Alle gegen die Junta in Myanmar: Ein Interview mit „Rebel Riot“ und ein Aufruf zur grenzenlosen Solidarität

Via Radio Fragmata

Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen sind über siebenhundert Menschen von der Militärjunta (Tatmadaw) in Myanmar ermordet worden. Ein Putsch wurde am Morgen des 1. Februar 2021 von der Junta unter dem erfundenen Vorwand von Betrug und Ungereimtheiten bei den Wahlergebnissen vom November 2020 durchgeführt. Mit der Machtergreifung rief das Militär einen einjährigen Ausnahmezustand aus und übertrug die Macht sowohl des Präsidenten als auch des Staatsrates auf den Kommandeur und Chef der Streitkräfte Min Aung Hliang.

Die Machtergreifung war nicht unbedingt etwas Neues für Myanmar. Myanmar erklärte 1948 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft und 1962 ergriff das Militär die Macht. Bevor sich die Militärjunta 2011 „offiziell“ auflöste, gab es verschiedene Versuche, die Fassade eines demokratischen Staates zu schaffen, aber das Land war generell in seiner modernen Geschichte der Herrschaft des Militärs ausgeliefert. Während die Junta 2011 behauptete, sich aufgelöst zu haben, behielt sie ein Viertel des Parlaments ungeachtet der Wahlmacht der Bevölkerung bei. Und unabhängig von den Spekulationen darüber, warum der jüngste Putsch zustande kam, ist er für diejenigen, die sich der modernen Geschichte Myanmars bewusst sind, keine Überraschung.

Was bemerkenswert ist, ist die Reaktion des Volkes von Myanmar zu sehen. Nicht nur der Wille und der Mut, sich der Junta zu widersetzen, sondern auch die Leidenschaft für die Freiheit, die so viele Gruppen und Gemeinschaften vereint hat, die so viele Jahre lang gespalten waren (zum strategischen Vorteil des Staates).

Es gibt so viel zu lernen, um die Situation in Myanmar wirklich zu verstehen — nicht nur die Geschichte, sondern auch die Intensität des Gemetzels und des Mutes, der jetzt geschieht — dass wahrscheinlich nur diejenigen, die vor Ort sind, verstehen können.

Wir hatten das Privileg, die burmesische Anarcho-Punk-Band The Rebel Riot zu interviewen.

Während eines kurzen Moments, in dem die Band Internetzugang hatte (da die Regierung routinemäßig das Internet sperrt, um zu verhindern, dass Filmmaterial über ihren Terror internationale Schlagzeilen erreicht), konnten wir einige Fragen stellen, die wir über die Situation dort hatten und die für Anarchist_innen und Antifaschist_innen interessant sind, die die Kämpfe dort unterstützen und im Ausland Solidarität zeigen wollen. Wir wollen bescheiden anmerken, dass diese Fragen von Menschen unter Kriegsbedingungen beantwortet wurden. Wir sind stolz darauf, ihre Antworten zu präsentieren, die unserer Meinung nach zeigen, dass Taten lauter sprechen als Worte. Trotz der Erstweltbesessenheit des Westens mit Theorie und Akademiker_innen sind die besten Antworten manchmal die einfachsten, besonders wenn sie von denen kommen, die nicht das Privileg haben, sich zu überlegen, welche Art von Kampf sie führen sollen, sondern aus einer Position sprechen, in der der Kampf einfach unverzichtbar ist.

Es ist auch wichtig, dass wir uns als Anarchist_innen, die aus dem Westen schreiben, einen Moment Zeit nehmen, um auch die essentiellen Brücken anzuerkennen, die wir mit dem Osten bauen müssen, um eine wirklich grenzenlose anarchistische Solidarität zu erreichen. Wir werden im Anschluss an dieses Interview einige Links einfügen, um einige Aspekte der Situation in Myanmar besser zu verstehen.

Wir fügen dieses Interview ein, um sowohl ein Licht auf die Situation in Myanmar zu werfen, als auch zur Solidarität zu ermutigen, und auch um finanzielle Spenden und Unterstützung aus wohlhabenderen Ländern zu erhalten.


Interview

Die Situation in Myanmar ist offensichtlich zu einer internationalen Nachricht geworden, aber würdet ihr euch einen Moment Zeit nehmen, um die Situation, die dort vor sich geht, aus eurer Sicht zu beschreiben?

Die aktuelle Situation ist seit dem 1. Februar, als der Putsch begann, sehr intensiv. Viele Menschen werden täglich verhaftet und über 700 (von denen wir wissen) wurden ermordet. Die Menschen in Myanmar fühlen einen allgemeinen Mangel an Sicherheit und haben täglich Angst um ihr Leben, immer in der Frage, ob sie verhaftet oder vielleicht getötet werden. Sie verhaften wahllos Menschen, egal ob es Beweise für die Teilnahme am Widerstand gibt oder nicht.

Könnt ihr euch einen Moment Zeit nehmen, um ein wenig zu erklären, wie das Land diesen Punkt erreicht hat. Hat der westliche Kolonialismus eine große Rolle bei der Entstehung der aktuellen Junta?

Von 2010 bis 2020 wurde der Welt eine künstliche Fassade der Demokratie in Myanmar vorgespielt, während die ganze Zeit nur das Militär die Fäden zog. Das Militär will immer die Machtstruktur aufrechterhalten, sie haben nie gewollt, dass die gewählte Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) an der Macht ist. Die NLD hat sowohl 2015 als auch 2020 gewonnen, aber aufgrund der Enttäuschung des Militärs über die Politik der Partei, haben sie die Anschuldigungen des Wahlbetrugs genutzt, um erneut die Macht zu ergreifen. Es ist alles eine Farce der Junta, um ihre Herrschaft zu rationalisieren. Während der westliche Kolonialismus die Geschichte Myanmars beeinflusst, ist der ausländische Hauptschuldige dieses aktuellen Putsches China.

Wir hören von ständigen Massenmorden durch den Staat, sowohl gegen Demonstrierenden in den Städten als auch gegen bewaffnete Gruppen auf dem Land. Könnt ihr die Repression näher beschreiben, die stattfindet?

Wir sehen die Zunahme der Repression als ein Zeichen dafür, dass der Staat die revolutionäre Solidarität unserer Bewegungen gegen ihn fürchtet.

Wie baut ihr als Anarchist_innen in Burma eine Affinität zu den verschiedenen pro-demokratischen und Anti-Putsch-Gruppen auf, die vielleicht nicht eure politische Einstellung teilen?

In diesem Moment geht es uns nicht darum, uns auszusuchen, mit welchen Gruppen wir übereinstimmen. Viele zuvor getrennte Bewegungen und Menschen haben sich im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind zusammengefunden. Wir unterstützen jede Gruppe, die gegen die Junta kämpft, so gut wir können. Wir sind Anarchist_innen und teilen unsere Position und Ideen auf unseren sozialen Medien, aber unsere Solidarität liegt bei denen, die unseren Feind des myanmarischen Staates teilen.

Wie werden Anarchist_innen und Antifaschist_innen von anderen Gruppen, die gegen die Junta kämpfen, wahrgenommen?

Wir wissen nicht, wie sie uns als Anarchist_innen wahrnehmen, wir sind nicht einfach als Anarchist_innen unter den Menschen, wir sind unter allen, die für ihre Rechte kämpfen.

Hat der Aufstand gegen die Junta Gruppen geeint, die vorher zerstritten waren? Wenn ja, wird diese noch nie dagewesene Solidarität zwischen so vielen kämpfenden Gruppen in Myanmar möglicherweise zum Ende der historischen Spaltung der Gesellschaft führen oder ist sie nur Mittel zum Zweck?

Wir sehen die Junta als den gemeinsamen Feind von allen, die sie nicht unterstützen. So viele ethnische Gruppen, die unter dem Terror der Junta gelitten haben, kämpfen Seite an Seite und schließen sich der breiteren Revolte der Bevölkerung an. Alle kommen vereint gegen diesen Terror zusammen, unterdrückte ethnische Gruppen und Bamars haben sich gegen die Junta vereint, und das ist ein positives und beispielloses Ergebnis des Kampfes gegen das aktuelle Militärregime.

Gibt es bestimmte Gruppen, die ihr in diesem Kampf gegen die Junta eher unterstützt als andere?

Wir unterstützen das GSC (Generalstreikkomitee), weil unter den Teilnehmenden dieses Komitees viele Linke sind, aber auch viele Leute aus den Gewerkschaften der Student_innen und der Arbeiter_innen.

Wie variiert der Widerstand gegen die Junta im Land? Ist die Dynamik des Kampfes je nach Stadt oder Region unterschiedlich? Wir sehen Unruhen in einigen Städten und bewaffnete Kämpfe auf dem Land; mit den unerbittlichen militärischen Angriffen der Junta auf die Bevölkerung sind einige besorgt, dass die Dinge beginnen könnten, dem Bürgerkrieg in Syrien zu ähneln. Ist diese Art von Bürgerkrieg etwas, das eurer Meinung nach unvermeidlich ist, wenn das Militär sich weigert, sich dem Volk zu ergeben?

Der Widerstand variiert im ganzen Land. Er hängt von der Gruppe, dem Terrain und dem Willen der Beteiligten ab. Die Bedingungen sind auch von Region zu Region unterschiedlich und der Widerstand muss sich sowohl an städtisches als auch an ländliches Terrain anpassen. Die Unterstützung für die Revolution variiert auch von Region zu Region, abhängig von der Demographie der Bevölkerung. Es gibt Städte, die sich komplett am Generalstreik beteiligen und andere, die sich nur teilweise beteiligen. Es ist nicht einfach, darauf eine Antwort zu geben, und mit einer sich aktiv verändernden Situation, und der Tatsache, dass ich kein politischer Experte bin, kann ich nicht voraussagen, ob wir Syrien werden.

Welche Auswirkungen hatte der Generalstreik?

Der Generalstreik hat im ganzen Land stattgefunden. Der Streik hat definitiv eine Auswirkung und bedroht die Grundlage der Herrschaft der Junta.

Wir haben gelesen, dass angesichts des Generalstreiks, der die Versorgung mit Lebensmitteln und Ressourcen sowie die Stabilität der Arbeiter_innen gefährden könnte, Netzwerke gegenseitiger Hilfe von den Menschen aufgebaut werden, um die Kämpfe stark und die Gemeinschaften stabil zu halten. Ist das eine Realität, eine Fantasie oder etwas Komplizierteres?

Die Solidarität zwischen der einfachen Bevölkerung ist das wichtigste Element dieser sozialen Bewegung gegen die Junta. Trotz schwieriger Bedingungen war der Wille der Menschen, sich gegenseitig gegen den gemeinsamen Feind zu unterstützen, die Grundlage dafür, dass Lebensmittel und Vorräte verfügbar waren. Selbst in schwierigen Zeiten hält uns unsere Solidarität aufrecht. Es ist keine Fantasie — unsere Solidarität ist die Kraft, die unsere Menschlichkeit hier draußen am Leben erhält.

Der Westen hat Aung San Suu Kyi blindlings unterstützt und ihr einen Friedensnobelpreis verliehen, während sie den Genozid an den Rohingya sowie verschiedene andere Gräueltaten des Militärs vorsätzlich ignorierte. Mit so vielen auf den Straßen, die sie unterstützen, und dem Westen, der sich darum reißt, sie zur Anführerin von allem zu ernennen, wie denkt ihr als Anarchist_innen über sie?

Ich persönlich habe Bewunderung und Respekt vor Aung San Suu Kyi. Die Menschen kämpfen für die Freiheit, nicht nur für sie. Aber sie kämpft schon seit vielen Jahren für die Demokratie und für ihr Volk. Ich habe aber auch gemischte Gefühle ihr gegenüber. Während ich sie für die Opfer bewundere, die sie im Kampf für die Demokratie und die Bevölkerung von Myanmar gebracht hat, würde ich nicht zustimmen, dass sie die politische Ikone oder die Heldin unseres Landes oder unserer Bewegung sein soll. Ich habe auch ernsthafte Probleme mit ihrem Schweigen, wenn es um unterdrückte ethnische Gruppen geht, besonders um die Rohingyas, die einem Genozid ausgesetzt sind.

Bei früheren Anti-Junta-Demonstrationen habt ihr den Westen buddhistische Mönche feiern lassen, die „friedlich“ Widerstand gegen das Militär leisten, um „Demokratie“ zu erreichen. Wenn das Militär bedingungslos ein Viertel des Parlaments kontrolliert, ist eine solche „Demokratie“ natürlich nichts weiter als eine Farce. Viele dieser „Anti-Junta“ buddhistischen Mönche haben jedoch eine bösartig nationalistische und rassistische Sichtweise auf marginalisierte Menschen wie die Rohingya eingenommen; sie haben Dörfer angegriffen und niedergebrannt und damit den Grundstein für eine der größten Flüchtlingskrisen der Welt gelegt. Spielen diese Arten von Mönchen weiterhin eine Rolle in der andauernden Revolte und wenn ja, wie geht ihr mit solchen Leuten um?

Wir haben hier drei Arten von Mönchen. Die erste sind diejenigen, die an der Safran-Revolution teilgenommen haben. Die meisten der Mönche, die an der Safran-Revolution teilgenommen haben, sind pro-demokratisch und kümmern sich um die Menschenwürde und einen offenen Geist. Die zweite Art von Mönchen sind die 969 und MABATA Mönche. Sie sind pro-militärisch, rassistisch, sexistisch und homofeindlich. Die meisten von ihnen sind Anti-Rohingya und anti-muslimisch. Die dritte Art von Mönchen ist nicht an Politik interessiert. Sie konzentrieren sich hauptsächlich auf Religion und Wohltätigkeit, aber viele sind auch die Marionetten der Junta.

Wer ist die Basis der Unterstützung für das Militär? Wer unterstützt diese Bastarde tatsächlich? Gehören dazu auch die ehemaligen Mitglieder der rechten buddhistischen nationalistischen 969 Bewegung?

Die meisten Leute, die das Militär unterstützen, sind Kumpane, buddhistische Mönche von 969, Militärmagnaten und -elite, und Prominente, die sich auf einen Ruhm verlassen, der durch ihre militärischen Verbindungen aufrechterhalten wird.

Im syrischen Bürgerkrieg gab es Regionen, die Hungersnöte und chemische Kriegsführung erlebten, während in der vom Militär kontrollierten Stadt Damaskus gleichzeitig ein gewisses Maß an Normalität zu herrschen schien, wenn es um den Alltag ging. Ist das ganze Land in Proteste und Widerstand gegen die Junta verwickelt, oder ist es von Region zu Region unterschiedlich, je nach Loyalität zur Junta?

Jede Region ist anders. Einige Regionen haben mehr Internet- und Mediensperren als andere. Diejenigen, die mehr Blackouts haben, sind tendenziell die Gebiete mit mehr Widerstand. Diese Regionen sind auch typischerweise mit mehr Repressionen und Verhaftungen konfrontiert. Einige Regionen befinden sich bereits in einem Zustand, den viele als bürgerkriegsähnlich bezeichnen würden. Es ist schwer, die Zukunft einzuschätzen, aber ich würde sagen, dass eine Normalität hier im Vergleich zu Syrien immer wahrscheinlicher wird, wenn die Junta sich weigert, zurückzutreten, da so wenige Menschen sie unterstützen.

Wie schätzt ihr die Möglichkeit einer westlichen Intervention ein? Können Sanktionen der Junta etwas anhaben, oder lähmen sie nur die ärmsten Menschen in Myanmar?

Sanktionen lähmen die Wirtschaft mit Sicherheit, was beide Seiten betrifft. Der Verlust von Arbeitsplätzen und die Zunahme der Prekarität trifft sicherlich die Armen als Folge der internationalen Sanktionen. Aber sie lähmen auch die Wirtschaft in einer Weise, die auch die Junta destabilisiert. Unglücklicherweise wird die Arbeiter_innenklasse von der Junta umso mehr unterdrückt, je mehr die Wirtschaft lahmgelegt wird.

Gibt es einen Bedarf an finanzieller Unterstützung oder anderer logistischer Hilfe? Wenn ja, gibt es sichere und verlässliche Wege für Menschen, aus dem Ausland zu spenden, und bestimmte Fonds oder Organisationen, die ihr vorschlagt zu unterstützen?

Wir brauchen sowohl finanzielle als auch logistische Unterstützung. Du kannst einen Protest in deinem eigenen Land bei der Botschaft von Myanmar organisieren. Wenn jemand unsere Bemühungen finanziell unterstützen möchte, kann er über unseren Messenger auf unserer Seite spenden: Food Not Bombs Myanmar.

Abgesehen von der benötigten finanziellen und/oder ressourcenbezogenen Unterstützung, was ist eure Botschaft an die Menschen in der Außenwelt? Auf welche Weise können Menschen ihre Solidarität mit eurem Kampf zeigen?

Faschismus und Autoritarismus ist nicht nur ein Problem in Myanmar, sondern auf der ganzen Welt. Um eine bessere Welt zu schaffen, müssen wir unsere Pflichten als Menschen erfüllen und dem Faschismus und Autoritarismus überall widerstehen. Wenn wir dieses bösartige System ignorieren, werden wir zulassen, dass noch mehr Böses die Welt kontrolliert.

Wir brauchen weltweite Solidarität, um das faschistische System zu bekämpfen.


Einige Links und Artikel zum weiteren Verständnis der politischen Situation in Myanmar:

Keep the Streets — Coup, Crisis, and Capital in Myanmar

Dead Generations

Rebel Riot — The punk soundtrack to Myanmar’s anti-coup protests

Rethinking Myanmar’s Left Intellectual History