Kapitalismus und Rassismus – Eine Analyse der weißen Vorherrschaft und der Unterdrückung von People of Color

Der nachfolgende Beitrag ist eines von 85 Artikeln aus dem Buch Schwarze Saat – Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus.

Anmerkung: Im Buch befinden sich völlig unterschiedliche, und teils widersprechende, Positionen. Es werden hier alle Beiträge veröffentlicht, auch solche, deren Positionen wir nicht teilen.

Kapitalismus und Rassismus

Eine Analyse der weißen Vorherrschaft und der Unterdrückung von People of Color

Black Autonomy Federation

Race und Klasse: Die kombinierte Eigenschaft der Unterdrückung von Schwarzen und People of Color

Wenn ein effektiver Widerstand gegen die aktuelle rassistische Offensive der kapitalistischen Klasse geleistet werden soll, ist die größtmögliche Solidarität zwischen den Armen und Arbeiter*innen aller Races notwendig, aber besonders unter den verschiedenen People of Color. Meine Position war schon immer die, dass statt des üblichen, von Weißen dominierten Weges zur „Einheit“, wie ihn die weiße Linke vorgibt, ein Bündnis der unterdrückten People of Color wirklich der Weg nach vorne ist. Das bedeutet nicht, dass wir keine Gruppenunterschiede haben oder uns in einzelnen Fragen zwischen verschiedenen nicht-weißen ethnischen und racialen Gruppierungen immer einig sein werden. Aber unsere gemeinsame Geschichte der Unterdrückung und unser Wunsch nach Befreiung rüsten uns für eine neue Art von Einheit und legen einen Weg frei, um uns mit fortgeschrittenen Elementen der weißen Arbeiter*innenklasse zu vereinen.

Wir müssen denjenigen Weißen, die sagen, dass sie gegen das System sind, klar machen: dass der Weg, die kapitalistische Strategie zu besiegen, darin besteht, dass weiße Arbeiter*innen die demokratischen Rechte verteidigen, die Schwarze und andere unterdrückte Völker nach jahrzehntelangem, hartem Kampf errungen haben, und dass sie dafür kämpfen, das System des Privilegs der weißen Hautfarbe zu zerschlagen. Weiße Arbeiter*innen sollten die konkreten Forderungen der BIPOC-Bewegung unterstützen und übernehmen und daran arbeiten, die weiße Identität vollständig abzuschaffen. Diese weißen Arbeiter*innen sollten nach multikultureller Einheit streben und mit BIPOC-Aktivist*innen zusammenarbeiten, um eine antirassistische Bewegung aufzubauen, die die weiße Vorherrschaft herausfordert. Sie sollten in absoluter Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in diesen Gemeinschaften stehen, die entstehen.

Doch auch wenn wir die weißen Arbeiter*innen dazu aufrufen, unseren Kampf zu unterstützen, ist es auch für sie sehr wichtig, das Recht der Schwarzen Bewegung anzuerkennen, einen unabhängigen Weg in ihrem eigenen Interesse zu gehen. Das ist es, was Selbstbestimmung bedeutet. Es bedeutet nicht, unsere Kämpfe auf die der weißen Radikalen oder anderer Segmente der weißen Gemeinschaft zu verschieben, in der Hoffnung auf irgendeine geistlose „Einheit“ in der Zukunft. Es ist noch nicht einmal bewiesen, dass die progressivsten oder „radikalsten“ Weißen der Aufgabe gewachsen sind und da der Rassismus so tief sitzt, dass sie in der Lage wären, sich davon zu lösen. Aber wir bieten ihnen einen Weg nach vorne, zur Unterstützung und als Teil einer neuen Bewegung.

Doch wenn eine solche Schwarze Bewegung tatsächlich zu einer sozialrevolutionären Bewegung wird, muss sie ihre Kräfte letztlich mit ähnlichen Bewegungen unter Native Americans, Chicanos, Puerto Ricaner*innen und anderen unterdrückten People of Color, die sich gegen das System auflehnen, vereinen. Eine solche vereinte Bewegung von aktivistischen People of Color könnte noch breitere Sektoren der weißen Gesellschaft, wie Student*innen, Jugendliche, Arbeiter*innen und andere, radikalisieren und so den Konsens untergraben, der die weiße Unterstützung für die Regierung über Klassengrenzen hinweg aufrechterhält.

Das ist es, was unserer Meinung nach das meiste Potential hat, wieder zu passieren: radikale autonome Bewegungen, die als revolutionäre „Inkubatoren“ breit angelegter Kämpfe agieren, obwohl es nicht ausreicht, zu einer geistlosen „Einheit“ aufzurufen, wie es ein Großteil der weißen Linken tut. Ihre „Einheit“ bedeutet nur die Kontrolle und Führung des gesamten Kampfes durch die weiße Linke.

Wir können also nicht herumsitzen und darauf warten, dass weiße Arbeiter*innen sich unseren Bewegungen anschließen, oder um weiß dominierten Organisationen beizutreten. Weiße Menschen befinden sich immer noch nicht in der gleichen verzweifelten Lage wie Schwarze, Latinx oder Native Americans und wollen auch nicht, dass das System jetzt besiegt wird, solange es ihnen dient.

Autonomie als revolutionäre Tendenz

Aufgrund der dualen Formen der Unterdrückung von nicht-weißen Arbeiter*innen und der Tiefe der sozialen Verzweiflung, die dadurch entsteht, müssen Schwarze und People of Color zuerst zuschlagen, egal ob ihre potentiellen weißen Verbündeten dafür zur Verfügung stehen oder nicht. Das ist Selbstbestimmung und deshalb ist es notwendig, dass unterdrückte Arbeiter*innen unabhängige Bewegungen aufbauen, um ihre eigenen Völker zuerst zu vereinen. Malcolm X war der erste, der dies wirklich erklärt hat. Diese Selbstaktivität der unterdrückten Massen of Color, wenn sie das radikale Stadium erreicht, ist von Natur aus eine revolutionäre Kraft und ist ein wesentlicher Teil des sozialrevolutionären Prozesses der gesamten Arbeiter*innen- und Armenklasse.

Anarchismus + Schwarze Revolution = Neue Schwarze Autonome Politik

Obwohl Anarchist*innen nicht an politische Vorhutparteien glauben, ist die Realität, dass aufgrund der Besonderheiten der sozialen Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere der racialen Sklaverei, Afrikaner*innen in Amerika und andere People of Color mit einer gemeinsamen Geschichte prädisponiert sind, zumindest die Anfangsstadien einer sozialen Revolution anzuführen, um danach ihre potentiellen Verbündeten in der weißen Arbeiter*innenklasse anzuwerben oder sich ihnen anzuschließen. Afroamerikaner*innen bilden eine „Klassenavantgarde“, eine Klasse, die mit ihrem Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus die Gesellschaft radikalisieren kann. Die meisten weißen Radikalen geben zumindest ein Lippenbekenntnis ab, dies zu verstehen, vor allem seit sich die Black Power- und Bürgerrechtskämpfe in den 1960er Jahren entfalteten, obwohl sie immer noch an der „Held*innen der weißen Arbeiter*innenklasse“-Ideologie der Vergangenheit festhalten, um zu versuchen, diese Themen mit einem rückständigen Klassenargument abzulenken. Wir können nicht einfach darauf warten, dass die Weißen „es kapieren“ und in unserer Sache aktiv werden.

Auch wenn Schwarze und People of Color eine „Minderheit“ der Gesamtbevölkerung sind, kann es keine erfolgreiche soziale Revolution in den USA geben, ohne dass Schwarze und nicht-weiße Menschen nicht nur gleichberechtigt an einer von Weißen dominierten Bewegung teilnehmen, sondern tatsächlich den Weg anführen. Das Klassensystem der USA basiert auf rassifizierter sozialer, wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung. Bei einer derart racial und klassenmäßig geteilten Gesellschaft ist das Ignorieren dieser grundlegenden Tatsache ein Ausverkauf oder eine Kapitulation vor der weißen Vorherrschaft. Anstatt alle Widersprüche allein auf die Klasse zu reduzieren, wie es die meisten weißen Radikalen weiterhin tun, müssen wir die Funktionsweise des Rassismus als Teil der Struktur der allgemeinen Unterdrückung verstehen.

Für weiße Radikale bedeutet dies zu ignorieren, dass sie selbst weißen Chauvinismus der schlimmsten Sorte betreiben und die Idee der sozialen Revolution verraten. Obwohl sie denken, dass sie alle anführen sollten oder alle Antworten haben, hat die soziale Geschichte der Vereinigten Staaten zu oft bewiesen, dass weiße Radikale der Mittelklasse nicht einmal die Weißen der Arbeiter*innenklasse, geschweige denn die gefangenen Nationalitäten in die Freiheit führen können. Aufgrund ihrer fast totalen Ignoranz gegenüber Race- und Klassenfragen wissen weiße anarchistische Radikale nicht einmal, welche Fragen sie stellen sollen und können daher auch nicht mit den richtigen Antworten aufwarten. Also organisieren wir uns in unserem eigenen Namen und für unsere Interessen in einer autonomen Bewegung von BIPOC, anstatt von ihnen abhängig zu sein.

Die neue autonome Politik setzt sich aus dem libertär-sozialistischen Kern des Anarchismus und vielen Lehren des revolutionären Schwarzen Nationalismus zusammen, wie er von der ursprünglichen Black Panther Party vertreten und praktiziert wurde. Diese Kombination von Elementen macht etwas so Neues aus, dass es bis jetzt noch nicht vollständig definiert wurde. Wir werden versuchen, schärfer zu definieren, worüber wir seit so vielen Jahren sprechen und es auch in einen historischen Kontext zu stellen, damit es nicht mehr als „eklektischer Mischmasch“ oder „Korruption von beiden Idealen“ abgetan werden kann, wie die Purist*innen behaupten würden. Dennoch sollte es die anarchistischen ideologischen „Purist*innen“ nicht beunruhigen, wenn wir von einer autonomen Bewegung von Anarchist*innen of Color sprechen.

Die frühe anarchistische Bewegung in Amerika reflektierte immer die kulturellen, sozialen und politischen Ideale der Gemeinschaft, die sie hervorbrachte. So hatten wir in den 1880er Jahren eine germanisch dominierte anarcho-syndikalistische Tendenz, die sich International Working People’s Association nannte und in Chicago, Pittsburgh und einigen anderen Industriestädten stark war; eine jüdische anarchistische Bewegung in New York und anderen Städten in den 1900er Jahren, die bis in die 1980er Jahre andauerte und in der einige Zeitungen auf Jiddisch gedruckt wurden; eine italienische Bewegung blühte in New York, New Jersey und anderen städtischen Gebieten in den 1920-30er Jahren und so weiter. Eine europäische ethnische Gruppe nach der anderen brachte einzigartige amerikanische anarchistische soziale Bewegungen hervor, die diese Gemeinschaften kulturell und politisch reflektierten.

Es stellt sich also die Frage, warum jemand überrascht sein sollte, dass es anarchistische Bewegungen von Pazifikinsulaner*innen, Afroamerikaner*innen oder Latinx und anderen People of Color gibt? Wenn wir über anarchistische Ideale und autonome Bewegungen sprechen, reden wir nicht über „Orthodoxien“, die nicht revidiert werden können. Wir reden über Ideen, die von Millionen unterdrückter Völker aufgegriffen, genutzt und an ihre Zwecke und Umstände angepasst werden. Aber viele der weißen Anarchist*innen haben nichts als Angst und Abscheu gezeigt.

Schwarze Autonomie ist kein Schwarzer Nationalismus. Wir glauben an Selbstbestimmung, aber nicht an irgendeine Form von racialer Überlegenheit. Wir negieren nicht die Klassenunterschiede zwischen Arm und Reich innerhalb einer Nationalität. Diejenigen unter uns, die unsere neokolonialen Herren sein wollen, sind genauso unsere Feinde wie die europäischen Rassist*innen. Wir streben nicht danach, einen Nationalstaat für unsere eigenen getrennten Völker zu errichten. Wir bekennen uns zu den Hauptgrundsätzen des Anarchismus und der antiautoritären Politik, auch wenn wir vieles davon neu definieren, um mit unserer unterdrückten Situation und unseren Vorstellungen von Befreiung umzugehen.

Interessanterweise waren es Fred Hampton und der Chicagoer Zweig der Black Panther Party, die als erste in den späten 1960er Jahren eine „Regenbogenallianz“ von revolutionären Organisationen verschiedener ethnischer und racialer Gruppen erdachten. Hampton war kein Integrationist und obwohl er ein starker Schwarzer Revolutionär blieb, begann Hampton weiße Radikale mit progressiven Elementen der Schwarzen Community, Latinx, Asiat*innen und anderen in einer politischen Basisbewegung zu vereinen, um sich in ihren eigenen Gemeinschaften zu organisieren und dann ihre lokalen politischen Vereinigungen in einer stadtweiten Basisallianz zu vereinen. Er bezeichnete dies offen als eine duale Machtinstitution, um die etablierte weiße Machtstruktur herauszufordern. Allerdings wurde er im Dezember 1969 ermordet, bevor er sein Programm wirklich in die Tat umsetzen konnte. Und doch ist es etwas, das immer noch passieren muss.

Wir gehen jetzt weiter und sagen, dass es eine Bewegung geben sollte, die aus autonomen People of Color besteht, die mit der anarchistischen Bewegung verbunden ist, aber als unabhängige Tendenz existiert. Es hat kurzfristige Bündnisse zwischen ethnischen und racialen Gruppen gegeben, aber es gab nie einen wirklichen Versuch, eine revolutionäre Organisation von People of Color zu schaffen. Was aber gebraucht wird, ist ein radikaler Bruch vom beschränkten Race-Nationalismus des „unser Volk zuerst und nur“ hin zu einem neuen radikalen Race- und Klassenbewusstsein, das jene People of Color und unterdrückten Völker unterschiedlicher ethnischer Herkunft einschließt, die Ansichten über autonome politische Aktion teilen. Viele Schwarze Nationalist*innen und doktrinäre weiße radikale Gruppen würden aus eigenen Gründen dagegen sein.

Aber sowohl die anarchistischen Purist*innen als auch die Schwarzen Chauvinist*innen werden einfach zittern müssen, denn eine neue Bewegung ist jetzt im Begriff zu entstehen und es gibt nichts, was irgendjemand tun kann, um sie zu stoppen. Es gibt antiautoritäre Aktivist*innen jeder ethnischen Gruppe und Hautfarbe, die die ersten langsamen Schritte zum Aufbau einer Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung machen oder sich sogar als autonome Antiautoritäre herauswagen. Sie haben die Ideale genommen, die ich und andere in die Welt gesetzt haben, und sie zu einer Klassenwaffe gemacht, die die afrikanischen, asiatischen oder Latinx-Erfahrungen auf diesem Kontinent widerspiegelt, und so die ersten Schritte zur Befreiung ihrer Völker und ihrer Klasse unternommen.

Dieser große Sektor der unterdrückten Menschheit of Color hat gesagt, wir haben genug: Genug Rassismus! Genug Armut! Genug Entwürdigung! Genug Unterdrückung! Sie wissen auch, dass sie ihren eigenen Kampf werden kämpfen müssen, wenn sie frei sein wollen. Niemand aus der weißen Welt wird kommen, um sie zu retten. Obwohl sie wissen, dass das revolutionäre Projekt, um dieses System des Kapitalismus und der Versklavung zu besiegen, Millionen anderer Verbündeter benötigt, die ihnen helfen werden, sind es die People of Color, die die Agenda, den Zeitplan und die Taktik zur Erlangung unserer Befreiung bestimmen werden. Zu lange haben andere für uns gesprochen, ohne unsere besten Interessen im Sinn zu haben.

Die neue autonome Politik der BIPOC unterscheidet sich vom europäischen Anarchismus dadurch, dass wir wissen, dass wir als eigenständiges Volk und als Arbeiter*innen unterdrückt werden. Gegenwärtig platziert der europäisch dominierte Anarchismus seine größten Widersprüche allein mit dem Staat, mit der Fähigkeit des Staates, einen freien Lebensstil aufzuhalten und doch ist es genau das, worauf wir unsere Kritik nicht beschränken können. Dies ist eine weiße Weltanschauung, die auf dem privilegierten Hintergrund vieler Mitglieder in der kapitalistischen Gesellschaft basiert. Einige Anarchist*innen und andere weiße Radikale argumentieren, dass wir uns überhaupt nicht in eine Racedifferenzierung „einkaufen“ sollten, noch weniger in bekannte Ideale der Autonomie. Ihnen sagen wir: Ja, wir wissen, dass unter diesem System historisch konstruierte „Rassen“ geschaffen wurden, die sowohl die Art und Weise des Lebens als auch des Todes unter diesem System bestimmen und dass der Staat dieses Race-/Klassensystem aufrechterhält.

Ja, wir wissen, dass es kein Zufall ist, dass es so ist. Ja, es ist auch wahr, dass einzelne weiße Arbeiter*innen den Rassismus nicht in Auftrag gegeben haben und wir nicht alle weißen Menschen als Feind*innen wahrnehmen. Aber wir wissen auch, wie dieses System wirklich für die weiße Vorherrschaft funktioniert und dass alle Klassen von Weißen die Nutznießer*innen unserer Unterdrückung waren und dass die Kollaboration der weißen Klasse Teil des sozialen Kontrollmechanismus des Staates ist. Tatsache ist, dass es die Weißen sind, die die Whiteness dekonstruieren und dem weißen Rassismus entgegentreten sollten, während wir auf unsere eigene Weise für Freiheit und Befreiung kämpfen!

Deshalb widersprechen wir vehement den Sozialist*innen, Kommunist*innen und jenen Anarchist*innen, die sagen, dass die Unterdrückung aller Arbeiter*innen unter diesem System identisch ist. Dies spiegelt die Realität überhaupt nicht wider.

Wir sagen, dass wir eine Klasse von super-unterdrückten People of Color sind, die historisch gleichermaßen aufgrund unserer racialen Unterdrückung unter diesem System unterdrückt werden, nicht nur aufgrund unserer sozialen Klasse als Arbeiter*innen. Selbst ein flüchtiger Blick auf die Geschichte und die alltägliche soziale Realität beweist, dass der Platz eines Menschen in dieser rassistischen Gesellschaft von seiner Hautfarbe oder seiner ethnischen Zugehörigkeit abhängt. Rassismus ist also eine Klassendoktrin, die vom Staat zur sozialen Kontrolle der Arbeiter*innen of Color eingesetzt wird. In der Tat ist Rassismus das eigentliche Klassenverhältnis in der nordamerikanischen Gesellschaft.

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass die sogenannten „Weißen“ eine erfundene Supernationalität sind, die den Kapitalist*innen helfen soll, Arbeiter*innen of Color in Schach zu halten und den Status Quo zu sichern. Anstatt also die weiße Industriearbeiter*innenklasse als eine potenziell revolutionäre Klasse zu sehen, sehen wir sie stattdessen als eine opportunistische, kollaborierende Körperschaft, die neu definiert und reorganisiert werden muss, wenn sie ein verlässlicher Verbündeter für Arbeiter*innen of Color sein und überhaupt die Fähigkeit haben soll, im Interesse einer neuen Arbeiter*innenklasse zu kämpfen. So wie es jetzt aussieht, kämpfen sie für die Rechte der Weißen, nicht für die Rechte der gesamten Klasse der Armen und Arbeiter*innen.

Als autonome Arbeiter*innen of Color sind wir natürlich anderer Meinung als Marxist*innen und andere sogenannte Radikale, die behaupten, dass eine autoritäre politische Partei und ein starker Führerkult notwendig sind, um eine soziale Revolution hervorzubringen. Aber wir gehen noch weiter und sagen, dass weder sie noch die weißen Anarchist*innen uns als People of Color (oder sogar sich selbst) zu unserer Freiheit führen können, auch wenn sie als Europäer*innen darauf konditioniert wurden, über People of Color und die unteren Klassen zu befehlen und zu herrschen. Wir lehnen ihre Fehlführung und autoritäre Herrschaft über uns vehement ab, oder ihre alten Ideale von weißen Industriearbeiter*innen als proletarische Klasse von Erlösenden.

Schwarze Autonomie ist nicht separatistisch

Wir haben aber auch Differenzen mit den Schwarzen (und anderen Race-) Nationalist*innen, obwohl wir viele Grundideen zur kulturellen Autonomie mit ihnen teilen. Wir glauben auch an viele Traditionen und die Geschichte unserer Völker und schätzen sie sehr, glauben aber, dass sie entmystifiziert und zu einer Kultur des Widerstands gemacht werden müssen, anstelle von Personenkulten oder Eskapismus vor der Realität des Kampfes gegen Rassismus und den Staat. Außerdem glauben wir kategorisch nicht an einen „Racenationalismus“, der Weiße dämonisiert und eine Art biologischen Determinismus befürwortet. Wir sind nicht xenophob; unterhalten also keine Racemythologie über europäische Völker als entweder eine überlegene Spezies oder als Teufel. Und obwohl wir die Notwendigkeit von autonomen Kämpfen in dieser Zeit anerkennen, können wir mit weißen Arbeiter*innen und armen Menschen um spezifische Kampagnen herum arbeiten. Der Hauptpunkt unserer Unterschiede ist, dass wir nicht danach streben, einen Schwarzen Nationalstaat aufzubauen.

Tatsächlich glauben wir, dass dieselbe Klassenpolitik des „Habens und Nicht-Habens“ sich in jeder Art von Schwarzem Nationalstaat zeigen wird, egal ob es sich um einen islamischen, säkularen neubafrikanischen oder afrikanisch-sozialistischen Staat handelt, und dass dies ein extremes Klassengefälle und ökonomische/politische Ungerechtigkeit unter den unterdrückten Völkern of Color produzieren wird. Wir können uns die Abfolge von Diktaturen und kapitalistischen Regimen in Afrika ansehen, um dies zu verdeutlichen. Wir glauben, dass eine bürgerliche Klassen- und politische Diktatur unvermeidlich ist und dass eine Volksrevolution unter einer solchen schwarznationalistischen Regierung ausbrechen wird.

Schau dir an, was heute unter der ehemaligen Apartheid-Regierung passiert, die jetzt unter Schwarzer Herrschaft steht und mit der weißen kapitalistischen Klasse vereint ist. Die Schwarze Bourgeoisie und Geschäftsklasse wurde zur nominell herrschenden Klasse erhoben, während die gleichen wirtschaftlichen Kräfte die afrikanische Arbeiter*innenklasse und die Armen ausbeuten und unterdrücken. Millionen sind obdachlos, arbeitslos, werden in Niedriglohnjobs ausgebeutet und sind landlos. Die kapitalistische Black Power hat die Schwarzen nicht befreit, selbst nachdem die Apartheid besiegt worden ist. Können die kapitalistischen imperialistischen Finanzinstitutionen noch weniger Kontrolle über einen Schwarzen Nationalstaat in Amerika ausüben? Souveränität ist keine Option in einer solchen von diesem System beherrschten Welt. Ein neuer Schwarzer Nationalstaat auf einem nordamerikanischen Landgebiet bedeutet nicht mehr Freiheit als die in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Wir glauben auch, dass unter dem kapitalistischen System, das jetzt existiert, die meisten Manifestationen des Schwarzen Nationalismus nie eine wirklich revolutionäre Doktrin waren, sondern dass sich solche Bewegungen am stärksten als defensive Doktrin zum Schutz der Schwarzen Mittelklasse durchgesetzt haben. Es ist nicht einmal eine Bewegung, die den weißen Rassismus bekämpft, sondern eher eine Interessengruppenpolitik, die für gleiche politische Macht für Schwarze Geschäftsleute oder die Berufsklasse unter diesem System kämpfen kann, nicht um es zu beseitigen.

Ein Schwarzer Nationalstaat ist also nicht die Antwort auf unsere Probleme als unterdrücktes Volk. Tatsächlich führt er uns zurück in die Sklaverei, so wie er auch für kein Volk der Welt zur Freiheit geführt hat. Sie ersetzt den weißen Meister durch den Schwarzen Meister. Wir sind nicht immun gegen die Gesetze des sozialen Wandels; der Staat ist von Natur aus eine unterdrückerische Institution.

Außerdem sagen diejenigen, die für einen Schwarzen Staat plädieren, fast nie, wie er erreicht werden soll, und viele ihrer vorgebrachten Argumente sind absichtlich vage und phantasievoll. Wer glaubt wirklich, dass Amerika der Nation of Islam einfach einen islamischen Staat zugesteht oder fünf Südstaaten an die Republik Neu-Afrika abtritt, nur weil eine kleine Fraktion, die sich selbst eine „Regierung im Exil“ nennt, existiert und dafür eintritt? Wer kann überhaupt beweisen, dass die meisten Menschen das überhaupt wollen? Warum, es würde Jahre eines blutigen Kampfes und eine große Organisierungskampagne erfordern. Und was sollen wir tun, bis dieser große Tag kommt; die Schwarzen nationalistischen Gruppen sagen es uns nie, aber wir können davon ausgehen, dass wir einfach ihren Führenden folgen und unsere Beiträge an ihre Organisationen zahlen sollen. Das ist Opportunismus und Verrat und führt uns in eine Sackgasse.

Darüber hinaus war die einzige revolutionär-nationalistische Gruppe, die überhaupt über die Durchführung eines Plebiszits sprach, um herauszufinden, welche Form die afrikanischen Menschen in Amerika glauben, dass unsere Freiheit annehmen sollte, die Black Panther Party. Sie erkannten, dass es an den Massen liegt, solche Entscheidungen zu treffen, und nicht an den Vorhutorganisationen an ihrer Stelle. Wie die Panther glauben wir, dass wir, noch bevor Rassismus oder Kapitalismus besiegt sind, jetzt damit beginnen können, einen langwierigen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Agent*innen zu führen und dass der einzige Nationalstaat, mit dem wir uns beschäftigen sollten, der korrupte amerikanische Staat ist, der uns und die meisten Völker der Welt immer noch unterdrückt.

Gemeinsam mit dem Student Nonviolent Coordinating Committee, der führenden militanten Organisation der früheren Bürgerrechtsperiode, glauben Anarchist*innen, dass die Rolle der Organisator*innen nicht darin besteht, die Menschen zu führen, sondern sie zu ermächtigen und sie ihre eigenen lokalen Kämpfe übernehmen zu lassen. Wir glauben auch, dass solche Gemeinschaften virtuelle Kolonien oder Halbkolonien sind, die unter der militärischen und politischen Kontrolle des Staates stehen. Aber wir glauben nicht, dass eine nationale Befreiungsbewegung allein uns befreien kann und dass die eigentliche Aufgabe darin besteht, den Kapitalismus selbst zu demontieren. Unser Befreiungskampf ist Teil eines breiteren Kampfes für einen totalen sozialen Wandel.

Viele Schwarze nationalistische Gruppen der Mittelschicht sind an die Demokratische Partei oder Ralph Naders Grüne Partei gebunden und bieten keine wirkliche radikale Alternative. Erstens glauben wir nicht an konventionelle oder elektorale Politik in jeglicher Form und lehnen von Liberalen und Sozialdemokrat*innen geführte Koalitionen ab. Schließlich glauben wir, wie die Panther der 1960er Jahre und im Gegensatz zur heutigen Nation of Islam und der afrozentrischen Bewegung, an eine Klassenanalyse und verstehen, dass es historische, sozioökonomische Faktoren gab, die sowohl für die Sklaverei als auch für den Rassismus verantwortlich waren, nicht weil Weiße „Eismenschen“, „Teufel“ oder anderen solchen Unsinn sind. Das Hauptmotiv war Geld, die Bereicherung von Europa und der „Neuen Welt“. Dieses kapitalistische System produziert Rassismus und weiße Vorherrschaft. Es ist dieses kapitalistische System, das zerstört werden muss, um es loszuwerden.

Deshalb sind wir autonome People of Color, Kämpfende für Anarchismus, Selbstbestimmung und Freiheit für unser Volk und alle unterdrückten Menschen. Die Panther haben bewiesen, wie gefährlich Schwarze Revolutionär*innen für dieses System sein können, jetzt werden wir die Arbeit beenden und den Kapitalismus in sein Grab zu legen. Keine Freiheit ohne Kampf!