimmsten, als die Wirtschaft dem Laissez-faire [Wirtschaftsliberalismus des 19. Jahrhunderts, weitestgehend ohne staatliche Einmischung] am Nächsten kam.
Historiker*innen wie Eugene Genovese haben überzeugend argumentiert, dass – wie die Befürworter*innen der Sklaverei vor den Sezessionskriegen insistierten – die Lohnarbeiter*innen der Fabriken nordamerikanischer Staaten und Europas schlechter dran waren als die Sklav*innen der südlichen Plantagen. Keine Neuordnung der Beziehungen von Bürokrat*innen und Geschäftsleuten scheint einen besonderen Unterschied hinsichtlich der Produktion zu machen. Eine ernsthafte Umsetzung selbst der recht vagen Standards, die die OSHA in der Theorie umsetzen könnte, würde die Wirtschaft vermutlich zum Stillstand bringen. Die Gesetzeshüter*innen scheinen das offensichtlich gutzuheißen, da sie nicht einmal versuchen, selbst die größten Übel anzugehen.
Was ich bisher gesagt habe, sollte kaum umstritten sein. Viele Arbeiter*innen haben die Schnauze voll von Arbeit. Es gibt hohe und wachsende Raten von Fehlzeiten, Fluktuation, Diebstahl am Arbeitsplatz und Sabotage, wilden Streiks und allgemeinem Blaumachen im Job. Es mag eine gewisse Bewegung in Richtung einer bewussten und nicht nur instinktiven Ablehnung von Arbeit geben. Und doch ist es vorherrschende Meinung, die nicht nur von Bossen und ihren Agent*innen geteilt wird, sondern auch unter Arbeiter*innen selbst weitverbreitet ist, dass Arbeit selbst unvermeidbar und notwendig ist.
Ich stimme dem nicht zu. Es ist nun möglich, Arbeit abzuschaffen und sie, soweit es nützlichen Zwecken dient, durch eine Vielzahl neuer Arten freier Aktivitäten zu ersetzen. Arbeit abzuschaffen macht es erforderlich, das in zweierlei Hinsicht zu tun: quantitativ und qualitativ. Einerseits, auf Seite des Quantitativen, müssen wir die Menge an Arbeit, die erledigt werden muss, massiv reduzieren. Derzeit ist die meiste Arbeit überflüssig oder schlimmeres und wir sollten uns ihrer einfach entledigen. Auf der anderen Seite – und ich denke, das ist der Knackpunkt der Angelegenheit und die revolutionäre neue Abfahrt – müssen wir das, was als nützliche Arbeit bleibt, in eine erfreuliche Vielfalt spielerischer und handwerklicher Zeitvertreibe verwandeln, die von anderen erfreulichen Zeitvertreiben ununterscheidbar sind, außer darin, dass sie stattfinden, um nützliche Endprodukte zu erzeugen. Das sollte sie aber nicht weniger verlockend machen. Dann können all die künstlichen Barrieren der Macht und des Eigentums fallen. Erzeugung kann zu Erholung werden. Und wir können alle damit aufhören uns voreinander zu fürchten.
Ich schlage nicht vor, dass die meiste Arbeit auf diese Art und Weise gerettet werden kann. Aber dann ist es die meiste Arbeit auch nicht wert, bewahrt zu werden. Nur ein kleiner und schwindender Anteil der Arbeit dient irgendeinem sinnvollen Zweck unabhängig von der Verteidigung und Reproduktion des Arbeitssystems und seinen politischen und legalen Anhängseln. Vor zwanzig Jahren haben Paul und Percival Goodman überschlagen, dass nur fünf Prozent der damals erledigten Arbeit – und man kann annehmen, dass die Zahl, wenn sie denn stimmt, nun noch niedriger ist – unseren minimalen Bedürfnissen nach Essen, Kleidung und Obdach diente. Natürlich handelt es sich dabei nur um eine informierte Schätzung, aber der grundsätzliche Punkt ist geradezu offensichtlich: Direkt oder indirekt dient die meiste Arbeit den unproduktiven Zwecken des Handels oder der sozialen Kontrolle. Aus dem Stegreif können wir Zehnmillionen von Händler*innen, Soldat*innen, Managern, Bullen, Geistlichen, Bankern, Anwält*innen, Lehrer*innen, Grundbesitzer*innen, Sicherheitsangestellten, Werbeleuten und alle, die für sie arbeiten, befreien. Das verursacht einen Schneeballeffekt, da jedes Mal, wenn man ein großes Tier unproduktiv macht, man auch seine Lakaien und Untergebenen befreit. Dadurch implodiert die Wirtschaft.
Vierzig Prozent der Arbeitskräfte sind Angestellte, von denen die meisten einige der lästigsten und idiotischsten Jobs haben, die jemals irgendwer ausgeheckt hat. Ganze Branchen, die Bank- und Versicherungsbranche und die Immobilienbranche zum Beispiel, bestehen aus nichts anderem als nutzlosem Papier-Hin-und-Hergeschiebe. Es ist kein Zufall, dass der “tertiäre Sektor”, der Dienstleistungssektor, wächst, während der “sekundäre Sektor” (die Industrie) stagniert und der “primäre Sektor” (die Landwirtschaft) beinahe vollständig verschwindet. Weil Arbeit unnötig ist, außer für diejenigen, deren Macht sie sichert, werden Arbeiter*innen von relativ nützlichen zu relativ nutzlosen Beschäftigungen verschoben, um die öffentliche Ordnung sicherzustellen. Alles ist besser als Nichts. Deswegen kannst du nicht einfach nach Hause gehen, nur weil du früher fertig bist. Sie wollen deine Zeit, genug davon, um dich zu besitzen, selbst wenn sie für das meiste davon keinerlei Verwendung haben. Warum sonst ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in den letzten fünfzig Jahren kaum mehr als um wenige Minuten gesunken?
Als nächstes können wir uns mit dem Fleischerbeil über die produktive Arbeit selbst hermachen. Keine weitere Kriegsproduktion, Kernkraft, Junk Food, Damenhygiene-Deodorants – und vor allem keine weitere nennenswerte Autoindustrie. Gelegentlich ein Stanley Steamer oder ein Modell-T scheinen mir ok zu sein, aber der Auto-Erotizismus, von dem solche Seuchenherde wie Detroit und Los Angels abhängen, steht außer Frage. Ohne es eigentlich beabsichtigt zu haben, haben wir buchstäblich die Energiekrise gelöst, sowie die Umweltkrise und verschiedene andere unauflösliche soziale Probleme.
Schließlich müssen wir uns der bei weitem größten Tätigkeit entledigen, der mit den meisten Stunden, der niedrigsten Bezahlung und einigen der nervtötendsten Aufgaben, die es gibt. Ich beziehe mich auf Hausfrauen, die Hausarbeit verrichten und Kinder aufziehen. Durch die Abschaffung von Lohnarbeit und der Erzielung vollständiger Arbeitslosigkeit untergraben wir die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung. Die Kernfamilie, wie wir sie kennen, ist eine unvermeidbare Adaption der Arbeitsteilung, die von moderner Lohnarbeit auferlegt wird. Das mag dir gefallen oder nicht, aber wie sich die Dinge im letzten oder den letzten beiden Jahrhunderten entwickelt haben, ist es ökonomisch sinnvoll, dass der Mann den Speck nach Hause bringt und die Frau die Scheißarbeit erledigt, um ihm einen Himmel in einer herzlosen Welt zu bieten und die Kinder in die Jugendkonzentrationslager namens “Schulen” abgeschoben werden, vor allem um sie der Mutter vom Leib, aber trotzdem unter Kontrolle zu behalten, aber nebenbei auch um die Angewohnheiten des Gehorsams und der Pünktlichkeit zu erlangen, die für Arbeiter*innen so wichtig sind. Wenn du dich des Patriarchats entledigen willst, musst du die Kernfamilie loswerden, deren unbezahlten “Schattenarbeit”, wie Ivan Ilich sagt, das Arbeitssystem möglich macht, das sie erfordert. Mit dieser Kein-Kern-Strategie ist die Abschaffung der Kindheit und das Schließen der Schulen verbunden. Es gibt in diesem Land mehr Vollzeitschüler*innen als Vollzeitarbeitskräfte. Wir benötigen Kinder als Lehrer*innen, nicht als Schüler*innen. Sie haben eine Menge zu der spielerischen Revolution beizutragen, weil sie besser darin sind, zu spielen, als Erwachsene. Erwachsene und Kinder sind nicht identisch, aber sie werden durch gegenseitige Abhängigkeit gleich werden. Nur das Spiel kann diesen Generationenkonflikt überbrücken.
Ich habe bisher noch gar nicht von der Möglichkeit gesprochen, die wenige verbleibende Arbeit durch Automatisierung und Kybernetisierung erheblich zu reduzieren. All die Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen und Techniker*innen, die von der Beschäftigung mit Kriegsforschung und geplanter Überalterung befreit wurden, könnten ihre Zeit gut damit verbringen, sich Mittel zur Eliminierung von Erschöpfung, Überdruss und Gefahren solcher Aktivitäten wie denen des Bergbaus auszudenken. Zweifellos werden sie andere Projekte finden, in denen sie sich amüsieren können. Vielleicht schaffen sie ein weltweites, allumfassendes Multimedia-Kommunikationssystem oder gründen Weltraumkolonien. Vielleicht. Ich selbst bin kein Maschinenfreak. [6] Ich habe kein Interesse daran in einem Knopfdruck-Paradies zu leben. Ich will keine Robotersklav*innen, die alles für mich erledigen; ich will die Dinge selbst tun. Meiner Meinung nach gibt es einen Platz für Technologie zur Einsparung von Arbeit, aber nur einen bescheidenen Platz. Die historische und prähistorische Aufzeichnung ist nicht gerade vielversprechend. Als sich die produktive Technologie vom Jagen/Sammeln über die Landwirtschaft zur Industrie entwickelte, wuchs die Arbeit, während Fähigkeiten und Selbstbestimmung schwanden. Die weitere Entwicklung des Industrialismus hat das hervorgehoben, was Harry Braverman die Entwürdigung der Arbeit genannt hat. Intelligente Beobachter*innen waren sich dessen immer bewusst. John Stuart Mill schrieb, dass all die Eingriffe zur Arbeitseinsparung, die jemals erdacht wurden, nicht einen Augenblick Arbeit einsparten. Karl Marx schrieb, dass es möglich wäre „Geschichte über all die Erfindungen seit 1830 zu schreiben, die einzig zu dem Zweck gemacht wurden, das Kapital mit Waffen zur Niederschlagung der Arbeiterklasse zu versorgen.” Die enthusiastischen Technophilen – der Compte von Saint-Simon, Lenin, B. F. Skinner – waren auch immer unverschämte Autoritäre; was so viel heißt wie Technokraten. Wir sollten den Versprechungen der Computer-Mystiker*innen mehr als nur skeptisch gegenüberstehen. Sie arbeiten wie Hunde; da stehen die Chancen nicht schlecht, dass, wenn sie sich durchsetzen, der Rest von uns das ebenfalls tut. Aber wenn sie irgendwelche detaillierten Beiträge haben, die den menschlichen Zwecken bereitwilliger dienen, als der Weg von High-Tech, dann lasst uns ihnen zuhören.
Was ich wirklich sehen möchte, ist Arbeit, die in Spiel verwandelt wurde. Ein erster Schritt wäre es, die Vorstellung eines “Jobs” und einer “Beschäftigung” zu verwerfen. Selbst Aktivitäten, die bereits einen gewissen spielerischen Gehalt haben, verlieren diesen, wenn sie zu Jobs reduziert werden, die zu erledigen bestimmte Menschen und nur diese Menschen gezwungen werden, unter Ausschluss aller anderen. Ist es nicht seltsam, dass Feldarbeiter*innen schmerzhaft auf den Feldern schuften, während ihre klimatisierten Herr*innen jedes Wochenende nach Hause gehen und in ihren Gärten herumwerkeln? Unter einem System der permanenten Lustbarkeit werden wir Zeug*innen eines Goldenen Zeitalters der Dilettant*innen werden, das selbst die Renaissance in den Schatten stellen wird. Es wird keine Jobs mehr geben, sondern nur Dinge, die getan werden müssen und Menschen, die sie tun.
Das Geheimnis, Arbeit in Spiel zu verwandeln, liegt wie Charles Fourier gezeigt hat, darin, nützliche Aktivitäten so zu arrangieren, dass ein Vorteil aus dem gezogen werden kann, was verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten zu tun genießen. Um es für einige Menschen möglich zu machen, die Dinge zu tun, die sie genießen können, genügt es bereits, die Irrationalitäten und Verzerrungen, die diese Aktivitäten belasten, wenn sie auf Arbeit reduziert werden, auszumerzen. Ich zum Beispiel würde es genießen ein bisschen (nicht allzu viel) zu unterrichten, aber ich möchte keine gezwungenen Schüler*innen und ich lege keinen Wert darauf, mich bei armseligen Pedant*innen für eine Anstellung einzuschleimen.
Zweitens gibt es einige Dinge, die Menschen von Zeit zu Zeit gerne machen, aber nicht zu lange und ganz bestimmt nicht die ganze Zeit. Du magst es genießen für einige Stunden zu babysitten, um mit Kindern zusammen zu sein, aber nicht so viel, wie ihre Eltern das tun. Unterdessen mögen die Eltern die Zeit, die du damit für sie selbst frei machst, zutiefst schätzen, auch wenn sie quengelig werden, wenn sie allzu lange von ihrem Nachwuchs getrennt sind. Diese Unterschiede unter Individuen sind das, was ein Leben des freien Spielens möglich macht. Das gleiche Prinzip lässt sich auf viele andere Tätigkeitsbereiche anwenden, ganz besonders auf die primären. Obwohl viele Menschen es genießen zu kochen, wenn sie das wirklich in ihrer Freizeit tun können, gefällt ihnen das nicht, wenn sie damit nur menschliche Körper für die Arbeit auftanken.
Drittens – wenn alles andere beim Gleichen bleibt – können einige Dinge, die, wenn du sie für dich tust, oder in einer unerfreulichen Umgebung oder auf Befehl eines Vorgesetzten, unzufriedenstellend sind, zumindest für eine Zeit lang angenehm sein, wenn dessen Umstände verändert werden. Das gilt gewissermaßen für alle Arbeiten. Menschen wenden ihren andernfalls verschwendeten Einfallsreichtum auf, um so gut es eben geht, ein Spiel aus den am wenigsten einladenden Schind-Jobs zu machen. Aktivitäten, die einen Reiz auf manche Menschen ausüben, üben nicht immer einen Reiz auf alle anderen aus, aber jede*r hat schließlich zumindest potenziell eine Vielfalt an Interessen und ein Interesse an Abwechslung. “Alles einmal ausprobieren”, wie man sagt. Fourier war Meister darin, zu spekulieren, wie abnormale und perverse Neigungen in einer post-zivilisierten Gesellschaft Verwendung finden könnten, was er Hamonie nannte. Er war der Ansicht, dass der Kaiser Nero ganz umgänglich geworden wäre, wenn er seinem Geschmack fürs Blutvergießen als Kind bei der Arbeit in einem Schlachthaus nachgegeben hätte. Kleine Kinder, die es bekanntermaßen genießen, sich im Dreck zu suhlen, könnten in “kleinen Scharen” organisiert werden, um Toiletten zu säubern und den Müll zu leeren, mit Medaillien, die an diejenigen verliehen werden, die sich besonders verdient gemacht haben. Ich argumentiere nicht für genau diese Beispiele, aber für das zugrundeliegende Prinzip, das, wie ich denke, absolut Sinn als eine Dimension einer insgesamt revolutionären Transformation macht. Man behalte im Hinterkopf, dass wir nicht einfach die Arbeit, wie wir sie heute vorfinden, nehmen und sie den Menschen, die dafür geeignet sind, zuordnen, von denen dann tatsächlich einige pervers sein müssten. Wenn die Technologie bei all dem eine Rolle spielt, dann weniger die, Arbeit wegzuautomatisieren, als vielmehr die, neue Gefilde der Wieder-/Erschaffung zu eröffnen. Zu einem gewissen Grad mögen wir zur Handarbeit zurückkehren wollen, wie William Morris als wahrscheinliches und wünschenswertes Ergebnis einer kommunistischen Revolution betrachtete. Die Kunst würde von den Snobs und Sammler*innen zurückgenommen werden, als ein spezialisiertes Fach-Catering eines elitären Publikums abgeschafft und in ihren Qualitäten der Schönheit und Schöpfung wiederhergestellt werden, hin zu dem ganzheitlichen Leben, das ihr von der Arbeit gestohlen wurde. Es ist ein ernüchternder Gedanke, dass die griechischen Gefäße, über die wir Gedichte schreiben und die wir in Museen ausstellen, in ihrer Zeit genutzt wurden, um Olivenöl aufzubewahren. Ich bezweifle, dass mit unseren heutigen Artefakten in der Zukunft ebenso verfahren werden wird, wenn es überhaupt eine gibt. Der Punkt ist, dass es in der Welt der Arbeit so etwas wie Fortschritt nicht gibt, wenn überhaupt, dann nur das Gegenteil. Wir sollten nicht zögern, der Vergangenheit zu stehlen, was sie zu bieten hat, die Menschen der Antike verlieren dabei ja nichts und wir werden bereichert.
Die Neuerfindung des alltäglichen Lebens bedeutet, die Grenzen unserer Karten zu überschreiten. Darüber gibt es, das ist wahr, mehr bildmächtige Spekulationen, als gemeinhin angenommen wird. Neben Fourier und Morris – und hier und da ein Hinweis selbst bei Marx – gibt es die Schriften von Kropotkin, der Syndikalisten Pataud und Pouget, der alten (Berkman) und neuen (Bookchin) Anarchokommunisten. Die Communitas der Goodman Brüder ist beispielhaft dafür, zu zeigen, welche Formen aus bestimmten Funktionen (Zwecken) resultieren, und wenn man erst einmal ihre Nebelmaschinen abklemmt, lässt sich manches aus den Schriften der oft schwammigen Verkünder*innen der alternativen/angemessenen/vermittelnden/geselligen Technologie wie Schumacher und besonders Illich ziehen. Die Situationist*innen – beispielsweise vertreten durch Vaneigems Revolution des Alltags und in der Anthologie der Situationistischen Internationale – sind so schonungslos verspielt, dass sie anregend sind, selbst wenn sie niemals die Herrschaft der Arbeiter*innenräte durch die Abschaffung der Arbeit ersetzt haben. Aber lieber ihre Ungereimtheiten als irgendeine erhaltene linke Spielart, deren Anhänger*innen danach streben, die letzten Verteidiger*innen der Arbeit zu sein, da es, wenn es keine Arbeit gäbe, auch keine Arbeiter*innen gäbe und sie ohne die Arbeiter*innen niemanden hätten, den sie organisieren könnte.
So stehen die Arbeits-Abolitionist*innen recht alleine da. Niemand kann sagen, was aus der Entfesselung der kreativen Kraft, die in der Arbeit gebunden ist, entstehen könnte. Der ermüdende Debattierzirkel-Streit der Freiheit gegen die Notwendigkeit mit seinem theologischen Unterton löst sich selbst in der Praxis, wenn die Produktion von Gebrauchswerten deckungsgleich mit dem Genuss erfreulicher Spiel-Aktivität ist.
Das Leben wird zu einem Spiel oder vielmehr vielen Spielen, aber nicht – wie es das heute ist – zu einem Nullsummenspiel. Eine ideale sexuelle Begegnung ist das Paradigma des produktiven Spielens. Die Beteiligten potenzieren gegenseitig ihre Lust, keine*r zählt die Punkte und jede*r gewinnt. Je mehr du gibst, desto mehr bekommst du. Im spielerischen Leben wird sich das Beste am Sex auf den Großteil des täglichen Lebens ausdehnen. Allgemeines Spiel führt zu der Libidinisierung des Lebens. Umgekehrt kann Sex dadurch weniger vorrangig und verzweiflungsvoller und dafür spielerischer werden. Wenn wir es richtig anstellen, können wir alle mehr vom Leben bekommen als wir hineinstecken. Aber nur wenn wir ernsthaft spielen.
Keine*r sollte jemals arbeiten. Arbeiter dieser Welt… entspannt euch!
Übersetzung aus dem Englischen: Bob Black. The Abolition of Work. Die Übersetzung wurde unter stellenweiser Zuhilfenahme der gleichnamigen Übersetzung von Daniel Kulla (Der Grüne Zweig 242), angefertigt.
Kurze Nachbemerkung der Herausgeber*innen
Auf den ersten Blick mag man sich fragen, warum sich dieser Text in einer Sammlung antizivilisatorischer Texte wiederfindet, denn wenngleich es sicherlich explizit antizivilisatorische Argumente in “Die Abschaffung der Arbeit” gibt, brechen andere Argumente wiederum nicht mit der Logik der Zivilisation und die letztliche Perspektive der beinahe institutionalisierten Verwandlung von Arbeit in Spiel erscheint sogar spezifisch zivilisatorisch zu sein, da sie einen gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel einnimmt, aus dem heraus Arbeit demnach als Spiel zu organisieren wäre.
Auf einer Metaebene jedoch scheint der Text trotz seines schon im Titel (“Abschaffung”) angelegten, transformativen Einschlags (auch) eine antizivilisatorische Perspektive zu entwickeln. Er begreift Arbeit als ein fundamentales Organisationsprinzip der Gesellschaft, das zugunsten einer Tätigkeit, die als Spiel, also sozusagen vielleicht als ein Teil des Lebens, begriffen wird, aufgehoben werden müsse. Diese Aufhebung geht dabei mehr oder weniger mit einer grundlegenden Zerrüttung der den Erfordernissen der Arbeit unterworfenen gesellschaftlichen Strukturen (inklusive der Kernfamilie und des Patriarchats, was uns so ein wenig optimistisch erscheint) einher. Was am Ende übrig bleibt, sind diejenigen Tätigkeiten, die den Bedürfnissen und Sehnsüchten der Menschen entsprechen, vor allem denen nach Nahrung, Obdach und Kleidung. Und indem diese als spielerische Tätigkeiten neu definiert und erkundet werden sollen, wird selbst ihre Erscheiungsform als Arbeit verworfen. Soweit die Grundstruktur des Textes. Und soweit kann dieser unserer Auffassung nach auch als eine Entwicklung einer antizivilisatorischen Perspektive im Hinblick auf Arbeit verstanden werden, weil er eben danach strebt, die organisatorische Kontrolle durch Arbeit, die als ein Aspekt des Zivilisationsprozesses betrachtet werden kann, aufzuheben.
Diese Entwicklung einer in ihren Konsequenzen implizit antizivilisatorischen Perspektive ausgehend von einer Kritik der Arbeit empfinden wir im Kontext dieser Sammlung von Texten, in der ansonsten oft umgekehrt, von einer Kritik an Zivilisation ausgehend, Institutionen wie Arbeit als dem Zivilisationsprozess dienlich kritisiert werden, als eine interessante Abwechslung. Auch wenn uns zugleich der durch den Text unterbreitete Vorschlag einer – verallgemeinerten – “revolutionären Transformation” der Arbeit im Gegensatz zu ihrer Zerstörung in der Tendenz ein gewisses Unbehagen bereitet, weil sich dabei nur allzu leicht Gedankenkonstrukte einschleichen, die eine – in ihrer Tendenz immer zivilisatorische – allgemeine Organisierung der Gesellschaft erforderlich machen.
Anmerkungen:
[1] Was sich an dieser Stelle vielleicht zu bemerken lohnt, ist, dass all diese Philosophen der griechischen und römischen Antike zwar auf Arbeit verächtlich herabgeblickt haben mögen, dies aber aus der Position der herrschenden Klasse taten, die die anfallenden Arbeiten ihrer Gesellschaft, die ihnen ihren erheblichen Wohlstand garantierte, mehr oder weniger vollständig von einer gigantischen Klasse aus Sklav*innen verrichten ließen. Zumindest finde ich, das dies im Hinterkopf behalten werden sollte, wenn man diese Philosophen und ihre Verachtung für die Arbeit für sein Argument heranzieht. (Anm. d. Übers.)
[2] Das erscheint mir eine recht eigenwillige, reduktionistische Deutung zu sein, insbesondere da ein Großteil der in Fabriken arbeitenden Frauen jung und ledig gewesen sein soll. Frauen verdienten in den frühen Textilfabriken – ebenso wie in anderen Bereichen des ökonomischen Lebens, in denen sie überhaupt angestellt wurden – erheblich weniger als Männer, was zumindest die Frage aufwirft, ob Frauen nicht häufig einfach die billigere Arbeitskraft waren. Sicher lässt sich aufgrund einer patriarchalen Ausprägung der Gesellschaft bis zu einem gewissen Grade auch argumentieren, dass Frauen mehr an Herrschaft gewöhnt gewesen sein mögen, ihnen jedoch soweit jegliches subversive Potenzial abzusprechen, dass man behaupten könnte, durch ihre Anstellung in Fabriken wären die Blauen Montage beseitigt worden, erscheint mir doch ein wenig klischeebehaftet und reduktionistisch und lässt zudem die sozioökonomischen Verhältnisse außen vor, die dazu führten, dass Frauen sich etwa auch mit erheblich schlechteren Löhnen als Männer zufrieden geben mussten. (Anm. d. Übers.)
[3] Auch wenn man sich ein wenig fragen mag, warum einer*m daran gelegen sein sollte, die Humanist*innen zu überzeugen, aber das mag vielleicht als eine Eigenheit des Textes verstanden werden. (Anm. d. Übers.)
[4] Gemeint ist vermutlich die Periode der Diktatur von Pol Pot von 1975 bis 1979 und der darauf folgende Bürgerkrieg, während der rund jede*r sechste Kambodschaner*in starb. (Anm. d. Übers.)
[5] Times Beach war eine Stadt mit rund 2200 Einwohner*innen in Missouri, die in den 1980er Jahren vollständig evakuiert und abgerissen wurde, nachdem der Entsorgungsunternehmer Russell Bliss mit Dioxin verseuchte Altölreste der Herstellung von Agent Orange für den Vietnam-Krieg jahrelang auf den Straßen von Times Beach versprüht hatte (Dazu war er übrigens von der Stadt beauftragt worden. Das Besprühen unbefestigter Wege mit Altöl war eine gängige Praxis, um Staubbildung zu verhindern.). Three-Mile Island war ein Kernkraftwerk in Pennsylvania, in dem sich 1979 eine partielle Kernschmelze ereignete, bei der rund ein Drittel des Reaktorblocks zerstört wurde. Folgen waren zahlreiche Todesfälle in der näheren Umgebung des Reaktors, sowie eine um bis zu 150 Prozent erhöhte Krebsrate, wie eine Langzeitstudie ermittelte. (Anm. d. Übers.)
[6] Ich denke hier reproduziert sich bereits das, was den schädlichen Charakter der Technologie ausmacht, nämlich ihr bestimmender Charakter für menschliche Beziehungen. Ich bin kein*e Verfechter*in davon, in “gute” und “schlechte” Technologien zu unterteilen, sondern sehe vielmehr die Geschichte der Technologie und der ihr zugrundeliegenden philosophisch-naturwissenschaftlichen Grundannahmen, wie sie uns heute erzählt wird, als eine einzige Kontinuität sozialer Kontrollmechanismen. Und doch wird vielleicht in der Unterscheidung dessen, was hier als “Verbesserung des Bergbaus” (zumindest wenn man einmal ganz fest die Augen davor verschließt, was der Bergbau an sich für technologisch-soziale Implikationen haben mag) auf der einen Seite und der Etablierung eines “globalen Multimedia-Kommunikationssystems”, einer “Weltraumkolonisierung” und der Etablierung eines “Knopfdruck-Paradieses” auf der anderen Seite deutlich, was das Problem ist. Im letzteren Fall wird die Technologie stets zu einer Totalität, deren Erfordernissen die sie umgebende lebendige Welt untergeordnet werden muss. Ihr Anspruch ist es nicht, eine Verbesserung zu erdenken, die mir vielleicht mein Leben leichter macht, sondern vielmehr ordnet sie die Welt neu gemäß ihres Paradigmas, stellt – um vielleicht einmal das sinnvollste der drei Beispiele aufzugreifen – beispielsweise überall Funkmasten auf, verlegt hunderttausende Kilometer von Glasfaserleitungen, schießt Satelliten ins All, usw., usw., nur damit ich dann eine völlig abgeflachte Form der Kommunikation mit jeder beliebigen anderen Person am anderen Ende des Planeten eingehen könnte. Leichter macht dies mein Leben nicht, weil ich ja auch gar nicht wüsste, was mir dies nun brächte, dafür – um mal nur beim Menschen zu bleiben – macht sie den hunderttausenden Menschen die die Infrastruktur verlegen und warten müssen, allerlei Mühe. Aber nicht nur ihnen. Diese wiederum bedürfen gigantischer Mengen an Rohstoffen – wo übrigens der Bergbau wieder ins Spiel kommt –, die wiederum von hunderttausenden von Menschen gewonnen und transportiert werden müssen, usw. Und am Ende hat sich diese Technologie schon damit den eigenen Bedarf geschaffen, weil nun plötzlich eine globale Abstimmung derjenigen, die die Infrastruktur in Europa planen, mit denjenigen, die in Latein- und Südamerika das erfoderliche Lithium gewinnen und denen, die dieses wiederum über den Ozean transportieren werden, erforderlich wird. Praktisch, oder? Und schon haben wir wieder einen gigantischen Apparat, der neue Arbeiten schafft, um auf das Thema dieses Textes zurückzukommen. (Anm. d. Übers.)
kopiert von Zündlumpen
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