Die Welt brennt, der Staat tötet – und wir müssen lernen, uns umeinander zu kümmern. Ein Gespräch über die Wichtigkeit gemeinschaftlicher Hilfe, Care-Arbeit und Traumabewältigung.
Übersetzt vom englishen Original auf mentalhellth.xyz
Die meisten Menschen, die genug Zeit mit (politischer) Selbstorganisation verbracht haben, wissen, wie undankbar das sein kann. Die Erde brennt, Millionen von Menschen können ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen und leiden unter Wohnungs- und Ernährungsunsicherheit. Eine globale Pandemie hat weltweit mehr als 4 Millionen Menschen getötet, und zu guter Letzt ist der Faschismus auf dem Vormarsch: Überall kämpfen Menschen um ihr tägliches Überleben.
Im Grunde genommen ist die Welt im Moment ziemlich schlecht und Aktivist*innen bekämpfen das wo und wie immer sie das können. Doch der Kampf gegen staatliche Gewalt und die Organisation gegenseitiger Hilfe kann auch unerträglich werden und zu körperlichem, geistigem und emotionalem Trauma und Burnout führen. Deshalb habe ich (Erin) mit Alice, oder GothBotAlice, darüber gesprochen, wie Aktivist*innen sich umeinander kümmern, füreinander sorgen und sich gegenseitig durch die Dunkelheit ziehen können, um unserem Weg, die Welt zu schaffen, die wir wollen und brauchen, gemeinsam weiter zu gehen.
Alice identifiziert sich als Mad Femme, Überlebende eines Selbstmordversuchs, Anarchistin, Antifaschistin, Pflegekraft und Autorin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf den Abbau von Gewalt- und Zwangssystemen und die Schaffung von Alternativen, die nicht-hierarchisch sind und Autonomie und Handlungsfähigkeit bewahren. They ist auch Mitverfassx von It’s Going Down’s ’This Week in Fascism’. Alice nutzt Kunst und Sprache, um die Komplexität und die Überschneidungen von Selbstmord, Wahnsinn und Kultur zu erforschen.
Erin Corbett ist Journalistin und Autorin und berichtet über politische Bewegungen und staatliche Repression. Außerdem ist sie sehr müde.
Dieses Interview wurde bearbeitet und gekürzt.
Es gibt alle möglichen Gründe, warum das klinische Modell nicht für alle funktioniert. Weil wir zB. nicht von unserem Aktivismus sprechen können, ohne uns in Gefahr zu bringen
Ich habe deinem Gespräch mit „It’s Going Down“ im März zugehört, in dem du über die Rolle von Community Care (zu dt. in etwa: Hilfe aus der und für die Gemeinschaft) und gegeinseitiger Unterstützung in sozialen Bewegungen sprachst. Kannst du mir mehr über dieses Konzept erzählen und darüber, warum klinische Modelle der psychischen Gesundheitsfürsorge nicht für jede*n funktionieren?
Im medizinischen Modell der psychischen Gesundheit werden Traumasymptome wie Angstzustände, Depressionen oder andere Probleme als Teil einer Person angesehen, und als etwas, das behandelt werden muss. Den Menschen wird gesagt: „Du hast diese Krankheit, du bist kaputt, wir müssen dich behandeln“, und es läge in deiner Verantwortung, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die dich gesund machen werde.
Für manche Menschen macht das Sinn. Ich betrachte die psychische Gesundheit jedoch lieber durch die Brille des sozialen Modells der Behinderung. Dieses betrachtet die übergreifenden sozialen Faktoren, die Angstzustände, Depressionen und/oder Traumata verursachen. Unsere psychische Gesundheit ist mit der Umwelt verbunden, zum Beispiel bei Waldbränden. Ernährungsunsicherheit verursacht alle möglichen Probleme, sowohl körperliche als auch psychische. Wenn deine Angehörigen in den industriellen Gefängniskomplex verstrickt sind oder wenn du in einer Beziehung lebst, in der es häusliche Gewalt gibt – all das sind soziale Faktoren, die wirklich schlimme Folgen und Auswirkungen auf unsere Gehirne haben. Wenn wir die Erfahrungen im Bereich der psychischen Gesundheit durch diese Brille betrachten, können wir erkennen, dass die Bewältigung dieser Probleme einen sozialen Wandel erfordert: Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen Zugang zu Wohnraum haben, die Ernährungsunsicherheit beseitigen und für ein stabiles Einkommen sorgen. Wenn wir eine Welt aufbauen, in der all unsere Welten Platz haben, wird auch die psychische Gesundheit sich verändern.
Ausserdem denke ich, dass Menschen es verdienen, Optionen und Wahlmöglichkeiten zu haben. Für manche Menschen ist der Besuch einer*s Arzt*in und Psychiater*in gut. Für andere, die von ebensolchen Besuchen schon Schaden davon getragen haben, funktioniert es nicht. Es gibt alle möglichen Gründe, warum das klinische Modell nicht für alle funktioniert. Einer davon ist, dass wir vielleicht Aktivist*innen sind, die vom Staat illegalisiert werden, und dass wir nicht mit einer*m Therapeu*in über Traumata im Zusammenhang mit unserem Aktivismus sprechen können. Weil wir nicht von unserem Aktivismus sprechen können, ohne uns in Gefahr zu bringen.
Was die Betreuung in der Gemeinschaft angeht: Wenn jemensch eine psychische Krise durchmacht, so ist es sehr schwierig und nicht tragbar, dies einer einzigen Person aufzubürden, als wäre diese ein Therapeutx. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass wir sicher sind und unsere Autonomie und Handlungsfähigkeit bewahren. Für manche Menschen ist es das Richtige, ins Krankenhaus zu gehen. Für mich persönlich weiß mein Peer-Pod (zu dt. in etwa: Bezugsgruppe, Klüngel, Bande), dass sie niemals die Strafverfolgungsbehörden einschalten sollten, und werden alles tun, um mich aus dem Krankenhaus herauszuhalten.
Das zwingt uns auch dazu, unsere Gefühle zu Selbstmord und Selbstverletzung zu hinterfragen. Denn wenn wir über den Erhalt von Autonomie und Handlungsfähigkeit sprechen, bedeutet das, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben, selbst Entscheidungen zu treffen, auch wenn wir diese Entscheidungen nicht treffen würden.
Wie können wir uns gegenseitig besser unterstützen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bewegung?
Es ist wirklich wichtig, dass wir Menschen glauben und uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir die Wahrheit herausfinden müssen. Wenn uns jemensch erzählt, was si*er erlebt, können wir glauben, dass es für si*hn real ist. So können wir auch von der Verantwortung loslassen, „das Problem lösen zu müssen“. Wir können unterstützend wirken und Raum schaffen, ohne uns die Scheiße einer anderen Person zu eigen zu machen. Die Kehrseite davon ist, dass dafür gute eigene Grenzen nötig sind. Das hilft uns dabei, andere zu unterstützen, und für uns selber zu sorgen. Wir können nicht jede*n selber oder alleine unterstützen, also brauchen wir Unterstützungsnetzwerke.
Bei einem Unterstützungsnetzwerke schliesst eins sich einer bestehenden Affinitätsgruppe oder einem Gruppenchat an und macht dann wiederum ein check-in bei der eigenen Unterstützungsgruppe, um für sich selbst zu sorgen. Ich habe ein paar Gruppen bei denen ich das gemacht habe. Wir teilten Medikamente, luden uns gegenseitig zum Essen ein und kamen vorbei, wenn jemand Hilfe brauchte. Vielleicht verändern wir nicht die Welt, aber wir helfen uns gegenseitig zu überleben, indem wir präsent sind und auf die Bedürfnisse der anderen achten. So wird die Welt weniger zu einem Hindernislauf. Am wichtigsten ist, dass es nicht nur eine Person ist, die Unterstützung leistet, sondern dass es drei oder vier Personen sind, die sich umeinander kümmern. Keine*r von uns muss alleine sorgen.
Wir müssen lernen, Menschen in ihrem Schmerz zu begleiten. Lernen, die Vorstellung davon zu hinterfragen, was es bedeutet, gesund zu sein. Nicht alle Erfahrungen von Wahnsinn sind Krisen.
Gegenseitige Hilfe erfordert die Einsicht, dass die*r Einzelne und/oder die Gemeinschaft die Expert*innen für ihr eigenes Leben und ihre eigenen Bedürfnisse sind. Wie können und sollten wir also dieses Konzept der Solidarität auf die psychosoziale Versorgung anwenden, anstatt ein präskriptives Modell zu verwenden?
Ich denke, wir können darauf vertrauen, dass Menschen in Krisen wissen, was sie brauchen, und es ist auch OK, wenn sie nicht wissen, was sie brauchen.
Wir müssen lernen, Menschen in ihrem Schmerz zu begleiten. Lernen, die Vorstellung davon zu hinterfragen, was es bedeutet, gesund zu sein. Nicht alle Erfahrungen von Wahnsinn sind Krisen. Auch wenn ich Stimmen höre, Selbstgespräche führe oder große, unangenehme Energie verspüre, heißt das noch lange nicht, dass ich mich in einer Krise befinde. Ich muss die Krise selbst definieren. Wir müssen in der Lage sein, einander zu vertrauen. Ich bin das genaueste Berichterstattx über meine Erfahrungen. Und ich vertraue darauf, dass du di*er genaueste Berichterstatter*in deiner Erfahrungen bist. Und ich weiß mit Sicherheit nicht mehr darüber, was du brauchst, als du selber.
Solidarität in der Community Care bedeutet, einfühlsam zu sein, Fragen zu stellen und neugierig zu bleiben. Wir müssen nicht alle Antworten haben, aber um die Autonomie zu bewahren, müssen wir neugierig sein. Wir können uns gegenseitig fragen: „Was brauchst du? Was tut im Moment weh? Was könnte sich jetzt gut anfühlen? Hast du Angst?“ Wir können uns gegenseitig zutrauen, unsere Erfahrungen genau zu schildern, und das Bedürfnis ablehnen, den Schmerz des anderen in Ordnung zu bringen und ihm Vorschriften zu machen.
Wir können auch die Vorstellung davon erweitern, welche Bewältigungsstrategien für wen angemessen sind. Menschen haben alle möglichen Arten, mit Traumata umzugehen. Viele Leute würden dir empfehlen, Wasser zu trinken und tiefe Atemübungen zu machen. Aber weisst du, was mir hilft, wenn ich eine Panikattacke habe? Eine Zigarette zu rauchen, weil es mir hilft, meine Atmung zu regulieren. Therapeut*innen werden das nicht vorschlagen. Wir können uns darin üben, offen für das zu sein, was Menschen tun, um sich besser zu fühlen, auch wenn wir nicht dasselbe tun würden. Und wenn wir Gespräche über Autonomie und Handlungsfähigkeit führen, wenn es Menschen gut geht, wird es uns leichter fallen, für sie da zu sein, wenn es eben diesen Menschen nicht gut geht.
Eines der Dinge, die mich aufrecht erhalten, ist Care-Arbeit und die Betreuung von Menschen. Selbst in meinem Wahnsinn, selbst wenn es mir nicht gut geht. Ich muss mich dabei einschränken, aber das ist meine Gabe, und ich möchte sie teilen. Ich möchte dieses Wissen nicht horten. Jede*r kann und sollte in der Lage sein, eine andere Person zu unterstützen.
In meinem Peer-Pod gibt es Männer, Frauen und nichtbinäre Menschen. Ich habe das große Glück, eine Handvoll cis Männer in meinem Leben zu haben, die mich in Krisenzeiten unterstützen, aber es müssen mehr cis Männer auf den Plan treten. Wir können nicht weiterhin die ganze Verantwortung für die emotionale Fürsorge auf Frauen, Femmes, queers und BIPOC abwälzen. Cis Männer müssen ihre eigenen Gefühle bezüglich der Carearbeit hinterfragen. Du kannst gegen die Polizei an der Front kämpfen, aber du kannst nicht mit deiner Freundin abhängen, während sie sich auf der Couch zusammenrollt? Reiß dich zusammen.
Du hast in letzter Zeit einige Twitter-Threads über Care-Arbeit zur Verteidigung der Gemeinschaft gepostet. Kannst du mir mehr darüber erzählen?
Care-Arbeit ist ein Oberbegriff. Ich definiere ihn als emotional unterstützende Arbeit, die sich mit allen möglichen Dingen befassen kann, mit unsicheren Lebensmitteln und Wohnverhältnissen genau so wie mit psychischen und physischen Gesundheitsproblemen. Der Aspekt des Schutzes der Gemeinschaft kommt in vielerlei Hinsicht ins Spiel: Wenn wir keinen Zugang zu den Dingen haben, die wir brauchen, um uns sicher zu fühlen, ist das ein Sicherheitsrisiko.
Die Versorgung und Unterstützung der Gemeinschaft ist eine Form der Gemeinschaftsverteidigung und gehört unter das Dach des Antifaschismus. Antifaschistische Arbeit ist hart. Sie macht uns kaputt. Sie macht uns zu anderen Menschen. Die Übernahme antifaschistischer Arbeit verändert dauerhaft, wer man ist, und deshalb kann Care-Arbeit einige dieser Dinge ansprechen. Demontieren, stören und zerstören sind wichtige Bestandteile der befreienden und revolutionären Arbeit. Aber der Aufbau von Welten und das Schaffen und Konstruieren sind die anderen Teile. Einige der Dinge, die wir tun, sind sehr schmerzhaft, und wenn wir keine Netzwerke schaffen, um uns gegenseitig zu unterstützen und durchzuhalten, dann riskieren wir, unsere Gefährt*innen zu verlieren. Es ist eine wichtige und lebensrettende Arbeit.
Behinderte und Ver_rückte zu sein lehrt uns immer wieder, dass diese Welt nicht für uns gemacht ist.
Wie können wir selbstbestimmte Netzwerke für die gemeinschaftliche psychische Gesundheit/Traumabehandlung aufbauen und unterstützen?
Ich denke, dass es zunächst bedeutet, die Stimmen von behinderten und ver_rückten Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, denn wir haben diese Arbeit bereits getan. Behinderte Menschen wissen, wie man beschissene Situationen überlebt; ver_rückte Menschen wissen, wie man beschissene Situationen überlebt – weil wir es mussten. Wenn es also um den Aufbau der Infrastruktur geht, können wir uns an unsere behinderten Freund*innen oder Angehörigen wenden und ihre Erfahrung wertschätzend annehmen. Behinderte Menschen sind vorbereitet – und auch am stärksten von Dingen wie dem Klimawandel betroffen. Sie wissen bereits, wie sich die Luft auf sie auswirkt, und sind besorgt über den Zugang zu Medikamenten, Fahrten zu Ärzt*innen und all diese Dinge.
Behinderte Menschen mussten bereits Notfallpläne aufstellen und mit fehlenden Ressourcen zurechtkommen. Es gibt also eine Fülle von Erkenntnissen, die mensch gewinnen kann, wenn mensch einen Schritt zurücktritt und der Bewegung für Behindertengerechtigkeit, behinderten und ver_rückten Menschen erlaubt, Erfahrungen auszutauschen und darüber zu sprechen, was funktioniert und was nicht.
Und wir alle können auch ganz bewusst daran arbeiten, die Dinge zugänglich zu machen, denn Barrierefreiheit ist verdammt wichtig. Behinderte und Ver_rückte zu sein lehrt uns immer wieder, dass diese Welt nicht für uns gemacht ist.
Und so gibt es eine Barriere nach der anderen, nach der anderen, nach der anderen. Wir könnten uns den Zugang zu bestimmten Dingen erleichtern, z. B. Essen teilen und Mitfahrgelegenheiten anbieten. Uns gegenseitig helfen, unsere Häuser sauber zu halten. Uns auf den schlimmsten Fall vorbereiten und wirklich direkt darüber reden, was unsere Gefährt*innen wollen, wenn die Dinge schlecht laufen oder wenn wir nicht in der Lage sind, für uns selbst kohärente Entscheidungen zu treffen. Wie können wir uns also mit Menschen umgeben, von denen wir wissen, dass sie uns dabei helfen, diese Situationen so zu meistern, dass es mit unseren Werten und unserer Ethik übereinstimmt?
Ich empfehle allen die Lektüre von „Care Work: Dreaming Disability Justice“ von Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha zu lesen, vor allem meinen männlichen Cis-Kollegen. Ich möchte, dass die Menschen, die am wenigsten an der emotionalen Betreuungsarbeit beteiligt sind, sich selbst zur Verantwortung ziehen und sich mehr an der Betreuungsarbeit beteiligen, denn wir alle müssen das tun. Die Menschen, die am wenigsten dazu neigen, Care-Arbeit zu leisten, profitieren doch auch von der Care-Arbeit, die geleistet wird, oder? Die Care-Arbeiter*innen halten unsere Bewegungen zusammen, und wir brauchen Unterstützung.
Die Arbeit in der Bewegung ist besser, wenn wir uns unterstützt und umsorgt fühlen.
Wie können Menschen zum ersten Mal mit Care-Arbeit beginnen?
Wenn du bereits Teil von Affinitätsgruppen oder einer Politgruppe bist, hast du eine Gruppe von Menschen, mit denen du regelmäßig zu tun hast. In diesem Fall sollten wir darüber sprechen, wie wir uns gegenseitig unterstützen können, wenn es zu Streitigkeiten kommt. Lasst uns absichtlich Gespräche darüber führen. Frag deine Gefährtxes: „Was kann ich im schlimmsten Fall tun, um dich zu unterstützen? Können wir direkt über die Unterstützung sprechen, die wir in einer körperlichen oder psychischen Krise brauchen?“
In unserem täglichen Leben posten wir Shitposts, tauschen Memes aus und teilen die schlimmsten Inhalte, die es gibt. Wir sollten uns auch den verdammten Raum nehmen, um über unsere Gefühle zu sprechen und zu planen, wie wir uns gegenseitig unterstützen können. Es ist unangenehm, aber sag einfach: „Hey, es ist mir wichtig, dass wir uns alle in diesem Raum unterstützt fühlen.“ Die Arbeit in der Bewegung ist besser, wenn wir uns unterstützt und umsorgt fühlen.
Die andere Seite der Medaille ist die Anonymität. Die Realität ist, dass wir Antifaschist*innen alle Forscher*innen und Ermittler*innen sind. Wenn eine*r von uns vermisst wird, werden wir wahrscheinlich anfangen zu graben. Führt einfach ein paar Gespräche darüber. Erspart den Leuten die Energie und den Kummer, wenn wir einfach sagen können: „Hey, ich habe wirklich zu kämpfen. Ich brauche xyz.“ Und dann tun wir es alle, weil wir uns selbst schützen. Das tun wir, das ist der ganze Sinn unserer Arbeit.
Ich würde gerne mehr über einen Punkt sprechen, den du in einem deiner Threads erwähnt hast. Und zwar, dass manche Leute die Vorstellung propagieren, es müsse weh tun, in der Bewegung zu sein. Woher kommt das deiner Meinung nach? Wie können wir das auflösen?
Das ist nichts als Patriarchat, weiße Vorherrschaft und Kapitalismus. Es ist derselbe Scheiß, neu verpackt, und ich lehne ihn ab. Ich bin nicht hier, um Nazis zu doxxen, bis ich sterbe. Ich will etwas Besseres aufbauen. Einige Menschen, die ich sehr liebe, verletzen sich selbst und gönnen sich keine Pause. Sowas muss aufhören. Welchen Sinn hat es, uns zu organisieren, wenn wir nur die gleichen Systeme, die uns unterdrücken, neu erschaffen?
Die Leute, die sich keine Pause gönnen, die sich abrackern, die Siege nicht feiern und keine Momente haben, in denen sie Freude und Vergnügen empfinden, die brennen sich selbst aus. Wir verlieren Menschen. Dieser Scheiß hat wirklich Konsequenzen, und ich denke, wir haben etwas Besseres verdient. Wir arbeiten wirklich hart.
Menschen mit marginalisiertem Geschlecht, Schwarze und indigene Menschen – wir müssen das alles zusammenhalten, und das ist schmerzhaft. Fürsorgearbeit ist wichtig, und es ist wichtig, die Dinge zusammenzuhalten, aber wenn wir die Art und Weise, wie wir uns bewegen, etwas ändern könnten, würden wir uns die Dinge leichter machen.
Ich denke, wir müssen uns von der Idee lösen, eine andere Person reparieren zu wollen. Wir müssen lernen, mit unserem Unbehagen umzugehen
Du hast über Schadensbegrenzung und Selbstverletzung bei der Bewältigung von Traumata geschrieben. Wie können wir es besser schaffen, Menschen nicht für ihre Bewältigungsstrategien zu shamen, wenn wir für sie da sind?
Ich bin ein großx Befürwortx der Schadensbegrenzung. Schadensminimierung bewahrt die Autonomie und ist eine Reihe von Prinzipien, die uns dabei helfen, Menschen am Leben zu erhalten, während sie selbst entscheiden, welche Risiken sie eingehen wollen. Bei Traumabewältigung haben wir manchmal keine Wahl, welche Risiken wir eingehen wollen.
Da dies auf Selbstverletzungen zutrifft, werde ich von mir selbst sprechen. Ich bin jemand, der mit chronischer Suizidalität lebt. Ich wache damit auf und gehe damit ins Bett. Ich betrachte es als einen extremen Zustand, in dem ich mich immer befinde. An manchen Tagen ist er intensiver als an anderen, aber er ist immer da. Und ich glaube, dass es ein Schutzmechanismus ist. Ich glaube, das wird lauter, wenn ich mich an einem Ort befinde, an dem ich mich unsicher fühle. Die Stimme wird immer dann aktiviert, wenn ich mich gefangen fühle, wenn ich nicht in der Lage bin, eine Situation oder einen Ort zu verlassen oder von etwas wegzukommen, das schädlich ist.
Es kann auch etwas Existenzielles sein, z. B. wenn ich das Gefühl habe, dass ich mein Leben nicht in die gewünschte Richtung lenken kann. Ich habe nicht nur ein wirklich großartiges Peer-Pod- und Unterstützungsnetzwerk und großartige Gefährt*innen, an die ich mich wenden kann, wenn die Dinge wirklich hässlich werden, sondern auch eine Reihe von Werkzeugen, die ich benutze, um mit einigen der wirklich lauten, schmerzhaften Suizid-Intensitäten umzugehen. Einige der Hilfsmittel, die ich benutze, wenn es mir schlecht geht, könnte man als Formen der Selbstverletzung bezeichnen. Ich bin jemensch, dx sich schneidet und Substanzen benutzt, und zwar deshalb, weil Substanzen das Summen in meinem Gehirn dämpfen und mich verlangsamen. Ich bin nicht in der Lage, Entscheidungen so schnell zu treffen, wie wenn ich nüchtern wäre. Das Schneiden ist etwas, mit dem ich mich ablenken kann. Das Gefühl hilft mir, mein Gehirn neu zu kalibrieren und herauszufinden, was ich sehe und denke. Das hat viele, viele Jahre lang funktioniert und tut es immer noch.
Wenn wir die Grundsätze der Schadensminimierung auf die von mir genannten Dinge anwenden, würden mir die Menschen in meinem Unterstützungssystem nicht sagen, dass ich diese Dinge nicht tun soll. Diese Dinge halten mich am Leben, und das ist Schadensbegrenzung. Ich gehe diese Risiken auf die sicherste Art und Weise ein, um größere Risiken zu vermeiden, die mich umbringen könnten. Schadensbegrenzung könnte bei einigen dieser Hilfsmittel so aussehen, dass ich mir erlaube, nur eine bestimmte Menge zu trinken, und dann bin ich fertig. Ich kann darauf achten, dass ich etwas esse. Ich kann dafür sorgen, dass ich Erste Hilfe praktiziere und darüber nachdenke, was passiert, wenn ich zu tief schneide. Wie merke ich, wenn ich zu weit gegangen bin? Rufe ich jemensch zu Hilfe? Weiß ich, wie ich mich selbst nähen kann?
Wenn wir jemenschen unterstützen, di*er eine verrückte, schmerzhafte Sache durchmacht und vielleicht bereit ist, sich auf etwas einzulassen, was wir nicht tun würden oder wovon wir vielleicht nicht wollen, dass es passiert, dann geht es darum, wie wir sicherstellen können, dass die Person es auf die sicherste Art und Weise tut. Wir können Fragen stellen, wie zum Beispiel: Was passiert, wenn du zu tief gehst? Machst du danach sauber? Benutzt du sauberes Werkzeug? Wie können wir die Arbeit so sicher wie möglich machen?
Wenn wir über unsere Gefährt*innen in der Krise und über Menschen, die uns am Herzen liegen, sprechen, kann diese Sorge und Unterstützung die Grundlage des Gesprächs sein. Wir können es als solches ansprechen: „Ich möchte sicherstellen, dass wir dich unterstützen können, und ich möchte fragen, ob du bereit bist, mit mir ein Gespräch zu führen. Wenn du dich in der Vergangenheit so schlecht gefühlt haben, welche Dinge – gute, schlechte und hässliche – haben dir geholfen, damit umzugehen?“
Ich denke, wir müssen uns von der Idee lösen, eine andere Person reparieren zu wollen. Wir sind nicht hier, um irgendetwas zu reparieren. Wir sind dazu da, den Menschen in ihrem Schmerz beizustehen und sie zu unterstützen und ihnen zu erlauben, die Risiken einzugehen, die sie eingehen müssen, um am Leben zu bleiben. Wir können Bedingungen schaffen, die den Menschen helfen, die Auswirkungen des Traumas auf unterstützende Weise zu ertragen, aber wir können nicht für die Menschen entscheiden, was genug ist, wann es genug ist oder wann es zu viel ist. Wir können für die Menschen, die wir lieben, alles tun, was wir können, und manchmal ist das nicht genug.
Einmal hat eine befreundete Person mich beaufsichtigt, als ich mich selbst verletzte. Manchmal braucht mensch vielleicht einfach wen, die*r in der Nähe ist. Bei Heroin und Opioiden sagen wir den Leuten, dass es besser ist, es mit wem zusammen zu tun, falls Naloxon verabreicht werden muss. Das ist sozusagen die goldene Regel bei den meisten riskanten Verhaltensweisen.
Ich denke, wir sollten als Kultur mehr über Selbstmord sprechen. Unsere Freund*innen und Gefährt*innen sterben um uns herum. Und es ist ähnlich wie bei der reinen Enthaltsamkeitserziehung in Bezug auf Sex. Da kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn man nicht drüber redet: Es gibt mehr ungewollte Schwangerschaften, mehr Geschlechtskrankheiten. Nicht darüber zu reden, funktioniert nicht. Wir müssen also nicht nur aufhören, das Thema zu ignorieren, sondern wir müssen auch darüber nachdenken, was wir tun, wenn jemand, den wir lieben, sterben will. Ich weiß, dass das sehr schwer ist.
Wenn ich sterbe, dann höchstwahrscheinlich durch meine eigene Hand, und ich habe Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Menschen, die ich liebe, in diesem Fall nicht geschädigt werden. Außer durch den Verlust. Ich denke, das ist wirklich wichtig. Ich möchte nicht, dass meine Entscheidungen Menschen für immer in den Ruin treiben, und ich weiß, dass ich hier draußen nicht dx einzige bin, dxm es so geht.
Wir müssen lernen, mit unserem Unbehagen umzugehen. Wir sind allen möglichen Scheißsituationen ausgesetzt: Polizeigewalt, zwischenmenschliche Gewalt, staatliche Gewalt. Wir sollten diese lebensrettenden Gespräche miteinander führen. Die Schmerzen von Trauma und Trauer sind als Gemeinschaft leichter zu bewältigen als als Einzelne, und auch hier ist die Schaffung von Unterstützungsnetzwerken wirklich wichtig. Menschen sollten nicht in Isolation und Verzweiflung leben oder sterben müssen.