Interview mit einem Mitglied von Black Rose Portland
Fünfzig Tage nach dem Volksaufstand, der durch den Mord an George Floyd durch die Polizei ausgelöst wurde, zeigen die Demonstrationen in Portland, Oregon, kaum Anzeichen, dass sie nachlassen.
Tatsächlich ist Portland für die Trump-Administration nun zu einem Versuchsfeld geworden, um im Vorfeld der Wahlen im Jahr 2020 ihre ‚Recht und Ordnung‘ in gutem Glauben zu demonstrieren.
Die Feds – die Bundespolizei – über die nur wenige Informationen darüber vorliegen, für welche Behörden sie speziell arbeitet, ist bei der Unterdrückung von Demonstrationen in der Stadt aktiver geworden. Die Mitglieder dieser Geheimpolizei tragen Militärmontur und schnappen die Demonstrierenden von der Straße und bringen sie in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen weg.
Wir haben uns mit einem Mitglied unseres Ortsansässigen in Portland getroffen, um mehr darüber zu erfahren, was vor Ort passiert ist.
Black Rose / Rosa Negra (BRRN): Kannst du kurz die letzten Monate des Aufstandes in Portland beschreiben?
Black Rose Portland Local (PDX): Täglich finden in Portland Demonstrationen statt, mit Aktivitäten, die von Versammlungen am Tag bis hin zu Nachtmärschen reichen, oft mit mehreren Veranstaltungen an einem bestimmten Tag. In den ersten Wochen gingen die Teilnahmezahlen in die Tausende und in den letzten Wochen gingen die Zahlen leicht zurück, blieben aber konstant im Hunderterbereich.
Die Demonstrationen und Märsche wurden von einer Vielzahl von autonomen Gruppen organisiert, einschließlich (aber nicht beschränkt auf) neue und bestehende Gruppen, die von BIPOC geleitet werden, namenlose Affinitätsgruppen, die Familien der Opfer von Gewalt und Mord durch die Polizei von Portland, von Jugendorganisationen und streikenden Sexarbeiter_innen vor Ort. Seit Beginn des Aufstands wurden insgesamt 423 Personen verhaftet, von denen die meisten auf Kaution freigelassen wurden.
Einige Siege sind: Demonstrierende setzten in der ersten Nacht das Justizzentrum [Gebäude, das Gericht und Polizeirevier umfasst] in Brand. Fast 50 Tage später, in der Nacht vom 18.7., wurde auch die Portland Police Association (der Schweinestall der Polizei-„Gewerkschaft“) in Brand gesteckt. 15 Mio Dollar wurden aus dem Budget der Stadtpolizei gestrichen (die Bitte war 50k/Jahr bis zur vollständigen Kürzung); Schul-Polizeikräfte wurden aus dem Portland Public School District abgezogen; Transitpolizist_innen wurden aus den öffentlichen Verkehrsmitteln abgezogen (obwohl sie sofort durch Sheriffs ersetzt wurden). Starke Rhetorik des Abolitionismus ist unter den Demonstrierenden populär geworden, indem lokale Literatur/Quellen in Umlauf gebracht wurden und Graffiti und Poster in der ganzen Stadt aufgehängt wurden. Eine örtliche gemeinnützige Organisation hat ein vorübergehendes gesetzliches Verbot des Einsatzes von Tränengas durchgesetzt, allerdings mit dem Vorbehalt, dass sie es einsetzen können, wenn Beamte „um ihr Leben fürchten“ oder eine Demonstration zum Aufruhr erklärt wird.
Einige Niederlagen und Kämpfe, die wir erlebt haben: Demonstrierende, die schon früh gemeinsam mit den Bullen niederknieten, die frühe liberale Kooptierung bestimmter Aspekte der Bewegung und die erfolgreiche Spaltung von friedlichen Demonstrierenden und Anarchist_innen (obwohl sich die Situation ziemlich geändert hat).
BRRN: Auf welche Weise hat die Pandemie die Art und Weise verändert, wie sich die Leute organisieren und wie sie sich entwickeln?
PDX: Gegenseitige Hilfe scheint ein Schlüsselaspekt von Widerstand und Protest zu sein; gegenseitige Hilfsprojekte, die ursprünglich zu Beginn der Pandemie gestartet wurden, wurden durch die Aufstände in der Reaktion auf die Ermordung von George Floyd gestärkt und neu belebt. Es scheint, dass die Zahl der Straßenmediziner_innen, Versorgungsfahrzeuge und die Verteilung von persönlichen Schutzausrüstungen und Sanitärausrüstungen/-vorräten bei Protesten zugenommen hat.
Anfänglich hatte es einen großen Einfluss auf die Neugestaltung der Beziehungen in den Organisationen und bei den neu radikalisierten Menschen. Die Menschen in den bestehenden Organisationen mussten neu überdenken, welche Rolle sie in Bezug auf ihre Arbeit spielen, während sie in als essentiell erachteten Berufen überlastet waren, sie mussten ihre Arbeitsbelastung neu bewerten, während sie nur von zu Hause aus arbeiten konnten, Organisationen und Menschen mussten von behinderten Gefährt_innen lernen, wie man Räume zugänglicher macht, und neue Menschenmassen haben sich in bestehende Strukturen eingegliedert, die in unterschiedlichem Maße in der Lage sind, den neuen Zustrom von Menschen aufzunehmen.
Die ersten Proteste begannen, bevor Oregon mit dem Wiedereröffnungsprozess begann, und Portland liegt bei diesem Wiedereröffnungsprozess mehrere Schritte hinter dem Rest des Staates zurück. Eine große Anzahl von Menschen, die arbeitslos und wütend über die Pandemiebedingungen sind, sowie Proteste, die der einzige soziale Raum sind, in dem die Menschen sich richtig fühlen können, wenn sie dort auftauchen, tragen wahrscheinlich dazu bei, warum es immer noch tägliche und nächtliche Energie und Präsenz gibt.
Unterschiedliche Verwundbarkeits-/Komfortniveaus der Pandemie führen zu vielfältigeren Arten von Aktionen, zusätzlich zu den Massenaktionen: Wohnwagen, Fahrradrallyes, kleine Nachbarschaftsproteste von weniger als zehn Leuten, die gleichzeitig stattfinden.
BRRN: In den letzten Jahren ist Portland zu einem Spannungsgebiet für physische Zusammenstöße zwischen der Straßenbewegung der extremen Rechten und Antifaschist_innen geworden. Haben nicht-staatliche reaktionäre Kräfte versucht, während des George Floyd-Aufstandes in PDX einzugreifen oder sich überhaupt einzumischen?
PDX: Die meisten der rechts organisierten Straßenbewegungen im Nordwesten waren vor der Pandemie auf dem Rückzug gewesen, insgesamt dank der organisierten Antifaschist_innen. Die prominentesten der Figuren, die die rechten Demonstrationen in der Stadt angeführt haben, sind derzeit in Klagen, Doxxing-Skandale, die zu den sozialen Folgen bigotten Verhaltens geführt haben, und ironischerweise zu staatlicher Repression verwickelt.
Während der Großteil der tatsächlichen Straßenpräsenz von Faschist_innen sich auf einige wenige Fälle beschränkt hat, in denen weniger als ein halbes Dutzend lokaler Reaktionär_innen und „Boogaloo Boys“ auftauchten, gab es eine weitaus größere Anzahl unbestätigter Sichtungen der allgemeinen Auffanggruppe der „Proud Boys“, die auf lokaler Ebene zu einer Art geworden ist, jede_n Reaktionär_in oder Faschist_in unabhängig von seiner tatsächlichen Zugehörigkeit zu beschreiben. Während „Proud Boys“ lokal zum „Kleenex“ oder „Coca-Cola“ des Faschismus geworden sind, ist die Zahl der organisierten Reaktionär_innen von Patriot Prayer, Proud Boys, Portland Liberation oder anderen stark begrenzt.
Die Anzahl der unbestätigten Sichtungen spricht für die gerechtfertigte Paranoia und Angst, die die Jahre, in denen man sich mit diesen Faschist_innen auf der Straße herumschlagen musste, hervorgerufen hat. Die schiere Größe der Proteste hat das Risiko, als offene_r Faschist_in aufzutauchen, zu aufwendig gemacht.
Es gab jedoch ein Wiederaufleben des lokalen Doxxing von linken Protestierenden und Verhafteten und hoch gehandelten Medienberichten in den rechten Medien. Wir haben einige lokale rechte Betrüger_innen, die sich als Journalist_innen ausgeben, und häufig in den Fox News erscheinen.
Angesichts dieser jüngsten Geschichte und der Tatsache, dass Portland zu einem klaren Beispiel für organisierten Widerstand geworden ist, haben wir den Zorn vieler hochrangiger Rechter und Liberalen auf uns gezogen. Das bedeutet, dass die Konsequenzen, wenn man keine Maske trägt oder verhaftet wird, größer denn je sind.
BRRN: Der DHS-Sekretär Chad Wolf hat ein Memo herausgegeben, das den Einsatz der Bundesgeheimpolizei in Portland rechtfertigt, um den Aufstand niederzuschlagen. Insgesamt wird in dem Memo der Ausdruck „gewalttätige Anarchist_innen“ 47 mal erwähnt. Welche Art von Organisationsarbeit haben die Anarchist_innen in Portland vor dem Aufstand geleistet?
PDX: Anarchist_innen in Portland beteiligen sich an einer Vielzahl von Organisierungsarbeiten, bemerkenswerte lokale Projekte sind die Portland Youth Liberation Front und die von Jugendlichen geführten Gruppen, die den Klimastreik organisieren, das Essensverteilungsprogramm des Free Lunch Collective, das kostenlose Sommerbildungsprogramm der Budding Roses, die gewerkschaftliche Organisierung, die jahrelange Kampagne der Critical Resistance zur Abschaffung und Finanzmittelkürzung der Polizei und verschiedene autonom organisierte gegenseitige Hilfsprojekte wie kostenlose Läden, Gemeinschaftskühlschränke, Lebensmittelkartons, Nadelaustausch und Naloxon-Verteilung.
Auch wenn sich einige der hier aufgelisteten Organisationen nach außen hin nicht als anarchistisch identifizieren, so erkennen wir doch an, dass sie Werte haben, die mit Black Rose, horizontalen Machtstrukturen und abolitionistischer Politik übereinstimmen.
Die Mitglieder des Ortsverbandes von Portland sind an einer Reihe von Organisationsprojekten beteiligt, aber vor allem als Gruppe lesen wir Bücher und verpassen Meetings, um darüber zu diskutieren, werden von Teenagern angeschrien, essen Hot Chips, und weinen. Wirklich sehr gewalttätig.
BRRN: Da wir uns außerhalb von Portland befanden, erfuhren die meisten von uns erst von der Anwesenheit der DHS-Geheimpolizei, als Bilder und Videos auf sozialen Medien auftauchten, auf denen sie Demonstrierende in nicht gekennzeichneten Autos verschwinden ließen. Wann hast du zum ersten Mal bemerkt, dass sie anwesend waren?
PDX: Vor Jahren!
Eine große Anzahl von Menschen in unseren Gemeinden leben seit vielen Jahren in Angst davor, von den Feds geschnappt zu werden, da das ICE seit langem gegen unsere „Zufluchtsstaat“-Politik vorgeht, die die Zusammenarbeit der lokalen Strafverfolgungsbehörden mit den föderalen Einwanderungsbehörden verbieten soll.
Wir wissen jedoch und haben bestätigt, dass das DHS und die lokale Polizei trotz der angeblichen Illegalität solcher Aktivitäten konsequent kooperiert haben. In den letzten Jahren wurde viel organisiert, um die ICE daran zu hindern, Leute am örtlichen Gerichtsgebäude zu schnappen, wo sie es auf Leute abgesehen hatten.
Das DHS wurde in der Vergangenheit auch mehrfach bei Protesten in Portland eingesetzt. Zuletzt zum Beispiel während einer „Charlottesville 2“-Rallye, bei der Feds und örtliche Cops den Faschist_innen eine nette Führung durch die Stadt gaben.
Sie waren auch während eines Großteils der Besetzung der ICE-Einrichtung im Südwesten Portlands im Jahr 2018 anwesend, wo sie ein Sturmgewehr auf ein Mitglied unseres Ortsansässigen richteten. Sie haben den Bundespark, Chapman Square, in der Innenstadt von Portland bewacht, wo Faschist_innen und alternativ-rechte Gruppen die Erlaubnis bekommen haben, Demonstrationen abzuhalten.
Die Feds haben seit Beginn der Proteste und sogar schon vorher an Türen geklopft. Sie haben vor allem die BIPOC-Gefährt_innen seit Beginn der Proteste genau beobachtet und haben das Bundesgebäude (gegenüber dem Justizzentrum) sichtbar bewacht. Ihre Präsenz seit Beginn der Proteste war meist im Hintergrund und bewachte das Bundesgebäude, aber in der letzten Woche sind sie zu einer viel aktiveren und aggressiveren Rolle bei der Kontrolle der Menge übergegangen, mit einer viel sichtbareren Präsenz und der Entsendung von mehr Bundespolizei. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Entführungskommandos begannen und die Aufmerksamkeit der nationalen Medien auf sich zogen.
BRRN: Zum Thema dieser Verschwundenen: Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, was mit denen passiert ist, die von der Straße geschnappt wurden?
PDX: Es scheint, dass sie geschnappt und in nicht gekennzeichnete Autos gestopft wurden. Mindestens einer Person wurde die Mütze für die Fahrt gewaltsam unter die Augen gezogen. Die Leute sagen, dass sie herumgefahren und schließlich in eine Zelle im Bundesgefängnis oder in der Multnomah County Detention Facility (eines von zwei Bezirksgefängnissen in Portland) gebracht wurden, die beide genau im Zentrum der Protestaktion liegen und wahrscheinlich sehr nahe an der Stelle sind, wo sie ursprünglich geschnappt wurden. Die Leute berichten, dass sie von nicht gekennzeichneten Beamten befragt wurden, die sich weigerten, sich auszuweisen, und dann nach ein paar Stunden wieder freigelassen wurden. Soweit wir wissen, sind bisher alle Entführten wieder freigelassen worden.
BRRN: Kannst du beschreiben, wie die Anwesenheit der Bundespolizei ausgesehen hat? Hat es den Anschein, dass sie eine andere Funktion erfüllt als die lokale Polizei?
PDX: Die Feds wurden in voller Militäruniform gesehen, allerdings ohne jegliche Abzeichen, die anzeigen könnten, zu welcher Behörde sie gehören. Ebenso tragen sie keine Identifikationsnamen oder Abzeichennummern. Sie wurden auch gesehen, wie sie CS-Gasverteilungsmethoden benutzt haben, die mächtiger sind als die, die von der Polizei in Portland benutzt werden, und den meisten Demonstrierenden in der Menge unbekannt sind.
BRRN: Wie haben die Demonstrierenden auf diese hyper-sichtbare Manifestation der Staatsmacht reagiert?
PDX: Die Demonstrationen fühlen sich durch die hyper-sichtbare Präsenz der Feds wiederbelebt, die letzte Samstagnacht (18.7.) war eine der größeren Protestnächte der letzten Zeit. Neue „respektable“ Gruppen kommen heraus und werden vergast, was das Feuer auch noch anheizt: Gestern Abend wurde eine Reihe von Müttern, die Ann Taylor (Bekleidungsmarke) trugen, sehr sichtbar mit Tränengas vergast und mit Blendgranaten geblendet, und jetzt kommt heute Abend ein Mütterkontingent zurück. Wenn die Linie für einige Leute (besonders ältere Liberale) nicht überschritten wurde, ist sie jetzt überschritten worden.
BRRN: Oregons Politiker_innen, sowohl auf Stadt- als auch auf Staatsebene, haben kürzlich Erklärungen veröffentlicht, in denen sie die Anwesenheit der Bundespolizei verurteilen. Glaubst du, dass sie aufrichtig sind?
PDX: Überhaupt nicht. Sie versuchen, ihr Gesicht zu wahren, weil die Liberalen sehen, wie unentschuldbar diese Art von Repression ist. Den Feds die Schuld zuzuschieben ist ein bequemer Weg, um die Schuld von der lokalen Repression auf die Polizei abzuwälzen. Der Bürgermeister hat getwittert, dass sich Bundesbeamte und die Polizei von Portland während der Proteste dieselbe Kommandozentrale geteilt haben. Sie arbeiten Seite an Seite. Diese Annäherungsversuche sind hohl und kommen daher, dass sie sich von Klagen und politischen Verästelungen distanzieren wollen.