Von sogenannten anarchistischen Föderationen halten wir zwar in der Regel wenig, doch es lässt sich auch nicht leugnen, dass die FAGC doch anders ist und in dem erfolgreich ist, was sie machen. Aus diesem Grund bieten wir einen Einblick in die Geschichte der FAGC.
Die Anarchistische Föderation Gran Canarias (FAGC) feiert diesen Monat ihr 10-jähriges Bestehen. Um dieses Jubiläum zu feiern, haben wir uns entschlossen, eine Zusammenfassung ihrer Geschichte in diesen 10 Jahren zu übersetzen, in denen sie von der Störung von Reden reformorientierter Gewerkschaften während der 15M-Platzbesetzungen bis hin zu der einzigen Einheit auf Gran Canaria, die mehr Häuser für Menschen ermöglicht hat, gegangen sind. All das, während sie polizeiliche Repression und Folter, interne Konflikte und Spaltungen, Twitter-Zensur, Angriffe und Empörung von etablierten Anarchist_innen und vieles mehr ertragen mussten.
Dies sind die Siege, die Fehler und die vielen Lektionen, die die FAGC aus allem gelernt hat. Herzlichen Glückwunsch zu diesen 10 Jahren und wir wünschen euch, dass noch viele weitere folgen werden!
Via Organise!
Diesen August feiert die FAGC (Federación de Anarquistas Gran Canaria) ihr zehnjähriges Bestehen, 10 Jahre Nachbarschaftsanarchismus. Wir werden einen kurzen und knappen Überblick über den geschichtlichen Werdegang der FAGC machen. Wir müssen zurück ins Jahr 2011, zu einer Gesellschaft, die von den Demonstrationen der Empörung dessen, was als 15M bekannt werden sollte, erschüttert wurde.
Am 16. Mai stürmte eine Gruppe junger Anarchist_innen auf den San Telmo Platz und verteilte ein Flugblatt. Darin stand unter anderem:
Es ist etwas in Bewegung geraten und wir können uns nicht damit begnügen, nur zuzuschauen. Zunächst einmal werden wir eine Menge Scheiße abbekommen, viele Beleidigungen und Verleumdungen. Sowohl die parlamentarische Linke als auch die Rechte haben mit ihrer vorgetäuschten Fehde das soziale Leben des Staates polarisiert; jetzt, wo sie sehen, dass wir keine von beiden wollen, dass es nur zwei Gruppen gibt: sie und wir, Unterdrückende und Unterdrückte, Reiche und Arme, kauern sie vor Angst in geschlossenen Reihen. Die Angst, die sie für einen „einfachen Protest“ zeigen, ist ein Symptom, das zeigt, dass dies etwas mehr sein kann.
Aber das kann nicht das einzige sein, was uns Sorgen macht; dieser Feind ist leicht zu identifizieren. Was wir sicherstellen müssen, ist, dass diese Bewegung nicht von irgendjemandem benutzt wird außer von der sozialen Unzufriedenheit selbst. Eine Menge „Väter“ und „Tutoren“ werden aus dem Nichts auftauchen, viele, die versuchen werden, uns „arme Idealist_innen“ auf einen „praktischeren“ und „konstruktiveren“ Weg umzuleiten. Lass dich nicht täuschen! Alles, was nach Politik riecht, nicht verstanden als die Verwaltung der Polis, sondern die „Kunst des Regierens“, wird versuchen, diese Bewegung zu demontieren und sie in ein Werkzeug für ihre eigenen Interessen zu verwandeln. Unsere einzige Chance ist es, den „Feuerwehrleuten“, den Berufspolitiker_innen, die dies zu ihrem Wahlkampf machen wollen, Feuer ins Gesicht zu spucken. Um die Gesetze zu reformieren? Das System des freien Austauschs zu refundieren und zu versuchen, die elektorale Linke zu radikalisieren? Um staatliche Eingriffe zu fordern? Das bedeutet, dass wir uns mit unseren eigenen Händen am Hals aufhängen, aber die Schlinge benutzen, die sie uns geben. Ricardo Flores Magón sagte: „Revolutionen scheitern, weil sie, sobald sie triumphieren, alles in die Hände der neuen revolutionären ‚Regierung‘ legen, anstatt es selbst zu tun.“
Es hat noch nicht einmal einen totalen Aufstand gegeben und schon verlangen wir vom Gesetz und dem System eine Reform, die sie selbst geschaffen haben? Was wir brauchen, ist der freie Zugang zu Versorgungseinrichtungen, Wohnungen und Lebensmitteln. Was wir brauchen, ist, dass die Arbeiter_innen die Produktion kontrollieren. Das Finanz- und Bankensystem kann nicht „umgelenkt“ werden, sondern zerstört. Wir müssen es sein, auf welche Weise auch immer wir uns entscheiden, die unser eigenes Leben verwalten. Lass dich nicht von dem „Pragmatismus“ der Moderaten anstecken. Wenn du alles willst, dann bitte nicht darum: NIMM ES!
Was war die Reaktion der ersten 15M-Integrierten auf dieses Flugblatt? Eine dringende Versammlung wurde einberufen, um…DIE ANARCHIST_INNEN ZU VERTREIBEN.
Student_innen waren empört, weil wir „eine Revolution vorschlugen“ und sie nur „ein bisschen was ändern wollten“. Puritaner_innen der politischen Parteien sagten, sie sollten die Polizei auf uns hetzen, um uns rauszuschmeißen (aus einem öffentlichen Park). Aber es gab auch Stimmen, die uns verteidigten.
Sie konnten uns nicht rausschmeißen, auch nicht, wenn es mit einer Mehrheit beschlossen wurde, die sie nicht hatten. Wir fanden heraus, dass sie die gleiche Prozedur benutzt hatten, um feministische Compas wegen eines Plakats rauszuschmeißen: „Die Revolution wird feministisch sein oder sie wird nicht sein“
Bei all diesem Murks, sollten wir gehen oder bleiben? Die einfache Option war zu gehen, aber als Anarchist_innen wählen wir nie den einfachen Weg. Zu gehen bedeutete, den Platz den Parteien und den Opportunist_innen zu überlassen. Wir entschieden uns zu bleiben, mit dem Ziel, eine andere Art der Konfliktlösung zu zeigen.
Unsere Absicht war es, die Polizei vom Platz fernzuhalten (nach der die „Indignados“ [die „Empörten“] selbst aus irgendeinem Grund riefen), den Ausschluss der obdachlosen Compas, die dort kampierten, zu vermeiden und generell zu zeigen, dass unsere Ideen nützlich waren.
In kürzester Zeit änderte sich die Wahrnehmung, die einige der „Indignados“ von uns hatten. Viele Leute begannen zu uns zu kommen und sagten, dass sie Anarchist_innen seien, sagten aber nichts, als wir ankamen, weil wir „wie ein Elefant im Porzellanladen“ eintraten.
Immer mehr Leute schlossen sich an: alte Militante der COA (Colectivo de Objeción de conciencia y Antimilitarismo / Kollektiv der Kriegsdienstverweigerer und Antimilitarismus) aus den 80er Jahren, Leute von der grancanarischen CNT, Punks, junge Leute, die mit dem Anarchismus sympathisierten, aber nichts davon wussten, Fraktionslose, etc. Es entstand der „schwarze Block“.
In Wirklichkeit war das der Name, den uns unsere Gegner_innen gaben, aber wir dachten, er sei lustig. Im Laufe des Monats Juli fingen wir an, darüber nachzudenken, eine Föderation zu gründen, eine FAGC. Wir dachten auch, dass es lustig sei, wegen der FAI und wegen „Fuck“ (ja, wir waren sehr jung)
Etwa Mitte August (das genaue Datum ist ein Geheimnis), im San Juan Park, Telde, fand die Gründungsversammlung der FAGC statt. Es wurde kein Dokument geschrieben. Kein Foto wurde gemacht. Die meisten der jetzigen FAGC-Mitglieder haben an dieser Versammlung nicht teilgenommen. Aber dort hat alles angefangen.
Wenn San Telmo geräumt wird, sind wir Anarchist_innen an vorderster Front dabei. Und auch, wenn es darum geht, eine Lösung für die obdachlosen Compas zu geben, die mit der Räumung auch ihre Zuflucht verloren haben. Ein verlassenes Hotel wird besetzt. Die erste offizielle Hausbesetzung der FAGC.
Und auch der erste offizielle Prozess gegen die FAGC wegen widerrechtlicher Aneignung. Die Compas würden für unschuldig befunden werden und es gab eine große Mobilisierung vom gesündesten und engagiertesten Teil der 15M.
Um diese Zeit herum findet die erste wichtige Aktion der FAGC statt: die Führung einer Demo weg von CCOO und UGT (zwei reformistische Gewerkschaften aus Spanien) zu übernehmen. Die Parole? „Die einzige gute Verfassung ist eine brennende.“
Um diese Zeit starten die Parteien eine starke Offensive, um die 15M in San Telmo zu kontrollieren. Es geht das Gerücht um, dass „die Anarchist_innen eine Mehrheit in der Versammlung haben und uns radikalisieren“. Die Wahrheit ist, dass wir nie mehr als 15 waren, mit einer Menge Sympathisant_innen.
Die Leute, die befürchten, dass die 15M am Ende eine weitere politische Partei werden würde, kommen zu den Anarchist_innen, um diesem Einfluss entgegenzuwirken. Aber die FAGC hat eine interne „Regel“: als Einzelpersonen an der 15M teilzunehmen, in Versammlungen der FAGC nicht über die 15M zu sprechen. Kurz gesagt, nicht zu regieren.
Also entwickelte Ruy ein Organisationsmodell (um anderen entgegenzuwirken, die wollten, dass ein Kollektiv/Partei abstimmt und das gleiche Gewicht hat wie eine Nachbarschaftsversammlung), das die Autonomie der Versammlung sicherstellt. Ruys Modell setzte sich mit Mehrheit durch.
In dem Modell heißt es:
Die Struktur einer Bewegung, die horizontal, kopflos (ohne Anführende) und populär ist, kann nicht als ein „Top-Down“-Zusammenhang verstanden werden.
Um jeden Versuch der Vertikalität zu stoppen, müssen wir versuchen, die Dinge vom Einfachen zum Komplexen zu organisieren, indem wir fördern, dass das Anspruchsvolle unerbittlich vom Grundlegenden abhängt.
Aber wenn die Zirkularität die Hierarchie erschreckt, wird es die föderale Methode sein, die es erlaubt, die Autonomie der Versammlung zu erhalten. Nach diesem Prinzip ist jede Versammlung autonom, und wenn wir die Versammlung als Methode der kollektiven Entscheidungsfindung in Opposition zu den Mächten verstehen, verstehen wir, dass auf ihr und nicht in irgendeinem anderen Organ die Souveränität ruht. Das macht Kommissionen zu bloßen Werkzeugen, die nur das umsetzen müssen, was die Versammlung beschlossen hat.
Wir haben nicht vergessen, dass die Kollektive im Gegensatz zu anderen sozialen Gruppen (Arbeiter_innen, Arbeitslose, Student_innen, Rentner_innen, Nachbar_innen, etc.) durch ideologische Verbundenheit vereint sind und dass die Horizontalität jede Art von Fremdbestimmung verhindern muss.
Die Erfolge kommen mit polizeilicher Aufmerksamkeit. In den nächsten Demonstrationen und Streiks wiederholte sich eine Dynamik: das Angreifen der Polizei gegen die Anarchist_innen und die Konfrontationen mit der „Security“ der reformistischen Gewerkschaften.
Wir befinden uns nun im Jahr 2012. Ein chaotisches Jahr. Da haben wir gemeinsam mit jungen Fraktionslosen die Nazis von Respuesta Estudiantil aus einer Demonstration rausgeschmissen, wo sie ihre Teilnahme mit dem damals größten studentischen Kollektiv vereinbart hatten.
Und auch einer unserer größten Erfolge fand statt: die Einnahme einer Plattform, die den reformistischen Gewerkschaften gehörte, und ihr Rauswurf von dort. Eine Aktion, die, obwohl informell besprochen, spontan geschah, um das Massaker an unserem Block zu verhindern.
Die FAGC vermittelte von außen das Bild, „mächtig“ zu sein, aber in Wirklichkeit hatte sie ein paar Monate zuvor ihre erste Spaltung erlitten und war in eine Debatte über ihr Wesen und ihre Ziele eingetaucht. Alles begann um die Besetzung von verlassenem Land.
Schon damals konnte man in der FAGC zwei verschiedene Sektoren sehen, einen mit mehr Neigung zum „konventionellen“ Anarchismus, mit seinen typischen Aktionen wie Freizeitaktivismus; und einem anderen „aus der Nachbarschaft“, der sich mehr darauf konzentrierte, die Menschen um sie herum zu erreichen.
Die Diskussion entwickelte sich um eine Frage: einen Teil der Ernte mit Nachbar_innen ohne Ressourcen teilen und sie einladen, sich dem Projekt anzuschließen oder alles Geerntete für sich selbst nehmen? Wir wussten nicht, wie wir mit der Meinungsverschiedenheit umgehen sollten und nach und nach verließen die Befürwortenden der zweiten Option das Projekt.
Ungefähr zu dieser Zeit wurde die FAGC in den lokalen Nachrichten (negativ) erwähnt und es zog junge Anarchist_innen an, die über alles verärgert waren, aber unser wirklicher Effekt in unseren Nachbarschaften war minimal. Wir waren sehr kämpferisch, aber wir sprachen nicht zu unseren Leuten, nur zu uns selbst.
Wir hatten eine Periode der tiefen Analyse, der Betrachtung des kanarischen Elends in all seiner Tiefe und Reichweite. Warum, wenn die meisten von uns aus La Isleta, El Polvorín, Jinámar, Las Remudas, San Cristóbal, El Risco, Las Chumberas, etc. kamen (verschiedene Dörfer von Gran Canaria), haben wir nicht mit unseren Nachbar_innen gesprochen?
Die Zeit der Demonstrationen war in Ordnung, es war sehr notwendig, um Stärke aufzubauen. Aber in zwei Jahren hatten hunderte von Demonstrationen stattgefunden, und außer die Bourgeois zu erschrecken, hatten wir nichts erreicht.
Der Kampf um die Horizontalität von 15M war ein Crashkurs in „Realpolitik“ gewesen. Aber abgesehen davon, unsere Kräfte zu bündeln und unsere Ideen einer neuen Öffentlichkeit zu präsentieren, machte es Sinn, in einer „Bewegung“ weiterzumachen, die nur noch ein Kollektiv war?
Wir begannen damit, unsere Türen für unser landwirtschaftliches Projekt zu öffnen. Es war das erste Mal, dass wir als FAGC mit nicht-anarchistischen Leuten an einem anarchistischen Projekt gearbeitet haben. So wurde „Land und Freiheit“ geboren.
Wir setzten unsere Analyse der kanarischen Situation fort und sahen, dass Wohnen und Zwangsräumungen zwei der Dinge waren, die unsere Nachbar_innen am meisten beunruhigten. Ein Dach über dem Kopf, ein Haus, warme Kleidung, das Grundlegende, das Notwendige. Unser Gemüsebeet deckte das erste ab, aber was ist mit dem Rest?
Für die Kleidung schufen wir „Solidarity Meeting Space“, ein Netzwerk zum freien Tausch und Teilen von Kleidung, Spielzeug und anderen Gütern. Inoffiziell geht es immer noch weiter. Sowie 4 Gemüsebeete, die 2 Gemeinschaften von 260 Menschen und einige weitere Familien ernähren.
Aber das Wohnen war viel komplizierter. Wir hatten schon vorher Hausbesetzungen durchgeführt (einige seit sie Teenager_innen waren) und wir hatten Räumungen mit der 15M gestoppt, aber der ganze rechtliche Scheiß war jenseits unseres Verständnisses. Wir versuchten, uns mit der lokalen PAH (Plataforma de Afectados por la Hipoteca, Netzwerk von Gruppen, die im Wohnungskampf involviert sind) und der Hausbesetzungsbewegung zusammenzuschließen.
Die Idee war, dass die PAH den juristischen Teil übernimmt, die Hausbesetzungsbewegung die Umquartierung und die FAGC den Widerstand gegen die Räumung (unsere wahre Spezialität). Aber es hat nicht funktioniert… Die PAH hat sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit Fällen von Mieten oder Hausbesetzungen beschäftigt.
In einen legalistischen und institutionalistischen Prozess verwickelt, wollte sie nichts mit den Anarchist_innen zu tun haben, also beschränkten wir uns darauf, zu ihren Versammlungen zu gehen, um ins Wespennest zu treten und Nachbar_innen zu fischen, die mit ihren „halben Sachen“ unzufrieden waren.
Die Hausbesetzungsbewegung hat sich zwar monatelang aufgerappelt, mit uns Räumungen gestoppt und umgesiedelt. Aber ihre interne Dynamik, die Sache mit den Räumen für „Reisende“ oder Meditation, machte sie wenig haltbar. Die FAGC musste die Entscheidung treffen, allumfassend zu sein.
Wir vertieften uns in das Rechtswesen (wie die Atheist_innen, die die Bibel lesen) und wir begannen, sozialisierte Häuser zu schaffen (der Plan B) und wir begannen, Räumungen selbst zu stoppen. Die „Grupo de Respuesta Inmediata“ (Gruppe der sofortigen Reaktion) wurde geboren.
Wir machten die ersten „Versammlungen von Mieter_innen und Nachbar_innen“, aus denen die ersten öffentlichen Hausbesetzungen entstanden, zusammen mit der Nachbarschaft. Auf den Fotos siehst du zwei Versammlungen (die erste kurz nach der Verhaftung von zwei Compas) und eine „Sozialisierungskarawane“.
Wir machten unsere ersten Umquartierungen, aber es ist anstrengend, sich auf Einfamilienhäuser zu beschränken. So entstand gegen Ende des Jahres 2012 die Möglichkeit, die Gemeinschaft „La Esperanza“ zu gründen. Im Februar 2013 haben wir die erste Familie aufgenommen. Bis Mai waren es 20 Familien.
Die Arbeitsüberlastung beginnt brutal zu sein. Es gibt Compas, die die Theorie der „Arbeit mit nicht-anarchistischen Menschen“ mochten, bis es an der Zeit war, sie in die Praxis umzusetzen. Persönliche Enttäuschungen, gemeinschaftliche Konflikte… davon hat die Theorie nichts gesagt.
Viele Compas organisieren sich nicht mehr, das Gewicht fällt auf sehr wenige Leute und dann gibt es einen Konflikt und die zweite und letzte Spaltung. Es gibt Leute, die „andere Sachen machen“ wollen und einige andere, die in „La Esperanza“ und im Wohnwesen weitermachen wollen, aber mit der Beteiligung aller.
Der erste Sektor ist die Mehrheit. Der zweite geht und macht weiter mit Hausbesetzungen und lässt den ersten mit dem Namen machen, was sie wollen. In einem Monat gibt es die FAGC nicht mehr. „La Esperanza“ darf sich selbst verwalten, wie sie wollen.
Monate später kontaktieren die Nachbar_innen aus der Gemeinschaft die minderheitliche Gruppe: sie brauchen Hilfe bei diesen „assamblearischen“ und „horizontalen“ Dingen, weil sie ein Präsidialsystem ausprobiert haben und es ein Chaos war.
Wir haben noch das Protokoll der ersten Versammlung der Gemeinschaft, als sie das assamblearische Modell wieder einführte:
Es wird eine periodische Nachbarschaftsversammlung gebildet, um die gemeinsamen Angelegenheiten zu verwalten. Diese Versammlung wird die Fähigkeit haben, Entscheidungen über die Eröffnung und Einrichtung von neuen Häusern, Umquartierungen, Festlegung von Gebühren, Bankverfahren, Instandhaltung usw. zu treffen.
Es wird beschlossen, „bei Null anzufangen“; vergangene Konflikte und Missstände werden nicht berücksichtigt.
Es wird festgelegt, dass alle Nachbar_innen gleichberechtigt sind und es daher keinen Bedarf für eine Position der Leitung, des Managements, des Vorsitzes, etc. gibt. Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.
Im Falle von unvorhergesehenen Ausgaben wird eine Notversammlung einberufen, die über die Notwendigkeit eines kollektiven Fonds entscheidet, um diese zu bezahlen.
Unter Berücksichtigung der Mindestausgaben der Gemeinschaft wird eine Quote von 25 Euro pro Monat für jedes Haus festgelegt.
Die Zahlung der Quoten kann zwischen dem 1. und 30. eines jeden Monats erfolgen und wird an den Kassenwart übergeben. Wenn ein_e Nachbar_in die Quote nicht vollständig bezahlen kann, wird die Person sich mit dem beteiligen, was sie kann (Ruy verspricht, die Differenz im Falle einer nachgewiesenen Notlage zu zahlen).
Die Versammlung lehnt die Erpressung oder Einschüchterung von Nachbar_innen, die nicht zahlen, strikt ab. Kein_e Nachbar_in kann vertrieben oder Wasser oder Strom verweigert werden, weil er*sie nicht zahlt.
Wir brauchten eine Plattform, um unsere Stimme zu verbreiten, und da die Compas, die den Namen behielten, aufgehört hatten, ihn zu benutzen, wurde die FAGC im Jahr 2014 neu gegründet. Eine ganz andere FAGC als in ihren Anfängen.
Je mehr wir uns mit nicht-anarchistischen Leuten organisierten, desto mehr ideologische Anarchist_innen begannen zu verschwinden und mehr Nachbar_innen traten der FAGC bei. Es beginnt die goldene Zeit der Selbstverwaltung, mit den ersten massiven Erfahrungen, mit den ersten Misserfolgen, aber auch Zufriedenheit.
Schon vor „La Esperanza“ gab es eine selbstverwaltete Gemeinschaft (sie besteht bis heute, es ist „El Project“, dessen Standort geheim bleibt). Aber „La Esperanza“ ist viel größer, 210 Leute und es ermöglichte uns, „Anarchie“ am eigenen Leib zu erfahren.
Von 2014 bis 2015 war die FAGC damit beschäftigt, mit den Grenzen der Selbstverwaltung zu experimentieren. Mit all seinen Widersprüchen und Konflikten. Zwei baufällige Blöcke von „La Esperanza“ werden saniert und die letzten 5 Familien werden umgesiedelt (76 insgesamt) und das Projekt gilt als abgeschlossen.
Um diese Zeit kommen Agenten der Guardia Civil (Militarisierte Polizeieinheit aus Spanien. Sie sind bekannt dafür, die Bastarde unter den Bastarden zu sein.) und nehmen Ruy illegal fest und foltern ihn auf der Wache. Durch den Zugriff auf den Polizeibericht sehen wir, dass für die Guardia Civil „La Esperanza“ ein „Hot Spot“ ist und sie die Gemeinschaft ohne Reue kriminalisieren, wenn sie den Einsatz vorbereiten.
Alle Alarmglocken schrillen. Die zaghaften Versuche, uns bekannt zu machen, werden beiseite gelegt und eine landesweite Kampagne wird gestartet, um jede Art von Repressalien zu vermeiden. So wurde „La Esperanza“ als die größte selbstverwaltete Gemeinschaft im Bundesstaat bekannt.
Im Jahr 2016 befahl das Bürgermeisteramt von Guía (Stadt, in der sich die Gemeinschaft befindet) den Nachbar_innen, die Gemeinschaft innerhalb eines Monats zu verlassen (als ob sie dazu in der Lage wären) und Panik machte sich breit. Aus Angst vor einer präventiven Räumung starten die FAGC und die Nachbar_innen eine kraftvolle Kampagne. Einen Monat später sind die Nachbar_innen immer noch da. Diesen Februar wurde sie 8 Jahre alt.
Ebenfalls 2016 startet die FAGC „Las Masías“. Eine Wohngemeinschaft für migrantische Compas, die aus den CIEs (Centro de Internamiento de Extranjeros, Internierungslager für Eingewanderte) geflohen sind und von der Polizei verfolgt werden. Heute leben dort 70 Nachbar_innen.
Der Widerstand von „La Esperanza“ hat auch dazu geführt, dass viele Jugendliche und Student_innen mit der FAGC in Kontakt gekommen sind und sich dafür interessiert haben. Einige von ihnen, die nach Guía gingen, um bei der Räumung zu helfen, sind heute wertvolle Mitglieder der FAGC.
In der FAGC gibt es nur sehr wenige Anarchist_innen und viele Nachbar_innen, die sich mit dem Etikett „libertär“ nicht unbedingt wohlfühlen. Es gibt Versuche, großspurige Gruppen wie das „Büro für Volksenteignung“ zu gründen, aber die funktionieren nicht, weil sie im Endeffekt die FAGC unter einem anderen Namen sind.
Das ganze Jahr 2016 über gibt es Gespräche und Debatten über die Notwendigkeit, eine Mieter_innengewerkschaft zu gründen, wie sie von der CNT im letzten Jahrhundert gegründet wurde. Die FAGC befindet sich erneut in einer internen Krise, und es wird darüber nachgedacht, die FAGC aufzulösen, wenn die SIGC nicht funktionieren sollte.
Es ist im Januar 2017, als ohne viel Hoffnung eine Versammlung in „La Esperanza“ einberufen wird, um die Gründung einer Mieter_innengewerkschaft zu beschließen. Die Reaktion der Nachbar_innen ist eine Überraschung: Sie werfen ihre 50-Cent-Quote auf den Tisch und fragen nach ihrer Mitgliedskarte. Sie verstehen sehr wohl, was eine „Gewerkschaft“ ist.
Die SIGC (Mieter_innengewerkschaft von Gran Canaria) ist geboren und aus ihr gehen drei neue Gemeinschaften hervor: „El Refugio“, „La Ilusión“ und „El Nido“. Alle, bis auf die letzte, bestehen weiterhin. Die Lektion von „El Nido“ ist immer noch wichtig. Wir sprechen hier von einer sozialisierten Schule.
Die Idee war, sie zu einem Schutzraum für Überlebende sexistischer Gewalt zu machen, denn in den „Schutzräumen“ des Staates ist die Behandlung schändlich. Die Schule wird bewohnbar gemacht und alles ist bereit. Doch dann treffen einige Nachbar_innen eine fatale Entscheidung.
Sie beschließen, den Bürgermeister der Stadt zu kontaktieren, um ihre Situation zu „legalisieren“. Zwei Stunden lang hört ihnen der Bürgermeister freundlicherweise zu. Er geht hinaus, um mehrere Anrufe zu tätigen, kommt aber mit der gleichen Herzlichkeit und guten Laune zurück. Die Nachbar_innen sind sehr glücklich.
Als sie nach Hause zurückkehren, stellen sie fest, dass die Schule mit all ihren Sachen eingemauert wurde, während der Bürgermeister sie abgelenkt hat. Es war eine harte Lektion, aber sie diente dazu, dass die Gemeinschaften die Natur der Institutionen erkennen.
In diesem Jahr haben die Compas von Inercia Docs das Meisterwerk „Precaristas: cronic of the struggle for housing in Gran Canaria“ produziert. Eine grafische Manifestation unserer Realität, unserer Militanz und unseres Nachbarschaftsanarchismus.
In diesem Jahr haben wir auch die massive Räumung von „Los Barracones del Conde“ (Die Schlafbaracken des Barons) gestoppt. Die FAGC und SIGC kommen mit einer anderen Realität in Berührung, der ländlichen, der caciquistischen, der aristokratischen, der der ausgebeuteten Arbeiter_innen, die in Hütten leben. Der Kampf breitet sich von Norden nach Süden aus.
Zu Beginn des Jahres 2018 begann die SIGC, den Überschuss an Aktivität zu spüren. Einige Compas werden krank, andere werden müde. Die SIGC nimmt sich einige Monate Auszeit. Mit hunderten von gestoppten Räumungen (einige davon massiv), Dutzenden von Umquartierungen und drei neuen Gemeinschaften. Der Verschleiß ist offensichtlich.
Die FAGC ist an diese Momente von Ebbe und Flut mehr gewöhnt, also setzt sie ihre Aktivität fort, während die SIGC sich eine Zeit der Reflexion nimmt. Wir starten eine Beratungsstelle für prekäre Menschen, speziell für Bargeldarbeiter_innen.
Viele der Compas, die zu uns kommen, sind Prostituierte. Wir fangen an, Anklagen gegen Zuhälter und Polizeimissbrauch zu schreiben, die Schritte zur Beantragung von Leistungen zu erlernen, wir organisieren Workshops zur Umschulung und zum Schreiben von Lebensläufen.
Eines unserer Gemüsebeete wird derzeit von den Compañeras, die von uns beraten werden, bewirtschaftet. Hunderte von Kilos Orangen, Tomaten, Avocados, Kartoffeln oder Zucchini kommen jeden Monat heraus. Wir moralisieren nicht. Wir geben Werkzeuge, damit niemand von niemandem auf die Füße getreten wird.
Wir bauen auch ein kleines Gesundheitsnetzwerk auf, um eine Grundversorgung für die migrantischen Compas zu gewährleisten, die Angst haben, verhaftet zu werden, wenn sie in das kanarische Gesundheitssystem kommen. Dieses Netzwerk, mit seiner Klinik, ist bis heute aktiv.
Gegen Ende des Jahres 2018 wurde der Prozess zur Räumung von „La Ilusión“ eingeleitet. Die FAGC antwortet auf den Aufruf und durch eine Petition der Nachbar_innen selbst wird die SIGC neu gegründet. Von hier aus startet eine Gewerkschaft, die die Räumung von „La Ilusión“ und durchschnittlich 400 pro Jahr stoppt.
Die Gemeinschaft „Los Girasoles“, die kurz vor der Reflexionsphase der SIGC gegründet wurde, wird nun durch die Gemeinschaft „Miraflor“ ergänzt. SIGC hat derzeit mehr als 600 Mitglieder und 80 Organisator_innen, die sich unterschiedlich stark engagieren.
Anfang 2020 wurde „Precaristas“ zum ersten Mal auf Gran Canaria aufgeführt. Das Event ist ein besonderer Anlass auf der Insel. Es wird dort gefeiert, wo es hingehört: auf dem Platz, in der Nachbarschaft von Guanarteme, in der freien Natur, mit unseren Nachbar_innen, mit unseren Leuten.
Im April 2020 helfen die FAGC und die SIGC, den ersten Mietstreik im Staat im 21. Jahrhundert zu fördern (es war nur angemessen, da die SIGC die erste Mieter_innengewerkschaft im Staat im 21. Jahrhundert ist, eine Tatsache, die viele stört).
Eines Tages sollten wir die interne Geschichte dieses Streiks schreiben. Von einigen sabotiert, von anderen versucht, ihn zu kontrollieren, von vielen kritisiert. Wir haben uns schnell von der offiziellen Strömung distanziert und uns darauf beschränkt, Streikkomitees zu gründen und Tausende von Menschen zu beraten.
Mehr als 600 Leute (wir sprechen nur von Daten der FAGC, die SIGC allein wird mit ebenso vielen zählen) auf Canarias und auf der Halbinsel (ja, wir hatten mit vielen Fällen aus dem ganzen Staat zu tun) haben durch direkte Verhandlungen Zugeständnisse erreicht.
Die Moratorien oder Lohnkürzungen zählen wir gar nicht, weil sie nicht das Ziel des Streiks waren. Es war kein Generalstreik und die Regierung (die das „friendly fire“ nicht fürchtete) setzte die Zahlungen nicht aus. Wir haben es aber geschafft, dass organisierte Nachbar_innen die Großgrundbesitzenden besiegt haben.
Noch heute gibt es Leute, die eine reduzierte Miete genießen. Andere haben erst nach dem Ende des Alarmzustandes angefangen zu zahlen, ohne dass ein_e Vermieter_in deswegen gestorben ist.
Gegen Ende des Jahres 2020 startet die FAGC „El Refugio II“. Eine Gemeinschaft für verfolgte Migrant_innen, in der 190 Menschen leben. Es war notwendig, eine ganze Infrastruktur der Selbstversorgung aufzubauen (mit Gärten, Öfen, etc.) und ein Einkaufsnetz, das immer seltener benötigt wird.
Während der schweren Monate der Pandemie entwickelte die FAGC auch ein Netzwerk der gegenseitigen Hilfe mit Einkäufen von 50 Euro für jede Familie. Mehr als 30 unserer Nachbar_innen profitierten davon und vermieden es, vor den NGOs kriechen zu müssen, die sie demütigten und sogar die Marke der Einlagen kontrollierten.
Anfang 2021 erreicht das „Los Olmos“ mit seinem Streikkomitee eine Vereinbarung mit den Eigentümer_innen, 8 Jahre dort zu leben, im Austausch für 2000 Euro pro Jahr. Alles dank dieses „Scheißstreiks“, auf den die militanten Eliten und die „Besserwisserkomitees“ herabschauen.
Anfang dieses Jahres wurde uns auch mitgeteilt, dass der Prozess gegen unseren Compañero Ruymán neu aufgerollt wurde. Die FAGC und SIGC gehen wieder auf die Straße. Es ist immer noch ein andauernder Kampf und wir brauchen euch, euch alle, um zu gewinnen.
¡Viva la FAGC! ¡Viva el anarquismo de barrio!