Mbembe und Táíwò diskutieren über staatliche Zwangsgewalt, Technologisierung und algorithmischem Rassismus sowie den universellen Kampf für raciale und ökologische Gerechtigkeit.
Via RoarMag
Achille Mbembe ist ein bahnbrechender Philosoph, dessen zahlreiche Bücher seit Mitte der 1980er Jahre aufzeigen, wie die Kolonialität Demokratie, Identität und Moderne geprägt hat.
Olúfẹ́mi Táíwò ist ein aufstrebender Denker, Schriftsteller und Aktivist, dessen theoretische Arbeit frei aus der Schwarzen radikalen Tradition und antikolonialem Denken schöpft. Er hat ausgiebig über Klimagerechtigkeit geschrieben.
In diesem faszinierenden und weitreichenden Gespräch helfen sie uns, die moderne staatliche Zwangsgewalt zu verstehen, indem sie ihre Wurzeln im Kolonialismus zurückverfolgen und untersuchen, wie sie unsere heutigen Sicherheitsinstitutionen geprägt hat.
Warum ist dies ein Zeitalter steigender autoritärer staatlicher Kontrolle geworden? Vor ein paar Jahrzehnten schien es, als würden wir uns mit dem Fall der Berliner Mauer von einer Welt des Autoritarismus wegbewegen. Es gab das Gefühl, dass sich die Welt öffnete. Und doch scheinen wir heute in eine andere Richtung zu gehen. Wie verstehst du, was heute passiert?
Achille: Das ist eine sehr komplexe Frage. Eine Möglichkeit, es zu betrachten, ist, dass Kapitalismus und Demokratie schon immer im Streit lagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen beide Systeme zu einer Art Kompromiss. Es gab eine Art stillschweigenden Frieden, da die kolonialen Systeme beendet wurden, neue Staaten in ein globales System integriert wurden, auch wenn das System zutiefst hierarchisch blieb. Aber seit dem Ende des 20. Jahrhunderts mit der ersten Globalisierung und den anhaltenden Transformationen des Neoliberalismus wurden sowohl die Demokratie als auch in gewissem Maße der Staat selbst ausgehöhlt.
Durch eine Reihe von Mechanismen, wie z.B. Schulden, haben sich die Staaten bei den Konzernen und der Macht der Konzerne verschuldet. Was vom Staat übrig bleibt, ist ein Zwangsapparat, der in den Dienst eines Wirtschaftssystems gestellt wird, dessen Hauptfunktion darin besteht, mit allem Leben zu handeln.
Zusammen mit einer technologischen Eskalation hat dies zu einer Beschleunigung der räuberischen Praktiken geführt. Die Erklärung für die autoritäre Wende, auch der sogenannten liberalen Demokratien, liegt im Schnittpunkt dieser multiplen Krisen: der räuberischen Aneignung des Lebens, der Technologisierung und der Ausplünderung des Planeten.
Olúfẹ́mi: Ich sehe das ganz ähnlich. Ich nehme an, das Einzige, was ich hinzufügen würde, ist der größere Hintergrund der fünf oder so Jahrhunderte des Kolonialismus, wo die Kolonien unter einer sehr expliziten autoritären Herrschaft standen und von expliziten Systemen der racialen Apartheid geleitet wurden.
Die Erwartung, dass wir uns auf eine Periode der liberalen Demokratie zubewegen, spiegelt eine außergewöhnliche Zeit wider, die auf geopolitischen Kampflinien zwischen den USA und der Sowjetunion basierte. Es wurde unsinnigerweise als freiheitsliebende liberale Demokratie gegen die freiheitshassenden kommunistischen Regime dargestellt, wobei ignoriert wurde, dass so viele Staaten unter direkter kolonialer, autokratischer, imperialer, racial-hierarchischer Kontrolle durch die sogenannten liberalen Demokratien standen.
Und als der geopolitische Kampf um die Herzen und Köpfe des Kalten Krieges nicht mehr im Spiel war, ist es nicht verwunderlich, dass das, was auf 1989 folgte, keine Periode ernsthafter liberaler Demokratie und Freiheit war, sondern eher uneingeschränkte staatliche und private Unterdrückung.
Wie können wir also in diesem Kontext staatliche Zwangsgewalt und Gewalt, wie sie sich heute abspielt, am besten verstehen?
Achille: Es scheint mir, dass es verschiedene Arten von staatlicher Gewalt gibt, die bestimmten Bevölkerungsgruppen — Schwarzen, Minderheiten, Frauen, den Schwächsten — von der Polizei, den Gefängnissen, dem Militär, dem Grenzschutz überall zugefügt werden. Nennen wir es eine maschinelle Gewalt. Sie ist direkt, unmittelbar, sichtbar und oft mörderisch — wie wir bei George Floyd und Breonna Taylor gesehen haben. Die Liste ist endlos und es geschieht mit Massen von Menschen, die getötet, disloziert oder vertrieben werden.
Aber wir haben auch eine andere „langsame“ Gewalt, die entfernter, allmählicher und weniger wahrnehmbar ist. Hier beziehe ich mich auf die Arbeit von Rob Nixon, der eine verzögerte, über die Zeit verteilte Zerstörung beschreibt. Das ist es, wie ich Rassismus wahrnehme.
Wir haben also diese zwei Formen der Gewalt — die unmittelbare sichtbare Form und die langsame und verzögerte, die zusammen einen Zermürbungsapparat bilden, der nicht nur den Körper, sondern auch die Nerven angreift. Dieser Apparat wird auch immer mehr technologisiert, immer mehr algorithmisch. Algorithmischer Rassismus wird die Form des Rassismus sein, die wir in Zukunft erleben werden, ausbreitend und viral wie eine mutierte Kraft.
Der gegenwärtige Rassismus liegt in dieser Verbindung zwischen dem Radioaktiven und dem Viralen. Die Herausforderung wird sein, wie man das bekämpfen kann.
Könntest du also die Agent_innen dieser Brutalität definieren, und welche verschiedenen Rollen spielen sie?
Olúfẹ́mi: Wir müssen verstehen, wozu Institutionen wie die Polizei gedacht sind. Ich denke, dass die Antwort auf diese Frage ziemlich klar ist. Sie sind aus Institutionen wie Sklav_innenpatrouillen und paramilitärischen Gruppen hervorgegangen, die dazu gedacht waren, die Arbeiter_innen zu disziplinieren und die Einwanderer_innen und Sklav_innen zu überwachen und zu disziplinieren.
Mit anderen Worten, es geht ihnen hauptsächlich darum, Unsicherheit zu verteilen. Sie existieren nicht, um die Gesellschaft als Ganzes sicher zu machen; sie existieren, um bestimmte Menschen, bestimmte Elemente, bestimmte Gruppen innerhalb der Gesellschaft sicher zu machen, was etwas ganz anderes ist.
Und in Bezug auf andere Institutionen wie die Armee betrachte ich sie als unterschiedliche Institutionen, die die gleiche Funktion erfüllen. Sie haben einige Unterschiede in Bezug darauf, wie sehr sie geographisch gebunden sind, aber diese Institutionen dienen grundsätzlich dem gleichen Zweck und teilen nicht überraschend auch Taktiken, Informationen und Ressourcen.
Es gibt viele krasse Beispiele dafür, wie diese Institutionen Unsicherheit verbreiten, aber als nigerianischer Amerikaner und mit dem Aufkommen der #EndSARS-Proteste, macht es Sinn, auf Nigeria zu schauen. Afrobarometer hat kürzlich eine Umfrage durchgeführt, in der mehr als drei Viertel der nigerianischen Befragten angaben, Bestechungsgelder an die Polizei zu zahlen. Viele von ihnen haben Bestechungsgelder gezahlt, nur um regelmäßige Unterstützung durch die Polizei zu bekommen, also ist es klar, dass es sich eher um eine Institution der Erpressung handelt, als um eine Sicherheitspräsenz. Es ist kaum eine Institution, die „dient und schützt“, wie man hier in den Vereinigten Staaten sagt.
Wenn wir also diesen Aspekt staatlicher Zwangsgewalt als Verteilung von Sicherheit durch Verteilung von Unsicherheit betrachten, ist es nicht länger widersprüchlich, dass wir den Anstieg von militarisiertem Policing und Kolonialität zur gleichen Zeit sehen, in der der Wohlfahrtsstaat zurücktretet. Denn beides geht eigentlich in die gleiche Richtung, einige Menschen sicher zu machen, während und durch die Aufrechterhaltung der Unsicherheit anderer Menschen.
Achille: Ich denke, was wir in verschiedenen Gesellschaften auf der ganzen Welt aufsteigen sehen, ist der Aufstieg des bewaffneten Rassismus. Natürlich ist bewaffneter Rassismus nichts Neues. Die Funktion der Polizei, der Armee, aller Zwangsarme des Staates muss innerhalb der rassistischen Architektur verstanden werden, in der sie entstanden ist.
Aber wir sehen eine zunehmende Verwischung der Grenzen zwischen Polizei und Armee, wo die Polizei noch nie so militarisiert war und wie eine Armee gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. In der traditionellen politischen Aufteilung kümmert sich die Armee um ausländische Feind_innen und die Polizei um die innere Ordnung. Aber diese Trennungen brechen zusammen, genauso wie die Trennungen zwischen Polizei und Miliz.
Wir sind Zeug_innen einer weltweiten und universellen Neuordnung der Macht und diskriminierender Gewalt. Dies führt dazu, dass einige vorzeitig hingerichtet werden und andere nicht. Man könnte es auch Sicherheit oder Unsicherheit nennen, wie Olúfẹ́mi diskutiert hat. Es erinnert uns auch noch einmal daran, dass es im Kolonialismus geboren wurde, der das Labor war, in dem diese moderne Ordnung erprobt und entwickelt wurde.
In Bezug darauf, wohin sie sich entwickelt, denke ich, dass die Agent_innen der Brutalisierung dezentraler geworden sind, als sie es jemals zuvor waren und abstrakter. Sie gehen immer noch durch die traditionellen Apparate des Staates, wie die Polizei, die Justiz, das Inhaftierungssystem. Aber darunter liegt die zunehmende Rolle der Programmierung, da Zwang technologisiert wird.
In der Art und Weise, wie sie die Brutalität umverteilt, ist die Programmierung abstrakt, da sie Menschen codiert. Dabei werden Menschen nicht nur in Zahlen verwandelt, sondern vielmehr in einen Code, in Daten, die gespeichert, zirkuliert und auch spekuliert werden können, auch vom Finanzkapital. Es gibt also eine Entmaterialisierung des Staates selbst, da er einige seiner Funktionen an diese Technologien abgibt, die zwar neutral erscheinen, es aber nicht sind. So haben wir zwar immer noch einen Cop, der einen Schwarzen in Minnesota packt und tötet, indem er ihm sein Knie auf den Hals legt, aber auch die Vernichtung derer, die als überflüssig gelten, wird an neue Maschinen ausgelagert.
Wie verstehen wir, wie sich das im Globalen Süden abspielt, sowohl im Hinblick auf die koloniale Geschichte, aber auch auf postkoloniale Führer_innen und Strukturen, die ihre Bevölkerungen weiterhin unterdrücken?
Olúfẹ́mi: In der längeren Geschichte des Kolonialismus war es für Imperien immer schwierig, Macht außerhalb ihres eigentlichen geografischen und sozialen Terrains zu projizieren, daher haben sie immer versucht, Einheimische in mittlere Führungspositionen zu rekrutieren und das Volk zu spalten, indem sie einen Teil der Bevölkerung ermächtigten. Der transatlantische Sklav_innenhandel hätte nicht stattfinden können, wenn er sich nur auf das europäische Wissen über Handelsnetzwerke und soziale Beziehungen verlassen hätte.
Heute werden wichtige Aspekte der globalen sozialen Strukturen in Bezug auf die wirtschaftliche Produktion und die Verteilung des Reichtums auf multinationaler Ebene durch die Bretton-Woods-Institutionen und in Formen wie dem Doing Business Index entschieden. Ihr Ziel ist es, diese Länder wirtschaftlich zu liberalisieren, um die transnationale Governance des Kapitals in Form des Konzerns zu erleichtern. Es sind also Microsoft und Motorola und Alphabet und Stahlhersteller und das große Agrobusiness, die aus einer materialistischen Perspektive die Welt regieren. Solange wir uns damit nicht auseinandersetzen, glaube ich nicht, dass wir in der Lage sein werden, die Rolle des Staates zu verstehen.
Achille: Ich denke, Olúfẹ́mi hat es sehr gut erklärt. Obwohl es Wellen der Entkolonialisierung gegeben hat, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass selbst am Ende des 20. Jahrhunderts Orte wie Südafrika (und ein Großteil des südlichen Afrikas) immer noch unter einer ziemlich bösartigen Form des Kolonialismus standen, dem Siedlerkolonialismus, der auf der Idee beruht, dass bestimmte „Rassen“ anderen überlegen sind.
Während also eine Art Entkolonialisierung stattgefunden hat, bedeutet das nicht, dass der Kolonialismus beendet ist. Einige Teile der Welt sind immer noch unter kolonialer Besatzung. Aber noch wichtiger ist, dass die Kolonialität geblieben ist. Das ist ein Modus des Herrschens, in dem bestimmte Menschen als entbehrlich und doch unverzichtbar gelten. So hat die raciale Herrschaft funktioniert. Wir brauchen deine Muskeln, deine Arbeit, aber wir sind auch berechtigt, über dich so zu verfügen, wie wir wollen. Diese Dialektik von Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit beschleunigt sich heute und führt zu einer Politik des Aussetzens, einer Politik der Vernachlässigung.
Wie entkommen wir also dieser Kolonialität sowohl im Süden als auch im Globalen Norden?
Olúfẹ́mi: Wir müssen eine wirkliche strukturelle Politik entwickeln. Die Lösung ist eindeutig nicht so einfach, wie jemanden an die Macht zu bringen, der so aussieht wie du. Das Problem mit der Identitätspolitik ist, dass sie sich darauf konzentriert, wer schlecht und wer gut ist, wer die Unterdrückenden und wer die Unterdrückten sind, wer das Opfer und wer der_die Schikaneur_in ist. Aber jede bewusste Geschichte des Kolonialismus zeigt den Beitrag und die Kompliz_innenschaft von afrikanischen Händler_innen, Sklavenhändler_innen und staatlichen Bürokrat_innen. Wir müssen die strukturellen Gründe für Herrschaft und Rassismus verstehen und eine weniger räuberische Form der Politik schmieden.
Wenn du dir zum Beispiel die Wohnungsunsicherheit oder die Inhaftierung hier in den USA oder international anschaust, wirst du krasse raciale Unterschiede sehen. Aber die Gründe dafür sind kompliziert und die Lösungen werden es auch sein. Wir müssen unsere politische Welt so strukturieren, dass wir die Sicherheit der anderen verteidigen, anstatt die Profitmargen einiger Leute zu verteidigen oder den Anspruch einiger Leute auf Kontrolle oder den Wunsch, eine koloniale Politik aufrechtzuerhalten, wie Achille erklärt hat.
Wie sollten sich soziale Bewegungen in diesem Kampf zum Staat verhalten? Angesichts der Macht der Konzerne und der Marktkräfte wird der Staat als wichtiges Bollwerk gesehen, um seine Bürger_innen vor dem Kapital zu schützen, doch wie wir besprochen haben, sind soziale Bewegungen auch der größten Gewalt durch den Staat ausgesetzt.
Olúfẹ́mi: Es ist richtig, dass es so etwas wie eine Spannung gibt, aber es lohnt sich darauf hinzuweisen, dass es nicht die Zwangsgewalt als solche ist, der sich die Bewegungen für Gerechtigkeit entgegenstellen sollten. Die kubanischen Revolutionär_innen, die mosambikanische Befreiungsfront, die Kämpfenden der Kapverden, Angola und Simbabwe haben alle Zwangsgewalt eingesetzt, um sich vom Kolonialismus zu befreien. Manchmal wird das Gespräch über Zwangsgewalt im Gewand des Staates oder eines anderen übermäßig moralisiert. Macht im Allgemeinen ist ein Werkzeug, und wie wir es moralisch bewerten, hängt davon ab, wie es eingesetzt wird und zu welchen Zwecken.
Nachdem das gesagt ist, denke ich, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, Wege zu finden, um den Staat auszunutzen und genauer gesagt, die Unterschiede zwischen den Interessen des Staates und des Kapitals auszunutzen. Staat und Kapital waren in den letzten Jahrzehnten zu „kumpelhaft“, und die Unfähigkeit der sozialen Bewegungen, den einen gegen den anderen auszuspielen, hat zum neoliberalen Konsens geführt. Und das hat zu einer Politik der Abtretung geführt und zu einer Schrumpfung der staatlichen Aufgaben ohne kompensatorische Gewinne für die meisten Menschen auf der Erde.
Und so denke ich, dass die Forderung nach öffentlicher Kontrolle des Staates und nach der Zuweisung von Verantwortung an den Staat für Rollen, die von rein extraktiven, korporativen, kolonialen Institutionen übernommen wurden, eine gute taktische Option ist.
Was sind deiner Meinung nach einige der sich verändernden Dynamiken, die du im Zusammenhang mit staatlicher Zwangsgewalt in der Zukunft siehst?
Achille: In meinem Buch Critique of Black Reason habe ich mich auf etwas bezogen, das ich das „Schwarzwerden der Welt“ nannte. In der westlich-atlantischen Welt, während der Plantagensklaverei, wurden Menschen, die als Schwarz galten, unter einer sehr spezifischen Vorschrift regiert, dem Code Noir, dem Schwarzen Code. Dies war ein juristischer Mechanismus, der es den Herrschenden erlaubte, sogenannte Schwarze Menschen auf eine Art und Weise zu behandeln, wie niemand sonst behandelt wurde.
Heute können wir sehen, dass der Neoliberalismus in der Krise ist und sich daher immer mehr auf einen illiberalen Staat verlassen muss, um seine Ziele zu untermauern. Das bedeutet, dass mehr und mehr Menschen unter diesem Code regiert werden. Immer mehr Menschen werden so regiert, als ob sie Schwarze wären, mit allem, was das mit sich bringt: schamlose Gewalt, Entrechtung, Ausgesetztsein gegenüber allen möglichen Risiken, vorzeitiger Tod.
Diese Universalisierung des Schwarzen Codes wird weitergehen, während die Welt brennt, der Planet brennt, weil er seine Grenzen erreicht hat. Aufgrund des ökologischen Zusammenbruchs wird unsere Welt also immer unwirtlicher für das Leben selbst. Wenn wir also über die Bewohnbarkeit des Planeten nachdenken, dann müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir Konvergenzen zwischen dem Kampf gegen Rassismus und den ökologischen Kämpfen zur Regeneration unseres Planeten schaffen können. Die beiden sind untrennbar miteinander verbunden.
Die dritte Dynamik wird der technologische Wandel sein, der zu unserem Biotop, Milieu oder Umwelt geworden ist, welche zunehmend definiert, wer wir sind und auch unsere Zukunft. Dies wird neue Kämpfe um die Rückeroberung der Technologie für die menschliche Emanzipation wie auch für die Emanzipation im Allgemeinen mit sich bringen. Wir brauchen eine Emanzipation, die Menschen und Nicht-Menschen einschließt, denn das Schicksal der Menschen ist heute mehr denn je an das Schicksal anderer Arten gebunden. Die Zeiten, in denen wir leben, erfordern ein Multi-Spezies-Projekt.
Olúfẹ́mi: Ich könnte dem, was Achille gesagt hat, nicht mehr zustimmen. Wenn ich könnte, würde ich es aus einem Lufthorn überall auf der Welt schreien.
Ich denke, die Analyse des Code Noir und die Art und Weise, wie er zu einer racial geschichteten Welt geführt hat, ist der Schlüssel. Eine Sache, die die Leute zwar anerkennen, aber nicht in ihr mehr systemisches Bild zu integrieren scheinen, ist, dass tatsächlich Schwarz zu sein nicht unbedingt bedeutete, dass man versklavt war im Sinne der Leibeigenschaft. Es gab auch Populationen von befreiten Menschen, biraciale Menschen, die eine andere Mischung aus politischen Einschränkungen und politischen Rechten erlebten. Doch Schwarz zu sein bedeutete, dass es dir passieren konnte und dass es sehr wahrscheinlich war, wenn du im falschen Teil der Welt im falschen Jahrhundert warst.
Das soll die Geschichte der racialen Herrschaft nicht schmälern, sondern die Natur des Systems verdeutlichen. Ähnlich verhält es sich mit dem anderen Ende der racialen Hierarchie: Weiß zu sein bedeutete nicht, dass man das Sagen hatte, es bedeutete, dass es eine Untergrenze gab, ein Niveau der Arbeitsausbeutung, das man nicht unterschreiten durfte, dass man nicht als Eigentum behandelt werden durfte.
Ich denke, diese kategorischen Begriffe in probabilistische Begriffe umzuwandeln, hilft dabei, Ruth Wilson Gilmores Definition von Rassismus als Gruppenunterschiede und Anfälligkeit für einen vorzeitigen Tod zu verstehen, ebenso wie Achilles Punkt, wie die Welt in einer Ära der ökologischen und klimatischen Krise schwärzer wird.
Viele der Rechte und Privilegien, die manche Menschen als in das Weißsein eingebaut betrachten, sind in Wirklichkeit abhängig von der besonderen sozialen Struktur, in der sie leben, ihrem Reichtum und ihrer Macht, diese auf diskriminierende Weise zu verteilen. Nur weil die Vereinigten Staaten über den Reichtum verfügen, konnten sie eine Mittelschicht schaffen, die über wirtschaftliche Privilegien verfügt, die über die rassifizierte Unterschicht hinausgehen. Rechte und Freiheit sind abhängig von der Nation eines Volkes, seiner geopolitischen Position, die von der wirtschaftlichen Produktion abhängt. Diese wiederum sind abhängig vom Himmel, dem Regen, der Luft und dem Wasser, den Pflanzen und den Tieren, Dinge, die wir in diesem Jahrhundert nicht mehr als selbstverständlich ansehen können.
Und so sind die Rechte und der Schutz, von denen die Menschen denken, dass sie kategorisch in ihre Position in der sozialen Hierarchie eingebaut sind, in Wirklichkeit abhängig von der besonderen Art und Weise, wie sich die Welt entwickelt und auch verändert hat.
Die meisten von uns, die in der Lage sind, ihren Körper zu gebrauchen und über die nötigen Ressourcen verfügen, hatten lange Zeit das Privileg, unmaskiert nach draußen zu gehen, und doch finden wir uns jetzt unfähig, die Dinge zu tun, von denen wir dachten, dass sie in unsere soziale Position eingebaut sind. Wir stellen fest, dass uns dieses erwartete Privileg aus Gründen, die mit den Geschehnissen in der natürlichen Welt und den Reaktionen unseres sozialen Systems zusammenhängen, verweigert wird. Das wird zunehmend die Geschichte der Politik dieses Jahrhunderts sein.
Wir müssen erkennen, dass unser Schicksal mit dem Schicksal der gesamten menschlichen Spezies verbunden ist sowie mit unserer Abhängigkeit von der größeren Ökologie, den Tieren, Pflanzen, der Luft und dem Wasser. Solange wir nicht erkennen, dass unsere Schicksale miteinander verbunden sind, werden wir in Schwierigkeiten sein.
Aber es gibt beruhigende Aktionen in diese Richtung. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In den USA, wo ich lebe, gibt es spannende Trends in der Arbeiter_innenbewegung. Es gibt ein Wiederaufleben von „Bargaining for the Common Good“ (Verhandlungen für das Gemeinwohl) — eine Praxis, bei der organisierte Arbeiter_innen ihre Vertragsforderungen in Partnerschaft mit und zum Nutzen einer breiteren Gemeinschaft stellen. Mehr noch: Letztes Jahr führten in Minneapolis tausende Mitglieder der Service Employees International Union (viele von ihnen waren Immigrant_innen aus Ländern wie Somalia, Nepal, Mexiko und Ecuador) das an, was manche als den „ersten Klimastreik“ in der Geschichte der USA bezeichnen: Sie verhandelten explizit über Löhne, Geschlechterdiskriminierung und Änderungen der Arbeitsbedingungen, um die Kohlenstoffemissionen ihrer Arbeit zu senken.
In Südafrika gibt es Versuche, eine breitere, menschenzentrierte soziale und politische Ökologie aufzubauen: von Gemeinschaftsküchen und öffentlichen Lebensmittelgärten an der University of the Free State bis hin zum breiteren Kampf für Ernährungssouveränität im ganzen Land. Diese Bemühungen scheinen mit dem Versuch der nationalen Climate Justice Charter (CJC), die Kontrolle der Konzerne über das Wasser zu bekämpfen, von großer Bedeutung zu sein. Die CJC verbindet diese auch mit dem Gemeinschaftseigentum an erneuerbarer Energie. Zusammengenommen sind das wirklich lehrreiche Kämpfe, von denen es sich lohnt zu lernen, denke ich. Und wenn wir davon lernen können, können wir eine Version davon finden, die in unserer Situation Sinn macht.