Kapitalismus, der Staat und das Privateigentum – Lorenzo Kom’boa Ervin

Der nachfolgende Beitrag ist eines von 85 Artikeln aus dem Buch Schwarze Saat – Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus.

Anmerkung: Im Buch befinden sich völlig unterschiedliche, und teils widersprechende, Positionen. Es werden hier alle Beiträge veröffentlicht, auch solche, deren Positionen wir nicht teilen.

Kapitalismus, der Staat und das Privateigentum

Lorenzo Kom’boa Ervin

Die Existenz des Staates und des Kapitalismus wird von ihren Apologet*innen als „notwendiges Übel“ begründet, da der größte Teil der Bevölkerung angeblich nicht in der Lage ist, ihre eigenen Angelegenheiten und die der Gesellschaft zu regeln, sowie als Schutz vor Verbrechen und Gewalt. Anarchist*innen wissen, dass im Gegenteil der Staat und die Institution des Privateigentums die Haupthindernisse für eine freie Gesellschaft sind. Es ist der Staat, der Krieg, polizeiliche Unterdrückung und andere Formen der Gewalt verursacht, und es ist das Privateigentum — das Fehlen einer gleichmäßigen Verteilung des großen gesellschaftlichen Reichtums — das Verbrechen und Mängel verursacht.

Aber was ist der Staat? Der Staat ist eine politische Abstraktion, eine hierarchische Institution, durch die eine privilegierte Elite danach strebt, die große Mehrheit der Menschen zu beherrschen. Zu den Mechanismen des Staates gehört eine Gruppe von Institutionen, die die gesetzgebenden Versammlungen, die Bürokratie des öffentlichen Dienstes, das Militär und die Polizei, die Justiz und die Gefängnisse sowie den subzentralen Staatsapparat umfassen. Die Regierung ist das administrative Vehikel, um den Staat zu führen. Der Zweck dieser spezifischen Reihe von Institutionen, die der Ausdruck der Autorität in kapitalistischen Gesellschaften (und sogenannten „sozialistischen Staaten“) sind, ist die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Herrschaft über das gemeine Volk durch eine privilegierte Klasse. Die Reichen in kapitalistischen Gesellschaften, die sogenannte kommunistische Partei in staatssozialistischen oder kommunistischen Gesellschaften wie der ehemaligen Union der sozialistischen Sowjetrepubliken.

Der Staat selbst ist jedoch immer ein elitäres Positionsgefüge zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, den Befehlsgebenden und den Befehlsempfänger*innen, den wirtschaftlich Besitzenden und den Habenichtsen. Die Elite des Staates sind nicht nur die Reichen und Superreichen, sondern auch jene Personen, die staatliche Autoritätspositionen einnehmen: Politiker*innen und juristische Beamt*innen. So kann die staatliche Bürokratie selbst, in Bezug auf ihre Beziehung zum ideologischen Eigentum, zu einer eigenen Eliteklasse werden. Diese administrative Eliteklasse des Staates entwickelt sich nicht nur durch die Verteilung von Privilegien durch die wirtschaftliche Elite, sondern auch durch die Trennung von privatem und öffentlichem Leben — der Familieneinheit bzw. der Zivilgesellschaft — und durch den Gegensatz zwischen einer individuellen Familie und der größeren Gesellschaft. Es ist purer Opportunismus, hervorgerufen durch kapitalistische Konkurrenz und Entfremdung. Es ist ein Nährboden für die Agent*innen des Staates.

Die Existenz des Staates und einer herrschenden Klasse, die auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter*innenklasse basiert, sind untrennbar. Herrschaft und Ausbeutung gehen Hand in Hand und in der Tat ist diese Unterdrückung ohne Gewalt und gewaltsame Autorität nicht möglich. Deshalb argumentieren Anarchist*innen, dass jeder Versuch, die Staatsmacht als Mittel zur Errichtung einer freien, egalitären Gesellschaft einzusetzen, nur selbstzerstörerisch sein kann, weil die Gewohnheiten des Kommandierens und Ausbeutens zum Selbstzweck werden. Dies wurde mit den Bolschewiki in der russischen Revolution (1917-1921) bewiesen. Tatsache ist, dass die Beamt*innen des „kommunistischen“ Staates politische Macht anhäufen, ähnlich wie die kapitalistische Klasse wirtschaftlichen Reichtum anhäuft. Diejenigen, die regieren, bilden eine eigene Gruppe, deren einziges Interesse darin besteht, die politische Kontrolle mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu behalten. Aber die Institution des kapitalistischen Eigentums erlaubt es einer Minderheit der Bevölkerung, den Zugang zu und die Nutzung von allen gesellschaftlich produzierten Reichtümern und natürlichen Ressourcen zu kontrollieren und zu regulieren. Du musst für das Land, das Wasser und die frische Luft an eine riesige Versorgungsgesellschaft oder Immobilienfirma bezahlen.

Diese kontrollierende Gruppe kann eine separate Wirtschaftsklasse oder der Staat selbst sein, aber in jedem Fall führt die Institution des Eigentums zu einer Reihe von sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, dem Kapitalismus, in dem ein kleiner Sektor der Gesellschaft enorme Vorteile und Privilegien auf Kosten der arbeitenden Minderheit erntet. Die kapitalistische Wirtschaft basiert nicht auf der Befriedigung der Bedürfnisse aller, sondern auf der Anhäufung von Profit für einige wenige. Sowohl der Kapitalismus als auch der Staat müssen angegriffen und gestürzt werden, nicht das eine oder das andere, oder das eine dann das andere, denn der Sturz des einen wird nicht den Sturz beider gewährleisten. Nieder mit dem Kapitalismus und dem Staat!

Zweifelsohne werden einige Arbeiter*innen das, wovon ich spreche, als eine Bedrohung ihres persönlichen angehäuften Eigentums missverstehen. Nein: Anarchist*innen erkennen den Unterschied zwischen persönlichem Besitz und großem kapitalistischen Eigentum an. Kapitalistisches Eigentum ist jenes, das als grundlegende Eigenschaft und Zweck die Verfügung über die Arbeitskraft anderer Menschen aufgrund ihres Tauschwertes hat. Die Institution des Eigentums bedingt die Entwicklung einer Reihe von sozialen und ökonomischen Beziehungen, die den Kapitalismus etabliert hat, und diese Situation erlaubt es einer kleinen Minderheit innerhalb der Gesellschaft, enorme Vorteile und Privilegien auf Kosten der arbeitenden Minderheit zu ernten. Dies ist das klassische Szenario der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital.

Wo es eine hohe gesellschaftliche Arbeitsteilung und eine komplexe industrielle Organisation gibt, ist Geld notwendig, um Transaktionen durchzuführen. Es ist nicht einfach so, dass dieses Geld gesetzliches Zahlungsmittel ist und anstelle des direkten Warentauschs verwendet wird. Das ist nicht das, worauf wir uns hier künstlerisch beschränken: Kapital ist Geld, aber Geld als Prozess, der seinen Wert reproduziert und steigert. Kapital entsteht erst dann, wenn Eigentümer*innen der Produktionsmittel auf dem Markt Arbeiter*innen als Verkäufer*innen ihrer eigenen Arbeitskraft findet. Der Kapitalismus entwickelte sich als die Form des Privateigentums, die sich vom ländlichen, landwirtschaftlichen Stil zum städtischen, fabrikmäßigen Stil der Arbeit verschob. Der Kapitalismus zentralisiert die Produktionsmittel und bringt die Individuen in einer disziplinierten Arbeiter*innenschaft eng zusammen. Kapitalismus ist industrialisierte Warenproduktion, die Güter für den Profit und nicht für soziale Bedürfnisse herstellt. Dies ist eine besondere Unterscheidung des Kapitals und des Kapitals allein.

Wir können den Kapitalismus, und das ist die Grundlage unserer Beobachtungen, als mit Willen und Bewusstsein ausgestattetes Kapital verstehen. Das heißt, als jene Menschen, die sich Kapital aneignen und als eine elitäre, geldbesitzende Klasse fungieren, die genug nationale und politische Macht hat, um die Gesellschaft zu beherrschen. Weiterhin ist dieses akkumulierte Kapital Geld, und mit Geld kontrollieren sie die Produktionsmittel, die als Mühlen, Minen, Fabriken, Land, Wasser, Energie und andere natürliche Ressourcen definiert sind, und die Reichen wissen, dass dies ihr Eigentum ist. Sie brauchen keine ideologischen Anmaßungen und machen sich keine Illusionen über „öffentliches Eigentum“.

Eine Wirtschaft, wie die, die wir kurz skizziert haben, basiert nicht auf der Erfüllung der Bedürfnisse aller in der Gesellschaft, sondern auf der Anhäufung von Profiten für die wenigen, die als Freizeitklasse in palastartigem Luxus leben, während die Arbeiter*innen entweder in Armut oder ein oder zwei Lohnschecks davon entfernt leben. Du siehst also, dass die Abschaffung der Regierung auch die Abschaffung des Monopols und des persönlichen Eigentums an den Produktions- und Verteilungsmitteln bedeutet.