Kriminelle Intimität [A Gang of Criminal Queers]

Essay von der Mary Nardini Gang/A Gang of Criminal Queers. Dieser Texte stammt von Bash Back! — Bash Back! war eine queere anarchistische Tendenz, die im Mittleren Westen begann. Ihr Ziel war es, ein Netzwerk für queere Anarchist_innen zu sein, um sich zu vernetzen und der erbärmlichen Normalität von Kapital, Staat und Heterosexualität entgegenzutreten.

Weil die Nacht den Liebenden gehört. Weil die Nacht uns gehört.
-Patti Smith

Über Abgestorbenheit

In dieser Kultur zu leben bedeutet, tot zu sein, nackt. Abgestorbenheit ist der Affekt und das Bestreben der dominanten sozialen Zugehörigkeit. Es ist die soziale Beziehung, in der das Leben auf Austausch und Kapital reduziert wird. Sie ist überall: in denen, die durch die Straßen gehen, ohne jemals einem anderen Menschen zu begegnen, im Austausch von Dienstleistungen, in den Gängen eines Kaufhauses und in den Kirchenbänken. Im Kapital, in der Heteronormativität, im Gesetz, in der Moral – überall ist es die Logik des Todes.

Die Undenkbarkeit unseres Begehrens wird immer wieder wiederholt. Macht und Kontrolle sind auf unsere Körper geschrieben. Was ist Leidenschaft? Begierde? Abenteuer? Spiel? Was, wenn nicht solche eingängigen Slogans für die Werbung. Unsere Liebe und unser Appetit und unsere Körper sind in diese Kultur eingeschrieben. Das Kapital ist auf unsere Körper geschrieben. Wir wagen nicht zu träumen. Wie könnten wir uns mehr wünschen als das?

Und die Agent_innen und Bemühungen der Biomacht – die Stiefel der Queerbasher, die panoptischen, allgegenwärtigen Überwachungskameras mit den blinkenden blauen Lichtern, die Sirenen und Pistolen der Polizei, die Kampagnen für die Homo-Ehe und den Wehrdienst, die anhaltenden Schmerzen der Monogamie und solche wohlgeformten Schaufensterpuppen, ad nauseum – stehen überall als Kontrollpunkte errichtet, die die Unmöglichkeit von etwas anderem garantieren. Das nackte Leben ist nichts weiter als das nackte Überleben – abgedroschen, kalt, betäubend. Könnte es noch deutlicher sein? Der Hetero-Kapitalismus, diese Kultur, diese Totalität: Sie ist darauf aus, uns zu zerstören.

Nehmen und Teilen: Über das Erhalten dessen, was uns gehört

Die Maschinerie der Kontrolle hat unsere bloße Existenz illegal gemacht. Wir haben die Kriminalisierung und Kreuzigung unserer Körper, unseres Sexes, unserer widerspenstigen Geschlechter ertragen. Razzien, Hexenjagden, Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen. Wir haben den Raum der Abweichler_innen, der Huren, der Perversen und der Abscheulichkeiten besetzt. Diese Kultur hat uns kriminell gemacht, und natürlich haben wir im Gegenzug unser Leben dem Verbrechen gewidmet. Durch die Kriminalisierung unseres Vergnügens haben wir das Vergnügen im Verbrechen gefunden! Indem wir für das, was wir sind, geächtet werden, haben wir entdeckt, dass wir in der Tat verdammt geächtet sind!

Viele machen Queers für den Niedergang dieser Gesellschaft verantwortlich – wir sind stolz darauf. Einige glauben, dass wir vorhaben, diese Zivilisation und ihr moralisches Gefüge in Stücke zu reißen – sie könnten nicht zutreffender sein. Wir werden oft als verdorben, dekadent und abscheulich beschrieben – aber oh, sie haben noch nichts gesehen.

Lasst uns deutlich sein: Wir sind kriminelle queere Anarchist_innen und diese Welt ist nicht genug und kann niemals genug für uns sein. Wir wollen die bürgerliche Moral auslöschen und diese Welt in Schutt und Asche legen. Wir sind hier, um zu zerstören, was uns zerstört.

Wir wollen von Revolte sprechen. Wir verfolgen die Linie unserer queeren Kriminalität und zeichnen den Untergang der gesellschaftlichen Ordnung auf. Und oh der Nektar, aus dem wir trinken: lesbische Piratinnen, die auf den Meeren wüten, queere Randalierende, die Polizeiautos in Brand setzen, Sexpartys inmitten des Verfalls des Industrialismus, Bankräuber_innen, die rosa Dreiecke tragen, gegenseitige Hilfsnetzwerke unter Sexarbeiter_innen und Dieb_innen, Gangs von Trannyfags, die verdammt nochmal zurückschlagen. Man hat uns versichert, dass jeder Tag unser letzter sein könnte. Deshalb haben wir uns entschieden, so zu leben, als ob jeder Tag einer wäre. Im Gegenzug versprechen wir, dass die Tage des Bestehenden gezählt sind.

In unserer Revolte entwickeln wir eine Form des Spiels. Es sind unsere Experimente mit Autonomie, Macht und Kraft. Wir bezahlen nicht für alles, was wir tragen, und wir bezahlen selten für Essen. Wir klauen bei unseren Jobs und wenden Tricks an, um über die Runden zu kommen. Wir ficken in der Öffentlichkeit und sind noch nie härter gekommen. Wir tauschen Tipps und Betrügereien inmitten von Klatsch und Vorspiel aus. Wir haben Orte geplündert und genießen es, die Beute zu teilen.

Wir machen nachts Sachen kaputt, halten Händchen und hüpfen den ganzen Weg nach Hause. Wir bauen unsere informellen Unterstützungsstrukturen immer weiter aus und werden uns immer den Rücken freihalten. In unseren Orgien, Krawallen und Raubzügen artikulieren wir die Kollektivität dieser Brüche und vertiefen sie.

Über kriminelle Intimität, Weltgestaltung und das Was-auch-immer-Werden

Die Ekstase und Elektrizität des Verbrechens ist unbestreitbar. Wir haben die süßesten Adrenalinschübe gespürt, als wir von der Sicherheitskontrolle abgehauen sind und uns im Bus gegenseitig einen geblasen haben. Und nichts bietet das Gefühl, lebendig zu sein, mehr als das Gewicht eines Hammers durch die Fassade des Kapitals. Verbrechen hilft mir jeden Morgen aus dem Bett zu kommen.

Wir Queers und andere Aufständische haben das entwickelt, was die Gutmenschen eine kriminelle Intimität nennen könnten. Wir erforschen die materielle und affektive Solidarität, die zwischen Geächteten und Rebell_innen gepflegt wird. In unserer Obstruktion des Gesetzes haben wir auf illegale Weise die Schönheit in uns selbst entdeckt. Indem wir unseren Partner_innen im Verbrechen unser Begehren offenbaren, lernen wir uns intimer kennen, als es die Legalität jemals erlauben könnte. Im Begehren produzieren wir Konflikte. Und im Konflikt mit dem Kapital haben wir vielleicht einen Fluchtweg aus der Abstumpfung unseres Lebens gefunden. Der Diskurs unserer Gang ist der Konflikt.

Die wirkliche Macht, die in unseren Verbrechen zum Ausdruck kommt, liegt nicht in dem Schaden, den wir unseren Feinden zufügen, oder gar in den verschiedenen Verbesserungen unserer materiellen Bedingungen (obwohl wir an beidem Freude haben). Die Macht, die wir ausdrücken, liegt in den Ermächtigungen und Beziehungen, die wir schaffen. In unserem Sex und unserem Angriff – wenn wir unsere Masken herunterreißen und unseren Vorrat an Steinen teilen – erweitern wir die Möglichkeiten unserer Affinität. In unserem Verbrechen erschaffen wir dynamische neue Beziehungen von kriminellen Intimitäten. In diesen Möglichkeiten lernen wir, wie wir gemeinsam diese Welt in Schutt und Asche legen können.

Wir müssen uns zu Körpern ohne Organe machen. In jedem*r von uns ist ein virtueller Pool von allem enthalten, was wir werden können – unsere Wünsche, Affekte, Macht, Handlungsweisen und unendlichen Möglichkeiten. Um diese Möglichkeiten zu verkörpern und zu aktivieren, müssen wir mit der Art und Weise experimentieren, wie unsere Körper in Verbindung mit anderen agieren. Wir begehen gemeinsam Verbrechen, damit wir unser kriminelles Werden enthüllen können.

Wir bieten ‚kriminell‘ oder ‚queer‘ nicht als Identitäten, noch als Kategorien an. Kriminalität. Queerness. Das sind Werkzeuge der Revolte gegen Identität und Kategorie. Das sind unsere Fluchtlinien aus allen Beschränkungen. Wir sind im Konflikt mit allem, was jedes Begehren einschränkt. Wir werden zu was auch immer. Unsere einzige Gemeinsamkeit ist unser Hass auf alles, was existiert. Gemeinsam ist, dass eine solche Revolte des Begehrens niemals in die Staatsform eingegliedert werden kann.

Rechte TV-Redner_innen beschwören das Bild eines „Kulturkriegs“, der zwischen der Zivilgesellschaft auf der einen Seite und den Queers auf der anderen Seite geführt wird. Wir lehnen dieses Modell des Krieges ab. Unser Krieg ist ein sozialer Krieg. Die Verflechtung von Herrschaft und Klassengesellschaft ist überall. Doch überall gibt es auch Brüche und Konfliktpunkte. In diesen Brüchen existieren wir in Rebellion – wir Queers, Kriminelle, was auch immer.

Unser Dirty Talk und unser nächtliches Geflüster bilden eine Geheimsprache. Unsere Sprache der Dieb_innen und Liebhaber_innen ist dieser sozialen Ordnung fremd, trägt aber die süßesten Töne in den Ohren der Rebell_innen. Diese Sprache offenbart unser Potenzial zur Weltgestaltung. Unser Konflikt ist der Raum für die Entfaltung unseres möglichen anderen Selbst. Indem wir unser geheimes Universum des gemeinsamen Überflusses und der kollektiv-explosiven Möglichkeit organisieren, bauen wir eine neue Welt des Aufruhrs, der Orgie und der Dekadenz.