Digitaler Kolonialismus: Die Entwicklung des amerikanischen Imperiums

Der Kolonialismus hat sich zunehmend digitalisiert. Amerikanische Big-Tech-Konzerne erzielen massive Gewinne durch ihre Kontrolle über Wirtschaft, Arbeit, soziale Medien und Entertainment im Globalen Süden. Dieser Essay von Michael Kwet ist ein wertvoller Beitrag über die Architektur des digitalen Kolonialismus und der damit verbundenen Arbeitsausbeutung, der Kolonisierung der Bildung sowie der digitalen Weiterentwicklung des Polizeistaates. Während mir die Technologie-Verliebtheit unter manchen „Radikalen“ unbegreiflich bis hinzu zuwider ist, zeigt dieser Essay eindrucksvoll warum Radikale der anarchistischen und antagonistischen Bewegung kritisch gegenüber Technologie stehen sollten (Tech wird auch nicht plötzlich befreiend, wenn sie „endlich in den richtigen Händen liegt“).

Im Jahr 2020 haben die Milliardär:innen wie Bandit:innen verdient. Jeff Bezos‘ persönlicher Besitz stieg von 113 auf 184 Milliarden Dollar. Elon Musk stellte Bezos kurzzeitig in den Schatten und steigerte sein Vermögen von 27 Milliarden Dollar auf über 185 Milliarden Dollar. Für die Bourgeoisie, die den Vorsitz der „Big Tech“-Konzernen führt, ist das Leben großartig.

Doch während die erweiterte Dominanz dieser Konzerne auf ihren heimischen Märkten Gegenstand zahlreicher kritischer Analysen ist, ist ihre globale Reichweite eine Tatsache, die nur selten diskutiert wird, insbesondere von den vorherrschenden Intellektuellen im amerikanischen Imperium.

Tatsächlich wird, sobald wir die Mechanik und die Zahlen untersuchen, deutlich, dass Big Tech nicht nur global ist, sondern grundlegend kolonialen Charakter hat und von den Vereinigten Staaten beherrscht wird. Dieses Phänomen wird „digitaler Kolonialismus“ genannt.

Wir leben in einer Welt, in der der digitale Kolonialismus nun Gefahr läuft, zu einer ebenso bedeutenden und weitreichenden Bedrohung für den Globalen Süden zu werden, wie es der klassische Kolonialismus in früheren Jahrhunderten war. Starke Zunahme der Ungleichheit, der Anstieg der staatlich-unternehmerischen Überwachung und hochentwickelte Polizei- und Militärtechnologien sind nur einige der Folgen dieser neuen Weltordnung. Das Phänomen mag für einige neu klingen, aber im Laufe der letzten Jahrzehnte hat es sich im globalen Status Quo verfestigt. Ohne eine beträchtlich starke Gegenmachtbewegung wird sich die Situation noch viel schlimmer gestalten.

WAS IST DIGITALER KOLONIALISMUS?

Digitaler Kolonialismus ist die Nutzung digitaler Technologie zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beherrschung einer anderen Nation oder eines Territoriums.

Im klassischen Kolonialismus haben die Europäer:innen fremdes Land beschlagnahmt und besiedelt; Infrastruktur wie militärische Festungen, Seehäfen und Eisenbahnen errichtet; Kanonenboote für die wirtschaftliche Durchdringung und militärische Eroberung eingesetzt; schwere Maschinen gebaut und Arbeitskräfte ausgebeutet, um Rohstoffe zu gewinnen; panoptische Strukturen errichtet, um die Arbeiter:innen zu überwachen; indigenes Wissen für Herstellungsprozesse abgeschöpft; die Rohstoffe zurück ins Mutterland für die Produktion von Industriegütern verschifft; die Märkte des Globalen Südens mit billigen Industriegütern untergrub; die Abhängigkeit von Völkern und Nationen im Globalen Süden in einer ungleichen globalen Arbeitsteilung verewigte; und die Markt-, diplomatische und militärische Vorherrschaft für Profit und Plünderung erweiterte.

Mit anderen Worten, der Kolonialismus hing von dem Besitz und der Kontrolle von Territorium und Infrastruktur, der Extraktion von Arbeit, Wissen und Waren und der Ausübung von Staatsmacht ab.

Dieser Prozess entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg, wobei neue Technologien hinzukamen, sobald sie entwickelt wurden. Im späten 19. Jahrhundert ermöglichten Unterseekabel die telegrafische Kommunikation im Dienste des britischen Empires. Neue Entwicklungen in der Aufzeichnung, Archivierung und Organisation von Informationen wurden vom US-Militärnachrichtendienst genutzt, der zuerst bei der Eroberung der Philippinen eingesetzt wurde.

Heute sind Eduardo Galeanos „offene Adern“ des Globalen Südens die „digitalen Adern“, die die Ozeane durchqueren und ein Tech-Ökosystem verkabeln, das einer Handvoll meist US-amerikanischer Konzerne gehört und von ihnen kontrolliert wird. Einige der transozeanischen Glasfaserkabel sind mit Strängen versehen, die Google und Facebook gehören oder von ihnen geleast wurden, um ihre Datenextraktion und Monopolisierung voranzutreiben. Die schwere Maschinerie von heute sind die von Amazon und Microsoft dominierten Cloud-Server-Farmen, die zum Speichern, Zusammenführen und Verarbeiten von Big Data genutzt werden und sich wie Militärbasen für das US-Imperium ausbreiten. Die Ingenieur:innen sind die Konzernarmeen von Eliteprogrammierer:innen mit großzügigen Gehältern von 250.000 Dollar und mehr. Die ausgebeuteten Arbeiter:innen sind die People of Color, die die Mineralien im Kongo und in Lateinamerika abbauen, die Armeen von billigen Arbeitskräften, die die Daten der künstlichen Intelligenz in China und Afrika vermerken und die asiatischen Arbeiter:innen, die an PTBS leiden, nachdem sie die Social-Media-Plattformen von verstörenden Inhalten bereinigt haben. Die Plattformen und Spionagezentren (wie die NSA) sind die Panoptiken, und die Daten sind das Rohmaterial, das für auf künstlicher Intelligenz basierende Dienste verarbeitet wird.

Im weiteren Sinne geht es beim digitalen Kolonialismus um die Festigung einer ungleichen Arbeitsteilung, bei der die dominanten Mächte ihren Besitz an digitaler Infrastruktur, Wissen und ihre Kontrolle über die Rechenmittel dazu genutzt haben, den Süden in einer Situation der permanenten Abhängigkeit zu halten. Diese ungleiche Arbeitsteilung hat sich weiterentwickelt. Ökonomisch gesehen ist die Produktion in der Wertehierarchie nach unten gerutscht und wurde von einer fortschrittlichen Hightech-Wirtschaft verdrängt, in der die Big-Tech-Firmen das Sagen haben.

DIE ARCHITEKTUR DES DIGITALEN KOLONIALISMUS

Der digitale Kolonialismus wurzelt in der Herrschaft über das „Zeug“ der digitalen Welt, das die Mittel zur Berechnung bildet – Software, Hardware und Netzwerkverbindungen.

Er umfasst die Plattformen, die als Gatekeeper fungieren, die Daten, die von zwischengeschalteten Dienstleistern extrahiert werden und die Industriestandards, sowie das private Eigentum an „geistigem Eigentum“ und „digitaler Intelligenz“. Der digitale Kolonialismus hat sich in hohem Maße mit den konventionellen Werkzeugen des Kapitalismus und der autoritären Herrschaft verflochten, von der Ausbeutung der Arbeitskraft, der politischen Vereinnahmung und der wirtschaftlichen Planung bis hin zu Geheimdiensten, der Hegemonie der herrschenden Klasse und der Propaganda.

Wenn wir zuerst auf Software schauen, können wir einen Prozess sehen, in dem Code, der einst frei und weitläufig von Programmierenden geteilt wurde, zunehmend privatisiert und dem Urheberrecht unterworfen wurde. In den 1970er und 80er Jahren begann der US-Kongress, die Software-Urheberrechte zu stärken. Es gab einen Gegentrend dazu in Form von „Free and Open Source Software“ (FOSS)-Lizenzen, die den Nutzenden das Recht einräumten, Software zu nutzen, zu studieren, zu verändern und zu teilen. Dies hatte inhärente Vorteile für die Länder des Globalen Südens, da es ein „digitales Gemeingut“ schuf, frei von unternehmerischer Kontrolle und dem Streben nach Profit. Doch als sich die Freie-Software-Bewegung im Süden ausbreitete, löste sie eine Gegenreaktion der Unternehmen aus. Microsoft verhöhnte Peru, als dessen Regierung versuchte, von Microsofts proprietärer Software wegzukommen. Es versuchte auch, afrikanische Regierungen daran zu hindern, das FOSS-Betriebssystem GNU/Linux in Ministerien und Schulen einzusetzen.

Zusammen mit der Privatisierung von Software kam die schnelle Zentralisierung des Internets in die Hände von zwischengeschalteten Dienstleistern wie Facebook und Google. Entscheidend ist, dass der Wechsel zu Cloud-Diensten die Freiheiten, die FOSS-Lizenzen den Nutzenden gewährt hatten, zunichte machte, weil die Software auf den Computern der Big Tech-Konzerne ausgeführt wird. Unternehmens-Clouds enteignen die Menschen der Fähigkeit, ihre Computer zu kontrollieren. Cloud-Dienste liefern Petabytes an Informationen an Konzerne, die diese Daten nutzen, um ihre künstlichen Intelligenzsysteme zu trainieren. KI nutzt Big Data, um zu „lernen“ – sie benötigt Millionen von Bildern, um zum Beispiel den Buchstaben „A“ in seinen verschiedenen Schriftarten und Formen zu erkennen. Auf den Menschen angewandt, werden die sensiblen Details des persönlichen Lebens der Menschen zu einer unglaublich wertvollen Ressource, die Tech-Giganten unaufhörlich versuchen zu extrahieren.

In den südlichen Ländern ist die Mehrheit der Menschen mit einfachen Handys oder Smartphones ausgestattet, die nur wenige Daten speichern können. Infolgedessen erleben viele Millionen Menschen Plattformen wie Facebook als „das Internet“, und Daten über sie werden von ausländischen Imperialist:innen konsumiert.

„Rückkopplungseffekte“ von Big Data verschlimmern die Situation: Wer mehr und bessere Daten hat, kann die besten Dienste mit künstlicher Intelligenz erstellen, was mehr Nutzende anzieht, die ihnen noch mehr Daten geben, um den Dienst besser zu machen und so weiter. Ähnlich wie im klassischen Kolonialismus werden Daten als Rohstoffe für die imperialistischen Mächte aufgenommen, die die Daten verarbeiten und die Dienste wieder für die globale Öffentlichkeit herstellen, was ihre Herrschaft weiter stärkt und alle anderen in eine untergeordnete Situation der Abhängigkeit bringt.

Cecilia Rikap, in ihrem demnächst erscheinenden Buch, Capitalism, Power and Innovation: Intellectual Monopoly Capitalism Uncovered, zeigt, wie die US-Tech-Giganten ihre Marktmacht auf ihre intellektuellen Monopole stützen und eine komplexe Warenkette von untergeordneten Firmen befehligen, um Abgaben zu extrahieren und Arbeit auszubeuten. Dies hat ihnen die Fähigkeit gegeben, das „Know-Who“ und „Know-How“ zu akkumulieren, um globale Wertschöpfungsketten zu planen und zu organisieren, sowie Wissen zu privatisieren und die „Knowledge Commons“ und öffentliche Forschungsergebnisse zu enteignen.

Apple, zum Beispiel, zieht Abgaben aus dem geistigen Eigentum und dem Branding für seine Smartphones, und es koordiniert die Produktion entlang der Warenkette. Die Produzierenden auf den unteren Ebenen, wie z.B. die Handy-Monteur:innen in den Fabriken des taiwanesischen Unternehmens Foxconn, die Mineralien, die für die Batterien im Kongo abgebaut werden und die Chipherstellenden, die die Prozessoren liefern, sind alle den Anforderungen und Launen von Apple untergeordnet.

Mit anderen Worten, die Tech-Giganten kontrollieren die Geschäftsbeziehungen in der gesamten Rohstoffkette und profitieren von ihrem Wissen, ihrem angehäuften Kapital und ihrer Dominanz über die wichtigsten funktionalen Komponenten. Dies ermöglicht es ihnen, selbst relativ große Unternehmen, die ihre Produkte in Massenproduktion herstellen, herunterzuhandeln oder als Untergebene zu entlassen. Universitäten sind mitschuldig. Die prestigeträchtigsten in den imperialistischen Kernländern sind die dominantesten Akteure im akademischen Produktionsraum, während die verwundbarsten Universitäten in der Peripherie oder Halbperipherie am meisten ausgebeutet werden, da ihnen oft die Mittel für Forschung und Entwicklung, das Wissen oder die Fähigkeit, Erkenntnisse zu patentieren, und die Ressourcen, sich zu wehren, wenn ihre Arbeit enteignet wird, fehlen.

KOLONISIERUNG DER BILDUNG

Ein Beispiel dafür, wie sich der digitale Kolonialismus auswirkt, ist der Bildungssektor.

Wie ich in meiner Dissertation über Bildungstechnologie in Südafrika ausführlich darlege, lassen Microsoft, Google, Pearson, IBM und andere Tech-Giganten ihre Muskeln in den Bildungssystemen des globalen Südens spielen. Für Microsoft ist das nichts Neues. Wie bereits erwähnt, hat Microsoft versucht, afrikanische Regierungen unter Druck zu setzen, um Freie Software durch Microsoft Windows zu ersetzen, auch in Schulen.

In Südafrika hat Microsoft eine Armee von Lehrkraftausbildenden vor Ort, die Lehrkräfte darin schulen, wie eins Microsoft-Software im Bildungssystem einsetzt. Microsoft hat auch Universitäten wie der Universität von Venda Windows-Tablets und Microsoft-Software zur Verfügung gestellt, eine Partnerschaft, die es ausgiebig beworben hat. In jüngerer Zeit ging das Unternehmen eine Partnerschaft mit dem Mobilfunkanbieter Vodacom (mehrheitlich im Besitz des britischen Multis Vodafone) ein, um südafrikanischen Schüler:innen digitale Bildung zu ermöglichen.

Während Microsoft der Top-Anbieter ist, mit Verträgen in mindestens fünf der neun provinziellen Bildungsabteilungen in Südafrika, strebt auch Google nach Marktanteilen. In Partnerschaft mit dem südafrikanischen Startup CloudEd versuchen sie, den ersten Google-Vertrag mit einer Provinzabteilung abzuschließen.

Auch die Michael and Susan Dell Foundation ist mit von der Partie und bietet den Provinzregierungen eine Data Driven District (DDD) Plattform an. Die DDD-Software wurde entwickelt, um Daten zu sammeln, die Lehrkräfte und Schüler:innen verfolgen und überwachen, einschließlich Noten, Anwesenheit und „soziale Themen“. Während die Schulen die gesammelten Daten wöchentlich und nicht in Echtzeit hochladen, ist das ultimative Ziel die Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Schüler:innen in Echtzeit für das bürokratische Management und die „longitudinale Datenanalyse“ (Analyse von Daten, die über dieselbe Gruppe von Individuen im Laufe der Zeit gesammelt wurden).

Die südafrikanische Regierung baut auch die Cloud des Department of Basic Education (DBE) aus, die letztendlich für eine invasive technokratische Überwachung genutzt werden könnte. Microsoft ist an das DBE mit dem Vorschlag herangetreten, Daten „für den Lebenszyklus des Nutzenden“ zu sammeln, beginnend mit der Schule und, für diejenigen, die Microsoft Office-365-Konten behalten, bis ins Erwachsenenalter, so dass die Regierung longitudinale Analysen über Dinge wie den Zusammenhang zwischen Bildung und Beschäftigung durchführen kann.

Der digitale Kolonialismus von Big Tech breitet sich schnell in den Bildungssystemen des Südens aus. Giselle Ferreira und ihre Co-Autor:innen schreiben aus Brasilien: „Die Ähnlichkeit zwischen dem, was in Brasilien passiert, und Kwets Analyse des südafrikanischen Falles (und wahrscheinlich anderer Länder im ‚globalen Süden‘) ist frappierend. Insbesondere wenn GAFA [Google, Amazon, Facebook, Apple]-Unternehmen benachteiligten Schüler:innen großzügig Technologien zur Verfügung stellen, werden Daten ungehindert extrahiert und anschließend auf eine Art und Weise behandelt, die lokale Besonderheiten unwichtig werden lässt.“

Schulen sind großartige Orte für Big Tech, um ihre Kontrolle über digitale Märkte zu erweitern. Arme Menschen im Süden sind oft darauf angewiesen, dass Regierungen oder Konzerne ihnen ein Gerät kostenlos zur Verfügung stellen, was sie davon abhängig macht, welche Software sie nutzen. Welchen besseren Weg gibt es, Marktanteile zu erobern, als Big-Tech-Software auf Geräte vorzuladen, die Kindern angeboten werden – die vielleicht kaum einen anderen Zugang zu Technik haben als ein Feature Phone? Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass eins zukünftige Softwareentwickler:innen einfängt, die vielleicht Google oder Microsoft bevorzugen (anstatt die auf Freier Software basierenden Tech-Lösungen), nachdem sie Jahre damit verbracht haben, deren Software zu benutzen und sich an deren Oberfläche und Funktionen gewöhnt haben.

ARBEITSAUSBEUTUNG

Digitaler Kolonialismus zeigt sich auch in der Art und Weise, wie die Länder des Globalen Südens stark für niedere Arbeiten ausgebeutet werden, um die entscheidenden Inputs für digitale Technologien zu liefern. Es ist schon lange bekannt, dass die Demokratische Republik Kongo mehr als 70 Prozent des weltweiten Kobalts liefert, ein wichtiges Mineral für Batterien, die in Autos, Smartphones und Computern verwendet werden. Vierzehn Familien in der Demokratischen Republik verklagen derzeit Apple, Tesla, Alphabet, Dell und Microsoft und werfen ihnen vor, von Kinderarbeit in der Kobaltabbauindustrie zu profitieren. Der Prozess des Abbaus von Mineralien selbst hat oft negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter:innen und die sie umgebenden Lebensräume.

Was Lithium betrifft, so befinden sich die größten Reserven in Chile, Argentinien, Bolivien und Australien. Die Löhne der Arbeiter:innen in allen lateinamerikanischen Ländern sind im Vergleich zu wohlhabenden Ländern niedrig, besonders wenn eins die Arbeitsbedingungen bedenkt, die sie ertragen müssen. Während die Verfügbarkeit von Daten variiert, verdienen die in den Minen Beschäftigten in Chile zwischen etwa 1430 und 3000 US-Dollar pro Monat, während in Argentinien die Monatslöhne zwischen 300 und 1800 US-Dollar liegen können. Im Jahr 2016 wurde der monatliche Mindestlohn für Bergleute in Bolivien auf 250 US-Dollar erhöht. Im Gegensatz dazu verdienen australische Bergleute rund 9000 US-Dollar im Monat und können 200.000 US-Dollar im Jahr erreichen.

Länder des Südens bieten auch eine Fülle an billigen Arbeitskräften für Tech-Giganten. Dazu gehören Datenannotation für Datensätze der künstlichen Intelligenz, Call-Center-Arbeiter:innen und Content-Moderator:innen für Social-Media-Giganten wie Facebook. Content-Moderator:innen säubern Social-Media-Feeds von verstörenden Inhalten, wie z.B. Gore und sexuell explizites Material, was sie oft psychisch beschädigt zurücklässt. Dennoch kann ein:e Content-Moderator:in in einem Land wie Indien nur 3500 US-Dollar pro Jahr verdienen – und das nach einer Gehaltserhöhung von 1400 US-Dollar.

EIN CHINESISCHES ODER US-AMERIKANISCHES DIGITALES IMPERIUM?

Im Westen wird viel über „einen neuen Kalten Krieg“ geredet, in dem die USA und China um die globale technologische Vorherrschaft kämpfen. Doch ein genauer Blick auf das Tech-Ökosystem zeigt, dass US-Konzerne die Weltwirtschaft mit überwältigender Mehrheit dominieren.

China generiert nach jahrzehntelangem hohen Wachstum rund 17 Prozent des globalen BIPs und wird laut Prognosen die USA bis 2028 überholen, was die Behauptung untermauert, dass das amerikanische Imperium im Niedergang begriffen ist (ein Narrativ, das früher mit dem Aufstieg Japans populär war). Wenn eins die chinesische Wirtschaft an der Kaufkraftparität misst, ist sie bereits größer als die USA. Doch wie der Ökonom Sean Starrs in der New Left Review aufzeigt, behandelt dies die Staaten fälschlicherweise als in sich geschlossene Einheiten, „die wie Billardkugeln auf einem Tisch interagieren.“ In Wirklichkeit, so Starrs, hat die amerikanische wirtschaftliche Dominanz „nicht abgenommen, sie hat sich globalisiert“. Dies gilt besonders, wenn eins sich Big Tech ansieht.

In der Nachkriegszeit wurde die Produktion der Unternehmen über transnationale Produktionsnetzwerke verteilt. In den 1990er Jahren begannen Unternehmen wie Apple damit, die Elektronikproduktion aus den USA nach China und Taiwan auszulagern und Arbeiter:innen in Sweatshops wie Foxconn auszubeuten. Transnationale US-Tech-Unternehmen entwerfen oft die IP für z.B. Hochleistungs-Router-Switches (z.B. Cisco), während sie die Produktionskapazitäten an Hardware-Hersteller im Süden auslagern.

Starrs hat die 2000 größten börsennotierten Unternehmen der Welt nach der Forbes Global 2000 Rangliste in 25 Sektoren eingeteilt, was die Dominanz der transnationalen US-Unternehmen zeigt. Im Jahr 2013 dominierten sie hinsichtlich der Gewinnanteile in 18 der 25 Top-Sektoren. In seinem demnächst erscheinenden Buch American Power Globalized: Rethinking National Power in the Age of Globalization zeigt Starrs, dass die USA weiterhin dominant sind. Im Bereich IT Software & Services liegt der Gewinnanteil der USA bei 76 Prozent gegenüber 10 Prozent in China; im Bereich Technologie-Hardware & -Equipment liegt er bei 63 Prozent für die USA gegenüber 6 Prozent für China, und im Bereich Elektronik bei 43 bzw. 10 Prozent. Andere Länder, wie Südkorea, Japan und Taiwan, schneiden in diesen Kategorien oft besser ab als China.

Die USA und China als gleichwertige Konkurrenten im Kampf um die globale Tech-Vorherrschaft darzustellen, wie es oft getan wird, ist daher höchst irreführend. Ein Bericht der Vereinten Nationen zur „Digitalen Wirtschaft“ aus dem Jahr 2019 stellt zum Beispiel fest, dass: „Die digitale Wirtschaft ist stark auf zwei Länder konzentriert“ – die Vereinigten Staaten und China. Aber der Bericht ignoriert nicht nur Faktoren, die von Autor:innen wie Starrs identifiziert wurden, er berücksichtigt auch nicht die Tatsache, dass der größte Teil der chinesischen Tech-Industrie innerhalb Chinas dominiert, mit Ausnahme einer Handvoll wichtiger Produkte und Dienstleistungen, wie 5G (Huawei), Überwachungskameras (Hikvision, Dahua) und soziale Medien (TikTok), die auch im Ausland große Marktanteile haben. China hat auch beträchtliche Investitionen in einige ausländische Tech-Firmen, aber das deutet kaum auf eine echte Bedrohung der Dominanz der USA hin, die auch einen viel größeren Anteil an ausländischen Investitionen haben.

In Wirklichkeit sind die USA das überragende Tech-Imperium. Außerhalb der amerikanischen und chinesischen Grenzen führen die USA in den Kategorien Suchmaschinen (Google); Webbrowser (Google Chrome, Apple Safari); Smartphone- und Tablet-Betriebssysteme (Google Android, Apple iOS); Desktop- und Laptop-Betriebssysteme (Microsoft Windows, macOS); Bürosoftware (Microsoft Office, Google G Suite, Apple iWork); Cloud-Infrastruktur und -Dienste (Amazon, Microsoft, Google, IBM); Social-Networking-Plattformen (Facebook, Twitter); Transport (Uber, Lyft); Business-Networking (Microsoft LinkedIn); Streaming-Entertainment (Google, YouTube, Netflix, Hulu) und Online-Werbung (Google, Facebook) – unter anderem.

Das Ergebnis ist, dass, egal ob du eine Einzelperson oder ein Unternehmen bist, wenn du einen Computer benutzt, amerikanische Unternehmen am meisten profitieren. Ihnen gehört das digitale Ökosystem.

POLITISCHE VORHERRSCHAFT UND DIE MITTEL DER GEWALT

Die wirtschaftliche Macht der US-Tech-Giganten geht Hand in Hand mit ihrem Einfluss in der politischen und sozialen Sphäre. Wie in anderen Industrien auch, gibt es eine Drehtür zwischen Tech-Führungskräften und der US-Regierung, und Tech-Konzerne und Unternehmensallianzen geben viel Geld dafür aus, bei den Regulierungsbehörden für eine Politik zu lobbyieren, die ihren spezifischen Interessen – und dem digitalen Kapitalismus im Allgemeinen – förderlich ist.

Regierungen und Strafverfolgungsbehörden wiederum gehen Partnerschaften mit Tech-Giganten ein, um ihre Drecksarbeit zu erledigen. Im Jahr 2013 enthüllte Edward Snowden, dass Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, YouTube, Skype, AOL und Apple über das PRISM-Programm Informationen mit der National Security Agency teilen. Weitere Enthüllungen folgten und die Welt lernte, dass Daten, die von Unternehmen gespeichert und über das Internet übertragen werden, in riesige Regierungsdatenbanken zur Ausbeutung durch Staaten gesaugt werden. Länder des Südens waren Ziel der NSA-Überwachung, vom Nahen Osten über Afrika bis nach Lateinamerika.

Polizei und Militär arbeiten auch mit Tech-Konzernen zusammen, die gerne fette Schecks als Anbieter von Überwachungsprodukten und -dienstleistungen einlösen, auch in Ländern des Südens. Zum Beispiel hat Microsoft durch seine wenig bekannte Public Safety and Justice Division ein umfangreiches Partnerschafts-Ökosystem mit „Strafverfolgungs“-Überwachungsanbietern aufgebaut, die ihre Technologie auf der Microsoft Cloud-Infrastruktur betreiben. Dazu gehört eine stadtweite Command-and-Control-Überwachungsplattform namens „Microsoft Aware“, die von der Polizei in Brasilien und Singapur gekauft wurde, sowie eine Lösung für Polizeifahrzeuge mit Gesichtserkennungskameras, die in Kapstadt und Durban, Südafrika, eingeführt wurde.

Microsoft ist auch stark in der Gefängnisindustrie engagiert. Es bietet eine Vielzahl von Softwarelösungen für den Strafvollzug an, die den gesamten Prozess abdecken, von jugendlichen „Straftäter:innen“ über die Untersuchungshaft und die Bewährung, bis hin zu denjenigen, die aus dem Gefängnis entlassen und auf Bewährung entlassen werden. In Afrika haben sie sich mit einer Firma namens Netopia Solutions zusammengetan, die eine Prison Management Software (PMS)-Plattform anbietet, die „Fluchtmanagement“ und Gefangenenanalysen beinhaltet.

Während es nicht klar ist, wo genau Netopias Prison Management Solution eingesetzt wird, erklärte Microsoft, dass „Netopia [ein Microsoft Partner/Anbieter] in Marokko mit einem starken Fokus auf die digitale Transformation von Regierungsdiensten in Nord- und Zentralafrika ist.“

Über Jahrhunderte hinweg testeten imperiale Mächte Technologien zur Überwachung und Kontrolle ihrer Bürger:innen zuerst an fremden Bevölkerungen, von Sir Francis Galtons Pionierarbeit an Fingerabdrücken, die in Indien und Südafrika angewandt wurden, bis hin zu Amerikas Kombination aus Biometrie und Innovationen in der Verwaltung von Statistiken und Datenmanagement, die den ersten modernen Überwachungsapparat zur Pazifizierung der Philippinen bildeten. Wie der Historiker Alfred McCoy gezeigt hat, bot die Sammlung von Überwachungstechnologien, die auf den Philippinen zum Einsatz kamen, ein Testgelände für ein Modell, das schließlich in die Vereinigten Staaten zurückgebracht wurde, um es gegen Dissident:innen im eigenen Land einzusetzen. Die Hightech-Überwachungsprojekte von Microsoft und seinen Partnern legen nahe, dass die Afrikaner:innen weiterhin als Labor für karzerale Experimente dienen.

ZURÜCKDRÄNGEN

Digitale Technologie und Informationen spielen überall eine zentrale Rolle in Politik, Wirtschaft und sozialem Leben. Als Teil des amerikanischen Imperiumsprojekts erfinden die transnationalen US-Konzerne den Kolonialismus im Süden neu, indem sie geistiges Eigentum, digitale Intelligenz und die Mittel der Berechnung besitzen und kontrollieren. Die meisten der Kerninfrastrukturen, Industrien und Funktionen, die von Computern ausgeführt werden, sind das Privateigentum amerikanischer transnationaler Konzerne, die außerhalb der US-Grenzen überwältigend dominant sind. Die größten Firmen, wie Microsoft und Apple, dominieren als intellektuelle Monopole die globalen Lieferketten.

Es entsteht ein ungleicher Austausch und eine ungleiche Arbeitsteilung, die die Abhängigkeit in der Peripherie verstärkt und gleichzeitig die Massenverelendung und die globale Armut aufrechterhält.

Anstatt Wissen zu teilen, Technologie zu transferieren und die Bausteine für einen gemeinsamen globalen Wohlstand zu gleichen Bedingungen bereitzustellen, versuchen die reichen Länder und ihre Konzerne, ihren Vorteil zu schützen und den Süden für billige Arbeitskräfte zu erpressen. Indem sie die Kernkomponenten des digitalen Ökosystems monopolisieren, ihre Tech in Schulen und Ausbildungsprogramme pushen und Partnerschaften mit Unternehmens- und Staatseliten im Süden eingehen, erobern Big Tech die aufstrebenden Märkte. Sie profitieren sogar von Überwachungsdiensten für Polizeidienststellen und Gefängnisse, alles um Geld zu verdienen.

Doch gegen die Kräfte der geballten Macht gibt es immer welche, die sich wehren. Der Widerstand gegen Big Tech im Süden hat eine lange Geschichte, die bis zu den Tagen der internationalen Proteste gegen IBM, Hewlett Packard und andere, die im Südafrika der Apartheid Geschäfte machten, zurückreicht. In den frühen 2000er Jahren begrüßten die Länder des Globalen Südens Freie Software und die globalen Gemeingüter als Mittel, um dem digitalen Kolonialismus eine Zeit lang zu widerstehen, auch wenn viele dieser Initiativen seitdem verblasst sind. In den letzten Jahren sind neue Bewegungen gegen den digitalen Kolonialismus entstanden.

In diesem Bild geht es um viel mehr. Eine vom Kapitalismus geschaffene ökologische Krise droht schnell, das Leben auf der Erde dauerhaft zu zerstören, und Lösungen für die digitale Wirtschaft müssen sich mit Umweltgerechtigkeit und breiteren Kämpfen für Gleichheit überschneiden.

Um den digitalen Kolonialismus auszumerzen, brauchen wir einen anderen konzeptionellen Rahmen, der die Ursachen und Hauptakteure in Frage stellt, in Verbindung mit Basisbewegungen, die bereit sind, Kapitalismus und Autoritarismus, das amerikanische Imperium und seine intellektuellen Unterstützenden zu konfrontieren.