Fire On Main Street: Kleinstädte im George-Floyd-Aufstand

In dieser kritischen Analyse betrachten die Autor:innen die jüngste Rebellion nach dem Mord an George Floyd durch die Polizei aus dem Blickwinkel kleinerer Städte und Gebiete außerhalb der Großstädte, was sie besonders macht, wie wir Verbindungen zwischen Klein- und Großstädten aufbauen können und warum die reine Konzentration auf Großstädte ein Fehler ist.

Von Shemon, Arturo und Atticus, veröffentlicht bei It’s Going Down.

Die Kleinstadt existiert immer noch nicht auf der Landkarte der Linken, was den revolutionären Kampf angeht. Stattdessen konzentriert sich die revolutionäre Linke in den USA meist auf die Großstädte, was zu einer Art Provinzialismus führt, bei dem die meisten Revolutionär:innen in Großstädten leben und eher Gefährt:innen in anderen Großstädten kennen, sogar in Übersee in Städten wie Berlin, Paris oder London, aber keine Beziehungen zu Revolutionär:innen in den kleinen Städten und Vororten ein paar Meilen außerhalb ihrer Stadt haben.

Geografisch gesehen sind die historischen und kulturellen Pole des linksradikalen Milieus in den USA Oakland und New York City. Die meisten Bewegungstexte und Organisationsstrategien kommen aus diesen beiden Städten. Auf einer Ebene ist diese begrenzte Geographie eine Reflexion des Klassenhintergrunds, des kulturellen Status, der Universitätsausbildung und der küstennahen Vorurteile, die den Liberalismus der linken Aktivist:innen seit der Krise von 2008 abbilden. Zum Beispiel war Occupy auch eine nationale Bewegung mit Camps, die über das ganze Land verstreut waren, aber der Fokus lag trotzdem eher auf New York und Oakland. Egal, was der Rest des Landes tat, es war, als ob diese beiden Städte die einzigen waren, die in der Vorstellung der Aktivist:innen zählten.

Mit den Unruhen in Ferguson 2014 können wir nun zurückblicken und sagen, dass diese Rebellion eine breitere Geographie des Kampfes vorwegnahm, obwohl das zu der Zeit nicht klar war. Niemand hatte vor dem Polizeimord an Mike Brown und den darauf folgenden Unruhen von Ferguson gehört. Plötzlich war ein kleiner Vorort von St. Louis das Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit. Während NYC und Oakland nicht unbedingt als die extremen Pole der revolutionären Linken verdrängt wurden, befanden sie sich nicht mehr nur in einem Tanz miteinander, sondern kreisten um ein neues Gravitationszentrum – die kleine Vorstadt. Aber als die Feuer von Ferguson verschwanden, tauchte die Binarität zwischen NYC und Oakland wieder auf.

Als der George-Floyd-Aufstand letzten Sommer überall in den USA ausbrach, gab es Dutzende von Unruhen in kleinen Städten wie Spokane WA, Eugene OR, Fargo ND, Salt Lake City UT, Atlantic City NJ, Lynchburg VA, Columbia SC, Fort Lauderdale FL, etc. Die großen und mittelgroßen Städte zeigten sich natürlich auch, mit explosiven Unruhen in Orten wie Minneapolis, Oakland, Los Angeles, Portland, Chicago, Louisville, New York City, Philadelphia, Atlanta, Miami, etc. Während diesen größeren Städten viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurden die Unruhen in den kleinen Städten und Vorstädten weitgehend übersehen. Die einzige Ausnahme ist hier Kenosha, das nicht ignoriert werden konnte, nachdem ein bewaffneter weißer Gegenprotestler sein automatisches Gewehr auf BLM-Demonstrierende abgefeuert und zwei von ihnen getötet hat.

Unruhen haben in kleinen Städten und Vororten im ganzen Land zugenommen, aber das ist kein völlig neues Phänomen. Die Unruhen der 1960er Jahre hatten bereits eine breitere Geographie des Kampfes offenbart, obwohl sich die meisten Menschen nicht so an diese Ära erinnern. Neben Großstädten wie Los Angeles, Chicago, Detroit und Philadelphia explodierten auch kleine Städte in Orten wie Rochester NY, York PA, Omaha NE und sogar in kleinen Städten und Vororten wie Wadesboro NC, Saginaw MI, Plainfield NJ und Cairo IL. Tatsächlich ereignete sich fast die Hälfte der Unruhen während des „langen heißen Sommers“ von 1967 in kleinen Städten und Gemeinden.

Offensichtlich sind es nicht nur die urbanen Zentren, die die Bühne für Unruhen und Aufstände bilden. Angesichts der sich verschiebenden Geographie, wo Proletarier:innen in den USA leben und arbeiten, ist unsere Wette, dass kleine Städte und Vororte zunehmend eine Rolle in den kommenden Kämpfen und Brüchen spielen werden. Deshalb ist es entscheidend, dass wir die besondere Dynamik dieser Orte und die strategischen Implikationen, die sie mit sich bringen, analysieren.

Klassenkonflikt an den Stadtränden

Der George-Floyd-Aufstand, wie auch die Unruhen in Ferguson zuvor, offenbarten eine wachsende proletarische Schicht, die zunehmend außerhalb der Großstädte lebt. Da Kleinstädte und Vorstädte weiter an Bevölkerung zunehmen, sind sie auch zur Heimat eines vielfältigeren Querschnitts des Proletariats geworden, der zunehmend Latinx und Schwarze Personen beinhaltet. Diese Schicht brach in kleinen Städten wie San Bernardino CA, De Moines IA, Champaign IL, Lansing MI, Albany NY, Brockton MA, Providence RI, Richmond VA, Birmingham AL, usw. durch.

Während arme Menschen in den größten Städten immer noch überrepräsentiert sind, wächst ihre Zahl in kleinen Städten und Vorstädten seit Jahrzehnten. Da die größten Städte immer gentrifizierter und teurer zum Leben werden, verlässt eine wachsende Anzahl von Proletarier:innen die Städte und findet in den Vororten und kleinen Städten, die die großen Städte umgeben, erschwinglicheren Wohnraum. Dieser Trend wird auch dadurch verstärkt, dass sich die Arbeitsplätze der Arbeiterklasse immer weiter aus dem städtischen Kern in die Vororte und Kleinstädte am Stadtrand verlagern. Gleichzeitig sind diejenigen, die bereits in diesen Peripherien lebten, ärmer geworden, vor allem seit der Krise 2008, die die Rate der Zwangsversteigerungen in diesen Gegenden erhöhte.

Während einige Kleinstädte ihre Innenstädte für Vorstädter:innen und Yuppies attraktiver machen, spielt sich das gleiche Muster ab wie in den Großstädten – Proletarier:innen werden aus dem kommerzialisierten Stadtkern verdrängt und in den Rand der Stadt gedrängt, wo die Mieten günstiger sind. Trotz der Existenz von kleinen Einkaufsvierteln, Kunst-, Kultur- und Unterhaltungszentren, wachsen an den Rändern dieser Art von Kleinstädten weiterhin hochkonzentrierte Nester racialisierter Armut, die die soziale Ungleichheit und die racialen Grenzen verstärken, die schließlich in offenen Aufständen explodieren, wie in den Daniel-Prude-Unruhen in Rochester und in den Ricardo-Munoz-Unruhen in Lancaster, beide Anfang September, zu sehen war.

Die Grenzen der Großstädte

Die radikalen Geschichten und Milieus, die in größeren Städten existieren, können einen großen Einfluss auf die politische Entwicklung von Revolutionär:innen in kleineren Städten haben, und diese gegenseitige Befruchtung ist wichtig. Unser Argument ist jedoch, dass, wenn wir es mit der Revolution ernst meinen, große Städte allein nicht ausreichen. Genauso wie Sozialismus in einem Land unmöglich war, ist auch die Revolution in einer Großstadt unmöglich. Das liegt daran, dass Großstädte keine isolierten Inseln sind, sondern in engen Beziehungen zu den sie umgebenden Regionen und Geografien stehen, zu denen auch kleine Städte, Vororte, Dörfer und ländliche Gebiete gehören. Die Annahme starrer Grenzen zwischen diesen Geografien fällt in eine Art von Ignoranz, die nicht die Inputs erkennen kann, die in Großstädte einfließen, die sie zu dem machen, was sie sind.

Es lohnt sich, sich an die Erfahrung der Pariser Kommune zu erinnern. Hier war die Geographie untrennbar mit der Niederlage der Revolution verbunden. Einer der Gründe für die Niederlage war die Isolation der Stadt vom Rest Frankreichs. Paris hungerte, weil die Belagerung der Bourgeoisie die Stadt effektiv von den Lebensmittel produzierenden Regionen Frankreichs abriegelte. Paris ist keine Ausnahme, sondern ein Muster, das sich in revolutionären Bewegungen über die Jahrzehnte hinweg immer wiederholte, in Barcelona, Shanghai, Athen und Aleppo. Großstädte sind keine Selbstversorger. Selbst mit einem engen Fokus auf Nahrung im Hinterkopf sollte klar sein, dass es keine ernsthafte Möglichkeit der Revolution gibt, wenn wir außerhalb der Großstädte keine Solidarität finden können. Jeder Weg zur Revolution wird dieses Problem politisch und logistisch angehen müssen. Ansonsten wird unser Schicksal das der Kommunard:innen sein: Hunger und Isolation.

Die Berufung auf die Pariser Kommune stellt unsere Analyse in den Rahmen des Aufstands, auch wenn dieser aus kapitalistischen Geografien heraus entstehen würde. Diese Spannung ist unausweichlich, aber eine, mit der wir uns im Lichte des George-Floyd-Aufstandes auseinandersetzen müssen. Es ist offensichtlich, dass sich der Aufstand nicht verallgemeinern ließ. Die Unruhen sprangen nicht in eine Insurrektion und schließlich in eine neue Lebensform über. Aber die Unruhen haben neue pragmatische Fragen aufgeworfen, die noch vor einem Jahr reine Fantasie waren.

In einer Ära, in der Städte massive Mengen an Industriegütern produzierten, schrieb James Boggs das Buch The City is the Black Man’s Land, in dem er auf die einzigartige Position der Schwarzen Proletarier:innen in den industriellen Kernstädten des Nordens hinwies. Die Eroberung von Städten wie Baltimore, Newark oder Detroit in den 1960er Jahren war nicht nur symbolisch, sondern ein realer Knotenpunkt materieller Macht, der mit der Schwarzen Revolution verbunden werden konnte. Die Republic of New Afrika wies auf einen Fehler in Boggs Denken hin und argumentierte, dass die Städte im Norden von einem Meer weißer Rassist:innen umgeben waren. Im Gegensatz dazu waren es südliche Schwarze Städte, eingebettet in eine Ökologie Schwarzer ländlicher Gebiete, die den dynamischen Austausch von Ressourcen bieten konnten, den wir diskutiert haben. Eine revolutionäre Kommune, wie es sie 1871 in Paris gab, wurde jedoch im 20. Jahrhundert in den USA nicht aufgebaut. Die nächste Analogie wäre vielleicht der Aufstieg der Schwarzen politischen Eliten in vielen Großstädten, aber das ist eine krasse Analogie. Keiner dieser Bürgermeister:innen tat etwas Radikales, aber sie stießen schnell an die gleichen geografischen Grenzen, da sie von feindlichen Metro- und Regionalgebieten umgeben waren. Sie waren ausgehungert von Kapitalinvestitionen und einer Steuerbasis und diese Städte wurden in hohem Maße verarmt. Wenn es das ist, was das Kapital unter diesen reformistischen Umständen tun kann, dann stell dir vor, was das Kapital tun wird, wenn die Städte in einer antikapitalistischen Insurrektion aufs Ganze gehen!

Unser Fokus auf kleine Städte ist daher nicht moralistisch, sondern strategisch. Kleine Städte sind oft wichtige Knotenpunkte, die eine Brücke in ländliche Gebiete schlagen. Im Gegensatz zu mittelgroßen und großen Städten sind Kleinstädte nicht nur von Vorstädten umgeben, sondern auch von Vororten und dem Land, wo sich Landwirtschaft, Energieproduktion und extraktive Industrien stärker konzentrieren. Während die verarbeitende Industrie die Großstädte weitgehend verlassen hat, ist sie oft in Vororte gewandert, die nur wenige Kilometer entfernt sind. Kleinstädte und Vororte sind auch ein entscheidender Teil des logistischen Rückgrats der USA und spielen eine wesentliche Funktion bei der Produktion, dem Vertrieb, dem Transport und der Lagerung von Waren. Die Vertriebszentren von Amazon und Walmart befinden sich oft in diesen Orten.

Für einige ist die Lehre aus den Unruhen dieses Sommers, dass wir die Polizei bekämpfen müssen. Das ist zwar sicherlich richtig, aber diese Lektion macht nur Sinn als Teil eines größeren Plans, der Formen der Koordination zwischen kleinen und großen Städten entwickelt. Die Polizei zu bekämpfen ist kein Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck, und wenn wir nicht vorsichtig sind, kann es eine Sackgasse sein. Für uns betrifft die entscheidende Lektion des Aufstandes von 2020 die Fragen von Infrastruktur, Territorium, Macht und Revolution. Wie verallgemeinern sich die Unruhen zu einer Insurrektion und von dort zu einer Revolution? Wir glauben, dass kleine Städte und Vorstädte ein wesentlicher Teil davon sind, wie dies geschieht.

Strategische Besonderheiten

Die Unruhen in Kleinstädten wiesen einige der gleichen Merkmale auf wie die in den Großstädten. Die Polizeiabteilungen wurden schnell von multiracialen Menschenmengen überwältigt, die sich zusammenschlossen, um die Polizei anzugreifen und Eigentum zu sabotieren. Während die Aufstandsbekämpfung in kleineren Städten eine geringere Basis hat – aufgrund des Mangels an NGOs, der fehlenden Infrastruktur der Demokratischen Partei und dem Fehlen einer Schwarzen Mittelschicht – fand die Aufstandsbekämpfung an diesen Orten dennoch statt, da eine kleine Schicht von Aktivist:innen und lokalen Politiker:innen eingriff und versuchte, die Menschen von den Krawallen und Plünderungen abzuhalten.

Gleichzeitig ist es wichtig zu unterscheiden, was an den Unruhen in Kleinstädten anders ist. Das spezifische Umfeld dieser Orte führt zu besonderen Formen des Kampfes: Die Dezentralisierung des physischen Terrains und die Zentralität der Autos erlaubt eine größere Mobilität. In diesem Sinne unterscheiden sich Kleinstädte grundlegend von Großstädten, da sie nicht für die Verhinderung und Unterdrückung von Unruhen konzipiert wurden.

Im Gegensatz zu der starren Gitterstruktur von Großstädten gibt es in Kleinstädten eine einzigartige, sehr diffuse räumliche Organisation, in der Stadthäuser, Apartmenthäuser, Wohnkomplexe und Wohnwagenparks zwischen Straßen und Autobahnen, Rasenflächen und Gutsanlagen, Waldstücken und Parkplätzen, Golfplätzen und Baseballfeldern, Einkaufsmeilen und Einkaufszentren liegen, was es für die Polizei sehr viel schwieriger macht, Engpässe zu schaffen, um Menschen einzukesseln und Massenverhaftungen durchzuführen. Daher gibt es in kleinen Städten viel mehr strategische Tiefe für die Bewegung der Menge.

Im Gegensatz zur Polizei in New York, L.A. oder anderen Großstädten, die regelmäßig in Krawalltaktiken trainieren, sind die Polizeibehörden in Kleinstädten in der Regel ungeschickt und schlecht ausgebildet, wenn es um den Umgang mit großen, feindseligen Menschenmengen geht. Wenn sie auf Unruhen reagieren, werden sie in den Straßen schnell überwältigt und ausmanövriert. Randalierende und erfahrene Militante können dies ausnutzen.

Natürlich gibt es auch klare Nachteile für Aufstände in kleinen Städten. Oft gibt es in den Innenstädten keine ausgeprägten Einkaufsmöglichkeiten, um die man mobilisieren könnte, und wenn es welche gibt, sind sie sehr klein und leicht umzingelt. Da es in kleinen Städten eine geringere Konzentration von Kapital gibt, ist die Macht verstreuter und schwerer zu finden. Ein weiterer großer Nachteil, der sich aus der geringen Größe dieser Orte ergibt, ist, dass der Sicherheitsstaat eher weiß, wer die Hauptmilitanten sind.

Etwas anderes, das in kleinen Städten auffällt, ist die Abwesenheit eines linksradikalen Milieus. Das war nicht immer so, aber seit einiger Zeit ist es so. Das soll keine Beleidigung sein oder auf Revolutionär:innen in Kleinstädten herabschauen. Tatsächlich könnte das Fehlen eines linken Milieus ein maskierter Segen sein, da es weniger Aktivist:innen, NGO-Profis und Akademiker:innen gibt, die vermitteln, kooptieren oder den Aufstand stoppen können.

Aufgrund ihrer einzigartigen Bedingungen wird die militante Organisierung an diesen Orten anders aussehen als in Großstädten. Einige radikale Projekte haben bereits an Orten wie Mississippi, Indiana und Upstate New York stattgefunden, wo Revolutionär:innen nicht unbedingt die ganze Zeit protestieren oder Artikel für eine schicke radikale Publikation schreiben. Stattdessen bauen sie Räume, stellen Ressourcen zur Verfügung und nutzen diese Aktivitäten als Basis, um neue Gespräche über Revolte und Insurrektion zu beginnen.

Gleichzeitig gelten die Kritiken an der gegenseitigen Hilfe auch in kleinen Städten. Wir wollen nicht eine radikale Version der Heilsarmee sein. Wir wollen auch nicht die gleichen engen politischen Milieus reproduzieren, die in Großstädten existieren, aber in kleineren Formen. Unsere Räume sollen Orte sein, an denen sich Proletarier:innen versammeln, lernen und Strategien entwickeln können, und sie sollen eine Infrastruktur bieten, die den Klassenkampf unterstützt. Das erfordert, die Kämpfe des Proletariats zu verfolgen und daran teilzunehmen, die sich als Militanz am Arbeitsplatz, Mieterstreiks, Räumungsverteidigung, aufständische Kampfformationen usw. manifestieren können. Hierfür gibt es kein Rezept. Es muss sorgfältig aus den taktischen und strategischen Bedürfnissen entwickelt werden, die in jedem spezifischen Kampf organisch sind.

Eine Brücke zwischen Kleinstädten und Großstädten bauen

Revolutionär:innen in Kleinstädten reisen oft in Großstädte, um an Demonstrationen teilzunehmen und radikale Organisierung zu unterstützen, aber es ist viel unwahrscheinlicher, dass das Gegenteil der Fall ist. Rockford, zum Beispiel, ist 90 Minuten von Chicago entfernt, aber nur wenige Radikale aus Chicago haben jemals einen Fuß nach Rockford gesetzt. Dennoch haben Proletarier:innen in dieser kleinen Stadt während des George-Floyd-Aufstandes in diesem Sommer zwei Nächte lang randaliert und geplündert. Die revolutionäre Linke aus den Großstädten mag sich zwar an einer Rebellion in Kenosha beteiligen, aber wird ihre Unterstützung jemals darüber hinausgehen?

Dies ist kein moralisches Argument über das Ausbrechen aus unserer Blase, sondern ein direktes und unmittelbares Problem darüber, wie wir die kapitalistische Krise überleben und unsere Fähigkeit zu leben und zu kämpfen reproduzieren werden. Vom Standpunkt der revolutionären Strategie aus ist das Herstellen von Verbindungen zu kleinen Städten ein wichtiger Teil, um die Isolation der Großstädte zu verhindern, die völlig von der Ökologie ihrer Umgebung abhängig sind. Wenn das Ziel die Revolution ist, ist es zwingend notwendig, dass Militante in Großstädten beginnen, vertrauensvolle Beziehungen zu Militanten in diesen kleineren peripheren Städten aufzubauen. Anstatt ein Dutzend Flüge nach Oakland oder NYC, Berlin oder Paris zu nehmen, wird eine ernsthafte Orientierung auf die Revolution in den USA bedeuten, Stunden außerhalb von Oakland oder NYC zu fahren und politische Beziehungen zu Menschen in kleinen Städten wie Vallejo, Manteca, Modesto und Merced oder Allentown, Scranton und Utica aufzubauen.

Dies wird sehr schwierig zu bewerkstelligen sein. Für den Anfang, während sich die Arbeitsplätze zunehmend in kleinere Städte und Vororte verlagern, ist es immer noch wahr, dass die Mehrheit der Arbeitsplätze in den großen urbanen Kernen konzentriert ist, und selbst Revolutionär:innen müssen im Kapitalismus Arbeitsplätze halten. Aber es gibt auch andere nicht greifbare Einschränkungen, die es schwer machen werden. Kleine Städte sind Orte der Isolation, ohne große Museen, berühmte Musikorte und andere interessante kulturelle Formen, die wir in Großstädten genießen. Und in dem Maße, in dem wir reisen, um zu versuchen, Gefährt:innen zu treffen, die uns ähnlich sind, finden wir vielleicht niemanden auf der anderen Seite dieser Reise. Das schafft viele Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Die aktuellen Abgrenzungen und die Verfassung der Ultralinken machen es sehr schwierig, unsere andere Hälfte zu treffen. Nischentexte und -autor:innen werden nur in der dichten Ökologie der Revolutionär:innen, die in Großstädten leben, bekannt. In kleinen Städten ist dies viel unwahrscheinlicher. Anstatt von einem textlichen Ausgangspunkt auszugehen, ist es sinnvoller, von den Aufgaben, Taktiken, Strategien und politischen Horizonten auszugehen, die sich aus dem George-Floyd-Aufstand ergeben haben. Die Basis für diese Möglichkeiten ist die verallgemeinerte Krise, die die Pandemie, der Kapitalismus und die Unruhen erzeugt haben.

Ein großer Teil der Linken zieht sich um dichte Publikationen, organisatorische und soziale Netzwerke, die in großen Städten aufgebaut wurden, herum, aber als sich der George-Floyd-Aufstand entfaltete, erwiesen sich diese Formationen als weitgehend nutzlos. Sie wurden nicht zum Zweck des Klassenkampfes aufgebaut, sondern zur Bereicherung des sozialen Kapitals von Menschen aus der Mittelschicht, die radikal erscheinen wollen, die den kulturellen Schmuck des Radikalismus wollen, die aber angesichts der intensivsten und massivsten sozialen Unruhen der jüngeren US-Geschichte sehr wenig getan haben.

Es ist die Logistik der Revolution, die die Grundlage dafür bilden sollte, wie wir uns organisieren, wo wir uns organisieren und mit wem wir uns organisieren. Nur wenn wir unsere Strategien und Horizonte auf diesen Blickwinkel gründen, macht unsere Argumentation Sinn. Während die Großstädte eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen werden, erfordert das Erreichen dieses Ziels eine echte Präsenz in den kleinen Städten und Vororten, die die Großstädte umgeben.

Schlussfolgerungen

Es gibt mehrere miteinander zusammenhängende Schlussfolgerungen. Erstens glauben wir, dass einige Revolutionär:innen in diese kleineren peripheren Städte ziehen sollten und sich mit proletarischen Militanten an diesen Orten verbinden sollten, da sie näher an der Lebensmittel-, Produktions-, Logistik- und Energieinfrastruktur sind. Zweitens, selbst wenn wir nicht in diese kleineren Städte ziehen, müssen wir trotzdem echte politische Beziehungen zu den Militanten in diesen Orten entwickeln. Drittens müssen wir genauso viel von Revolutionär:innen in kleinen Städten lernen wie von Revolutionär:innen in großen Städten. Viertens müssen wir unsere großstadtzentrierte Weltsicht aufgeben und eine neue Praxis entwickeln, die mit der sich verändernden Geografie des Klassenkonflikts ringt.

Wir schauen auf neue Geografien, die nicht das Finanz- oder Immobilienkapital, die Universität oder das winzige Milieu der radikalen Linken in den Mittelpunkt stellen, sondern stattdessen nach dem suchen, was nötig ist, um Revolution zu einer realen Möglichkeit zu machen, und das bedeutet, die Welt anders zu sehen. Es war nicht irgendein Text, der diese Perspektive möglich gemacht hat, sondern die Revolten des George-Floyd-Aufstandes. Wir sind lediglich Schreibende des Aufstandes und versuchen, die Krawalle und Straßenkämpfe mit der tatsächlichen Möglichkeit der Insurrektion und der Revolution zu verbinden. Wir sehen die Unruhen nicht einfach als Krawalle, sondern als einen Prozess des Kampfes, der die Möglichkeit zum Sturz des rassistischen Kapitalismus eröffnet. Dieser Weg schließt sich entlang des aktuellen Entwicklungsverlaufs der großstadtzentrierten Linken, die in ihrer materiellen Position buchstäblich die Linke des Kapitals ist. Statt einer Linken, die sich in den Großstädten sammelt, brauchen wir eine Linke, die in der weitläufigen Geografie der kritischen Infrastruktur und des proletarischen Lebens verwurzelt ist.

Unser Argument ist angesichts der Geschichte dieses Landes gar nicht so weit hergeholt. Die dynamische Beziehung zwischen dem urbanen Zentrum und des Stadtrandes war ein Merkmal vieler radikaler Kämpfe hier: die Maroon Communities, die Underground Railroad, IWW, CIO und SNCC. Auch heute hat das Proletariat einige der Punkte verbunden. Wir, in der radikalen Linken, sind es, die hinter ihnen herhinken, versuchen aufzuholen und stehen ihrem Vormarsch oft im Weg. Während das Proletariat die Karte nicht vervollständigt hat, hat es uns einige wichtige Wege und Richtungen gezeigt, die wir einschlagen müssen.

Wir wissen, dass Infrastruktur der Schlüssel zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ströme ist, aber was bedeutet diese Infrastruktur im Kontext eines Aufstandes? Infrastruktur wie Flughäfen oder Autobahnen zu blockieren, macht manchmal Sinn. Aber wie lange kannst du eine Blockade aufrechterhalten, wenn deiner Stadt das Essen ausgeht? Was passiert, wenn du sauberes, fließendes Wasser brauchst? Was passiert, wenn du Strom brauchst? Ist es das Ziel, Stromanlagen zu blockieren oder sie zu übernehmen? Wie verhindern wir die politische und letztlich militärische Isolation von Großstädten?

Die Unruhen dieses Sommers haben noch keinen Vorschlag für eine Alternative gemacht. In diesem Sinne sind sie eine Kritik am racialen Kapitalismus und der Polizei, aber sobald sich die Krawalle ihrer selbst bewusst werden, werden sie eine Alternative zum Kapitalismus vorschlagen müssen. Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, damit sich die kommenden Unruhen in Insurrektionen verwandeln, damit die Fahne der Kommune-Maroon-Gemeinschaft wieder gehisst wird und wo alle Fragen der Geographie, des Wer, Wo und Was, im Vordergrund stehen werden. Es sind diese Fragen, über die Revolutionär:innen nachdenken und versuchen sollten, sie zu beantworten, nicht nur theoretisch, sondern in Bezug auf die Praxis. Das bedeutet, dass wir unseren geografischen Horizont erweitern und einige ernsthafte Zeit und Energie darauf verwenden, uns in kleinen Städten zu verwurzeln.