[Zum Stand einer anarchistischen Debatte um Angriff] Teil 7: Einige Gedanken zu Anonymität und Bekenner*innenschreiben

Entnommen aus dem Archiv vom schwarzen Pfeil. Eingereicht von freek.

Das folgende sind einige Überlegungen zum Thema Anonymität und Bekennerschreiben. Angestoßen wurden die Überlegungen durch den Text „Revolutionärer Zorn 1“ im Autonomen Blättchen #43 in welchem behauptet wird, dass anonyme Angriffe auf Funkantennen „nicht emanzipatorisch“ wären. Anonym wird im Folgenden gleichbedeutend mit „ohne Bekenner*innenschreiben“ benutzt. Als Argument dient „R & Z“ die These, dass unter anderem auch Rechte/ Verschwö-rungstheoretiker*innen ihre Probleme mit Antennen und dem Ausbau von 5G haben.

Der Kontext der Debatte ist eine seit nun seit mehr als einem Jahr anhaltende europaweite Angriffswelle auf hunderte 3G, 4G und 5G Antennen. Meist finden diese Angriffe anonym statt und das einzige was sie eindeutig ausdrücken ist die Zerstörung der angegriffenen Technologie, welche eine Schlüsseltechnologie für das Einleiten der stattfindenden vierten industriellen Revolution ist und auch im hier und jetzt die Ökonomie und Macht am Laufen hält.

1. Ich denke, dass starke Bedürfnis (in autonomen Kreisen fast ein Dogma) für Bekenner*innenschreiben kommt durch die starke Prägung heutiger anarchistischer und autonomer Kämpfe durch linke Guerillagruppen des 20. Jahrhunderts bzw. deren anarchistische Neuinterpretation. All diese Guerillagruppen neigten nicht nur zu einem gewissen Waffenfetisch, sondern auch zu Selbstfixierung, rechthaberischen Ansprüchen, militaristischen Frontkonzepten und dementsprechend einem Avantgardecharakter. Diesen Charakter trägt mitunter auch das Bekenner*innenschreiben: Eine Kommandoerklärung oder gar eine Anweisung an die Massenbewegung, was die Militanten für richtig und wichtig halten. Das Bekenner*innenschreiben ist wenn auch nicht Werbung für die eigene bewaffnete Gruppe so zumindest Werbung für die eigene politische Identität. Im Gegensatz dazu zeichnen sich soziale Konikte und soziale Bewegungen (gerade die des 21. Jahrhunderts) immer durch Chaos und somit Widersprüchlichkeiten aus – politische Identitäten und Ideologien sind nicht prägend für die Konflikte, Revolten und Aufstände. Somit veriegt auch die Tendenz der politischen Identität den Massen die ihrige aufzudrücken und nach einer Vorherrschaft und Vormacht zu suchen.

Die einfachen politischen Kategorisierungen hinken, wenn sich Menschen ins anonyme Chaos von Kämpfen und Konflikten begeben. In Frankreich rechneten die Medien die mehr als hundert im letzten Jahr anonym sabotierten Funkmasten immer den Anarchist*innen zu – bis es erste Verhaftungen gab und offensichtlich wurde, dass sich auch etliche „gilet jaunes“ zum Angriff entschieden hatten, genauso wie Umweltaktivist*innen und Anarchist*innen. Von Faschos war bis dahin nichts zu hören. Die chaotische, massenhafte und anonyme Sabotagewelle geht also mitunter von Leuten aus, welche sich in den sozialen Kämpfen der letzten Jahre radikalisiert haben. Aber ist das überhaupt wichtig? Ein brennender Funkmast emanzipiert einen für einen Moment von einem funktionierenden Funknetz, basta. Warum das Internet- und Handynetz an sich als ein Angriff gegen uns und unsere Autonomie verstanden werden muss, wurde im Autonomen Blättchen #43 und #42 sehr schön erläutert.

Dass die Medien uns in Deutschland oder in England verklickern wollen, dass Rechte das Funknetz angreifen, soll uns ein verqueres Bild liefern. Ähnlich überzeugend wie das Opfergehabe von SPDlern oder Grünen, die so tun als könnten nur Rechte ein Problem mit ihnen haben, wenn ihre Parteibüros mal wieder in Trümmern liegen. Sobald wir uns die Wahrnehmung der Welt mit den Medien ins Haus liefern lassen, prägen diese unser Denken von der Welt. Dass andere Leute eine ganz andere Wahrnehmung haben, in einem ganz anderen Kontext leben und eine ganz andere Geschichte (wie z.B. die blutrote Geschichte zwischen Anarchos und Sozialdemokrat*innen) sollte uns nicht verwundern.

2. Ich denke, das Bedürfnis nach Bekenner*innenschreiben ist vor allem ein Bedürfnis nach Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für den eigenen Diskurs. Werbung sozusagen. Und Werbung kann anarchis-tischen Methoden und Ideen durchaus gut tun. Allerdings prägt das Mittel die Botschaft. Der Haken an der Sache ist jener, dass dies auf gewisse Weise die Schwäche einer anarchistischen Diskussionskultur zeigt. Dass Texte nur ernst genommen werden, wenn sie von Angriffen begleitet werden, ist absurd. Diskussionen müssen (ab einem bestimmten Punkt) offen und auch mit Unbekannten geführt werden, sonst können sie nie irgendeine soziale Relevanz erhalten. Zwar können Publikationen (wie das Autonome Blättchen) Beken-ner*innenschreiben enthalten und man kann eben diese Publikationen verteilen – doch das Verteilen von Bekenner*innenschreiben auf der Straße ist eine heikle Angelegenheit und wohl eine sehr seltene Praxis (vor allem in weniger anonymen Wohngegenden). Wenn man eine Idee eingehend diskutieren will, sollte man das auch offenkundig und an jedem Ort tun können, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und Angst zu haben als Autor*in bestimmter Bekenner*innenschreiben entlarvt zu werden (Das ist natürlich ein offener Bruch mit der Tradition der linken Guerillagruppen.)

3. Die Fixierung auf Bekenner*innenschreiben zeigen ebenso die Schwäche einer anarchistischen Agitation auf der Straße. Es gibt im deutschsprachigen Raum keine anarchistischen Blogs mit irgendeiner sozialen Relevanz und die Medien drucken keine Bekenner*innen-schreiben ab – was es gibt sind selbstbestimmte Mittel um unsere Ideen, Feindschaften und Vorschläge zu artikulieren. Sprühereien, Flugblätter, Sticker, Zeitungen, Plakate, Banner etc. Wir müssen die Kommunikation unser Ideen selbst in die Hand nehmen. Warum sollte irgendein Nachbar eine Aktion besser verstehen oder ihr Wert geben, wenn auf irgendeiner Internetseite ein Bekenner*innenschreiben hochgeladen wird, was er wohl kaum finden oder lesen wird. Das Pauschalurteil der RZ, dass ein Kontext für eine Aktion nicht existiert und der Angriff somit nicht eindeutig ist und ein Bekenner*innenschreiben somit von Nöten ist, zeigt wie Medienfokussiert diese denken. Die Frage der „Vermittlung“ einer einzelnen Aktion stellt sich nur, wenn anarchistische Ideen, Feindschaften und Vorschläge auf der Straße keinerlei Präsenz haben. Warum nicht mit eigenen Mitteln die eigenen Ideen und Haltung auf der Straße deutlich machen – und auch durch eine klar antiautoritäre und antifaschistische Präsenz auf der Straße deutlich machen, dass Faschos hier nix verloren haben.

4. Die Tatsache, dass auf Indymedia teils kurze und anonyme Berichte, Medienartikel über anonyme Aktionen und/ oder politisch nicht hochtrabende kurze Erklärungen zu Aktionen gelöscht werden, zeigt den selbstgewählten Anspruch möglichst politisch und seriös zu sein. Das heißt weder frech, lustig noch faul und somit muss jedes Bekenner*innenschreiben stets etliche Seiten politischer Argumentationen beinhalten (ganz im Sinne der alten Guerillavorbilder). Den Anspruch hundert mal hochtrabend politisch erklären zu wollen, warum etwas scheiße ist (z.B. Vonovia oder Bullen) wirft die Frage auf an wen wir uns eigentlich wenden? Ich würde mal behaupten, dass die Leute, die von Vonovia ausgesaugt und von Bullen drangsaliert und genervt werden, ganz genau wissen warum sie diese scheiße finden. Die Rechtfertigung gilt eigentlich der Öffentlichkeit – die Rechtfertigung warum man es legitim hält illegales zu tun. Aber diese Öffentlichkeit ist uns ohnehin feindlich gesinnt und Teil eines Herrschaftsinstrument des Staates. Aufmerksamkeit, Respekt und Verständnis von den Medien zu erwarten, zeigt wie weit wir uns den Kontext unserer Kämpfe diktieren lassen. Geht es nicht darum den Wütenden und Ausgeschlossenen (mitunter freche, lustige, kurze und unseriöse) Vorschläge zu machen? Oder sie zu motivieren anstatt uns vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen? Ob Aktionen von ähnlichen Aktionen gefolgt und ähnliche Angriffe wiederholt werden, hängt von uns, unserem Umfeld und der sozialen Stimmung ab, nicht von der Meinung der Medien.

5. Eine kurze Auflistung brennender Funkantennen in Deutschland: 12. Mai und 19 Mai 19 in Ravensburg (es folgte eine Verhaftung); 15.9.19 in Ried (Bayern); 31.9.19 in Berglen-Oberweiler (Ba-Wü) – führte zu drei Wochen Netzunterbrechung; 19.11.19 in München; 3.11.19, 21.11.19 und 2.1.20 in Bonn; 21.3.20 Paderborn; 19.2 in München; 19.4.20 in Bonn; 22.5 und 8.7.20 in München; 20.11.20 Gaggenau-Selbach (BaWü); 5.12.20 in Freistett (BaWü); 31.12.20 in Keltern (BaWü) – zwei Wochen ohne Telefon und Internet; Wiesbaden 2.1.21; 26.1.31 in Viechtach (Bayern) Bullen-Tetra-Antenne.

All diese Angriffe haben in den letzten Monaten in Deutschland stattgefunden. Glasfaserkabel sind hier nicht miteinbezogen. Egal von wem sie kommen, drücken sie die Abneigung und Feindschaft Einzelner gegenüber Großprojekten und Technologien der Macht aus. Wesentlich häuger sind anonyme Angriffe auf Bullen, Autos der Stadt oder Ordnungsämter, genauso wie auf Parteibüros. Gelegentlich finden auch anonyme Angriffe auf das Stromnetz statt – in Fiefber-gen (Schleswig-Holstein) brannte beispielsweise am 13. September 2020 eine komplette Windkraftanlage mit sieben Anlagen ab. In den 80ern wurden im Kontext des Anti-AKW-Kampfes in Deutschland circa 80 Strommasten gefällt – fast immer anonym. In Italien waren es hunderte. Wenn in einem Kampf oder einer sozialen Bewegung Aktionen massenhaft wiederholt werden, wenn ein Kampf jedem und jeder leicht zu wiederholende Handlungsvorschläge machen will – sind dies am besten anonyme Angriffe.

Wie selten sich in Deutschland jedoch auf anonyme Aktionen bezogen wird, die aus dem Rahmen fallen und diese als Referenzpunkte dienen, zeigt die eigene Identitäts- und Denkfixiertheit. Es passieren viele anonyme Aktionen, in Dörfern, in Städten und im Nirgendwo, sie können Indizien für sich intensivierende oder verbreitende Konflikte sein (oder für Scheiße – faschistische und rassistische Angriffe sind meist eindeutig und anonym). Oder einfach für Wütende, die gewillt sind anzugreifen. Sobald eine soziale Bewegung oder ein Konikt sich verbreitet, passieren immer anonyme Aktionen. Diese alle in einen Topf zu schmeißen zeugt von Arroganz. Angenommen es entwickelt sich eine Form des neuen Maschinensturm gegen die neuen Technologien, wie er schon während der ersten industriellen Revolution stattgefunden hat – wird die radikale Linke die Positionen der Linken von damals übernehmen und das Pauschalurteil fällen, dass diese Ludditen/ Maschinenstürmer*innen alle konservativ seien, da sie etwas „neues“ angreifen? Oder werden sie sich im Angesicht der brennenden Antennen und Serverfarmen ins Getümmel stürzen und eigene Akzente auf der Straße setzen – in Worten und in Taten?

5. Ein wenig beachteter Punkt: Spurenfrei im Internet zu arbeiten erfordert heutzutage immer mehr Professionalität. Anzugreifen nicht unbedingt. Zu erwarten, dass alle diese Fähigkeiten mit sich bringen, ist absurd.

6. Bei all dem geht es mir keineswegs um Dogmatismus. Zwar denke ich, dass die besten Aktionen für sich selbst sprechen, aber manchmal machen Erklärungen eben auch Sinn. Sei es, weil eine Aktion totgeschwiegen wird (man kann sie in Variationen auch so oft wiederholen, bis das nicht mehr so ist), weil man seine Solidarität mit irgendwas oder irgendwem kundtun will (man kann auch eine Sprüherei hinterlassen oder die Stadt mit tausenden Plakaten überfluten) oder weil man ganz alleine ist und es in der Region keinerlei anarchistische Praxis und Diskurse gibt und man diesen so ein größeres Echo geben will. Oft können Bekenner*innenschreiben auch Dynamiken auslösen – wie dies bspw. vor dem G20-Gipfel oder in Solidarität mit den 3 von der Parkbank geschah. Wie gesagt, Werbung ist ja nicht immer schlecht. Allerdings haben sich in der Vergangenheit fixe und wiederholende Gruppennamen nur allzu oft als Steigleiter für großangelegte repressive Operationen dargestellt. Und im Umkehrschluss Texte nicht zu beachten, weil sie nicht von Aktionen begleitet sind und Aktionen nicht zu beachten, weil sie nicht von Texten begleitet werden und so zu tun als kämen sie alle von Faschos oder seien schlicht und einfach „nicht emanzipatorisch“, da sie es ja nicht so machen wie man selbst, ist wohl eine offensichtliche Sackgasse.