Entnommen aus dem Archiv vom schwarzen Pfeil. Eingereicht von freek.
Der folgende Artikel erschien 2017 in Rhizom #3. Anarchistische Flugschrift zur Unterstützung des Kampfs gegen Gentechnik und die Welt die sie benötigt.
Ein Konflikt
Am 29. August 2016 wurde der Kongress der «Europäischen Gesellschaft für Züchtungsforschung» Eucarpia, der von Agroscope und der ETHZ mitorganisiert wurde[i], durch einen Angriff mit Kuhmist unterbrochen. Auf dem Transparent, das an der Fassade des Gebäudes entrollt wurde, war zu lesen «peasants shit on technoscience» – die Bäuer*innen scheissen auf die Technowissenschaft. Eine Kritik der Entwicklung in der Agronomie also, die immer mehr auf einer rein technologischen Herangehensweise basiert. Diese Ausrichtung und die industrielle Weltanschauung, die mit ihr einhergeht, führen zu einer immer grösseren Herrschaft der Kapitalist*innen und Technologieexpert*innen über Bäuer*innen und Konsument*innen, die immer mehr entfremdet leben.
Carol Wagstaff, Forscherin an der Universität Reading (Grossbritannien) und Präsidentin der Eucaropia-Arbeitsgruppe Blattgemüse, schrieb auf Twitter: «Traurige Zeiten an der Züchtungskonferenz von Eucarpia, an der eine Präsentation von Anti-GVO-Aktivisten unterbrochen wird. Was ist schlecht daran die Welt zu ernähren?» Ein gutes Beispiel für die Rolle, die sich die Wissenschafter*innen selbst zuschreiben; für das Dogma, dass Hightech-Gen-basteleien unentbehrlich sind fürs Überleben – wobei die Produzent*innen, welche die Menschen tatsächlich ernähren, komplett ausser acht gelassen werden. In einem Artikel über die Aktion in Zürich konnte Carol Wagstaff dank einer gentechfreundlichen Journalistin später ihre Argumente weiter ausführen unter dem Titel: «Gentechgegner bewerfen Wissenschaftler, die versuchen die Ernährungsunsicherheit zu bekämpfen, mit Mist»[ii].
Seit zwanzig Jahren wird das produktivistische Versprechen der Gentechnik nicht eingehalten, weil bei den auf den Markt gebrachten Pflanzen metabolische Schwächen aufgetaucht sind und weil die Schädlinge und Unkräuter neue Resistenzen entwickelt haben. Grundlegender ist jedoch, dass die Gentechindustrie, indem sie sich das Saatgut aneignet und die Konzentration im Landwirtschaftssektor vorantreibt, die Bäuer*innen von ihrem Land vertreibt und Praktiken fördert, welche die Ressourcen aufbrauchen und zerstören. So verschlimmert sie den Hunger auf der Welt. Die bäuerliche Agro-Ökologie ist global gesehen produktiver und ernährt die Menschheit effizienter. Wenn Carol Wagstaff sich mit ihren Kolleg*innen, den Verfechter*innen der Gentechnologie, solidarisiert, gibt sie vor, zur Achse des Guten zu gehören, obwohl sie in Wirklichkeit vor allem ihren Berufstand verteidigt. Wenn die «Wisschenschaft angegriffen wird», spricht man vom Gemeinwohl, um die offensichtlichste Klüngelei zu vertuschen.
Einige Stunden später unterstützte Jeremy P. E. Spencer, Ernährungsneurowissenschafter ebenfalls von der Universität Reading, die Aussage seiner Kollegin mit dem folgenden Tweet: «Tiere! Sie sollten alle in eine Reihe gestellt und geköpft werden. Solche Idioten sollten aus dem Genpool eliminiert werden… so schnell wie möglich.» Dieser Aufruf zum Mord und zur genetischen Säuberung wurde erst einmal von der Presse wiedergegeben, verschwand dann jedoch schnell aus dem Internet, weil die Artikel, die ihn zitierten, zensiert wurden. Der Autor des Tweets oder eine der Institutionen, die ihn beschäftigen oder welche die Medienöffentlichkeit dominieren, hatten offensichtlich die Möglichkeit, sich auf das «Recht auf Vergessenwerden» zu berufen. Vermutlich weil die Aussage nicht in das Bild passt, das die Wissenschaft von sich selbst zeigen sollte.
Man könnte es dabei belassen, zu sagen, dass dieser genervte und unbedachte Ausruf eher lächerlich ist. Aber dieser Wutausbruch innerhalb der Achse des Guten ist schon kurios. Was, wenn er nicht nur eine bestimmte Weltanschauung, sondern auch einen möglichen totalitären Wahn zeigt? Wie viele träumen davon, den Genpool, das genetische Erbe der Menschheit zu säubern? Haben wir es mit wissenschaftlichen Institutionen zu tun, die Fanatiker*innen hervorbringen? Wie ist diese perfekte Verbindung zu verstehen, die zwischen einem eugenistischen Verständnis des Lebens einerseits und dem Gefühl der Überlegenheit und der Verachtung dieser Personen, die das Gefühl haben, das Monopol der Wahrheit zu besitzen, andererseits besteht?
In diesem Text sollen diese Fragen vertieft werden, ausgehend vom Postulat, dass die direkte Aktion eine Konfliktualität hervorbringt, welche die konsensuelle Fassade der konventionellen Diskurse, die zur Wahrung der Gesellschaftsordnung beitragen, durchbrechen kann. Sie kann dazu führen, dass unbequeme Meinungen auftauchen, die sonst im Abseits gehalten werden. Dieser Text geht von einigen historischen Begebenheiten aus, die nicht verwendet werden, um zu beweisen, dass das Gesagte allgemeingültig ist; sie sollen hingegen Licht auf folgenschwere Tendenzen werfen, die noch lange nicht verschwunden sind.
Wenn die Forschung in Deutschland in der Periode zwischen den zwei Weltkriegen herangezogen wird, geht es also nicht darum, zu sagen, die Wissenschaftler*innen seien alle Nazis (auch wenn Professor Spencer ein Überlegenheitsgefühl und einen Hass zu haben scheint, die ihn interessant gemacht hätten für dieses Regime), sondern vielmehr darum, zu zeigen, wie sich die Wissenschaft und die Macht gegenseitig verstärken können, indem sie sich ihre jeweiligen Ressourcen zur Verfügung stellen. Dies soll anhand eines Beispiels aufgezeigt werden, bei dem allgemein unumstritten ist, dass die betreffende Macht (der Nationalsozialismus) nicht zu einer vermeintlichen Achse des Guten gehört.
Im Dienste der Macht und des Krieges
Nehmen wir zuerst einmal den Fall von Wilhelm Rudorf, einem der Gründer von Eu-carpia im Jahr 1956 und ab 1965 Ehrenpräsident dieser Vereinigung. Eine Karriere, die im Nationalsozialismus beginnt. Förderlich waren aber auch die Aktivitäten Rudorfs, der seinen Kolleg*innen hilft, nach dem zweiten Weltkrieg dem Prozess der Entnazifizierung zu entkommen und so eine gute Position in der Gesellschaft zu bewahren. Als junger Forscher im Exil in Argentinien spürt Rudorf die Wirtschaftskrise, die ihn um die zur Forschung nötigen Mittel bringt. 1933 kehrt er in sein Heimatland zurück. 1936 wird er zum Direktoren des Kaiser Wilhelm Institut ernannt, dem wichtigsten Institut für Züchtungsforschung Nazideutschlands. Er wird zu einem eifrigen Verfechter der wissenschaftlichen Forschung im Dienste der Naziideologie und der Kriegswirtschaft. Er ist dabei nicht allein: «Die verfügbaren Quellen aus dieser Zeit zeugen nur von wenig Zweifel oder Kritik von Seiten der Akademiker in der Züchtungsforschung. […] Die Autarkie und der Expansionismus, respektive der Kolonialismus, waren auf ihrer politischen Agenda schon lange bevor die Nazis an die Macht gelangten.» [iii] Die Einrichtung, unter der Leitung von Rudorf, eines Agronomieforschungszentrums im Konzentrationslager Auschwitz ist nicht bloss eine Anekdote.
Thomas Wieland[iv] beschreibt die nationalistische Mission, die sich die Disziplin der Züchtungsforschung gab, wie folgt: «Um den Status ihrer Disziplin zu verbessern und materielle sowie symbolische Unterstützung des Staates zu erhalten, waren die universitären Züchter enthusiastisch, ihr Forschungsgebiet mit Thematiken zu verbinden, die weit über die wirtschaftlichen Interessen der Bäuer*innen und der Saatgutindustrie hinausgehen.» Die Verbesserung der Pflanzen sollte der Nation nämlich zu Autarkie verhelfen und die zukünftigen Kriegsanstrengungen unterstützen, um die Niederlage von 1918 nicht zu wiederholen, bei der das Embargo der feindlichen Staaten entscheidend war. Die Selektion wurde zudem ab den 1910er-Jahren von den deutschen Forscher*innen als «das effektivste Mittel unter allen Technologien zur Entwicklung der kolonialen Landwirtschaft» angesehen, die wiederum den «Lebensraum» des «Herrenvolkes» garantieren sollte.
«Die Politik des Lebensraums und der Kolonialismus […] gehen beide von der Idee aus, sich fremdes Land anzueignen und mittels der Landwirtschaft, wozu auch die Instrumente der Pflanzenzüchtung gehören, zu verändern.» Eine äusserst technische Sicht der – immer brutalen – Transformation der Gemeinschaften in Richtung einer kolonialen Wirtschaft. Im 21. Jahrhundert erinnert dies an die neokolonialistische Aneignung der Landwirtschaft des «Globalen Südens» durch die reichen Länder, die sowohl auf der massiven Privatisierung der Ländereien als auch der Monopolisierung des Saatguts und dem Aufzwingen von GVO beruht.
Sich mit der deutschen Forschung in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen zu beschäftigen, ist auch deshalb sinnvoll, weil sie eine Pionierin in Sachen Biotreibstoffen, Kreuzungen mit Wildpflanzen, um ihre Kälte- und Trockenheitsresistenz zu nutzen, und sogar Mutagenese war. «Der nationalsozialistische Staat sah die Mutationsforschung als genügend wichtig an, um sie sogar während des Krieges bedeutend zu unterstützen», was beispielsweise zu einer mutierten Gerste, die gegen Mehltau resistent ist, führte. Das Interesse für künstlich herbeigeführte Mutationen kann darauf zurückgeführt werden, dass in Kriegszeiten alles schnell gehen muss. Heute wird die «Cisgenese» als eine Möglichkeit angeführt, «im Moment des Klimawandels», aber vor allem in Zeiten eines erbitterten internationalen Wettbewerbs, schneller neue Varietäten zu finden.
Die Forschung und der Staat waren im Bereich der Pflanzenzüchtung also äusserst eng miteinander verbunden, und dies aus guten Gründen. Der nationalsozialistische Staat basierte, wie die anderen faschistischen Regime, auf dem obligatorischen nationalen Korporatismus, das heisst, dass ganze Wirtschaftssektoren per Dekret nationalisiert wurden. «Die Landwirtschaft war einer der ersten Sektoren, die der Gleichschaltung unterlagen. […] Im September 1933 mussten alle Personen, die mit der Produktion oder Verteilung von landwirtschaftlichen Produkten zu tun hatten, der Reichsnährstandsorganisation beitreten.» Doch «die enge Zusammenarbeit der Pflanzenzüchtungs-Universitäten mit den staatlichen Behörden – die Ausrichtung der Forschung auf politische Ziele einerseits, die Förderung der akademischen Pflanzenzüchtung andererseits – war ein Interaktionsmodell, das schon etabliert war, als die Nazis 1933 die Macht übernahmen. Konzeptualisiert man die Beziehung Wissenschaft/Staat als ein Ressourcenaustausch […], so wird offensichtlich, dass der nationalsozialistische Staat sich auf ein Schema stützen konnte, das in der universitären Pflanzenzüchtung etabliert worden war.» In einem scheinbar weniger autoritären Kontext lässt dies auch an das heutige Schweizer Modell der Nationalen Forschungsprogramme denken, diese breit angelegten Unternehmungen, die koordiniert werden, um politische Stossrichtungen zu unterstützen. Diese Analyse hilft dabei, hinter die Fassade der demokratischen Entscheidungsfindung zu schauen, um zu verstehen, dass Politik und Forschung es sich gewohnt sind, sich gegenseitig gute Dienste zu leisten. [v]
Schon 1930 waren die deutschen Züchter*innen der Ansicht, dass «das Problem der Autarkie eher ein technisches als politisches Problem zu sein scheint, das durch die Anwendung der modernen Genetik gelöst werden kann.» Diese wissenschaftsgläubige Position unterscheidet sich nicht gross von der heutigen, die predigt, dass die Gentechnik das Problem des Welthungers lösen wird. Das heisst, dass ein politisches und wirtschaftliches Problem auf eine simple technische Fragestellung reduziert wird. In unserem Kontext bedeutet dies, dass wir verstehen müssen, welche Machtfragen und politischen Projekte sich hinter einer solchen Verschleierung verstecken.
Doch lassen wir kurz die Pflanzengenetik beiseite und befassen uns mit einer wichtigen Figur der deutschen Chemie, die ebenfalls bedeutend war für die Entwicklung der industriellen Landwirtschaft. Fritz Haber, Erfinder des wichtigsten Verfahrens zur Ammoniaksynthese – unabdingbar für die Herstellung von Sprengstoffen und später von Stickstoffdünger –, hat während des ersten Weltkrieges auch Gase für die deutsche Armee entwickelt. Als Unterstützer der Kriegspolitik des deutschen Reiches antwortete er seiner Frau Clara – Chemikerin und Pazifistin –, die gegen seine Arbeiten war: «Der Gelehrte gehört im Kriege wie jedermann seinem Vaterland, im Frieden gehört er der Menschheit. » Clara nahm sich am 2. Mai 1915 das Leben, was Fritz nicht daran hinderte, am nächsten Morgen aufzubrechen, um eine der ersten Operationen zu leiten, bei der an der Ostfront seine Gase eingesetzt wurden. Dieses Beispiel für die klassische Opposition zwischen diesen zwei unterschiedlichen Ideale, wie sich die Wissenschafter*innen in der Gesellschaft engagieren sollen, kratzt am neutralen Erscheinungsbild, das sich diejenigen geben, die umstrittene Techniken entwickeln. Es zeigt eine andere Seite der Figur der*s Forscher*in, als diejenige, die von der herrschenden Propaganda vermittelt wird.
Die Unterscheidung von Haber zwischen Friedens- und Kriegszeiten ist ebenfalls in Frage zu stellen. Die deutschen Bemühungen im Bereich der Pflanzenzüchtung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sind klar Teil einer nationalistischen Expansionspolitik. Kriege sind nur ein Aspekt des Wettbewerbs zwischen den Nationen, und die wirtschaftliche und koloniale Dimension dieses Wettbewerbs ist nicht weniger tödlich. Seit den zwei Weltkriegen, in denen sich die Armeen der Nationalstaaten bekämpften, hat sich im Grunde genommen nichts geändert, ausser dass unsere neoliberale Epoche den privaten paramilitärischen Kräften, den Finanziers und ihren Verteidiger*innen eine zentrale Rolle verleiht. Der wirtschaftliche Krieg ist permanent– und wie in der Kolonialzeit sind Patente und Schulden die Instrumente der kapitalistischen Herrschaft «der Friedenszeit».
Die Bäuer*innen waren immer sowohl «militärischen» als auch «zivilen» Aggressionen durch den Kapitalismus ausgesetzt: Den Schrecken des militärischen Krieges, aber auch den Düngern und Pestiziden – die ihnen «helfen» sollen –, die auf das Haber-Bosch-Verfahren und die Kampfgase zurückgehen (und von den gleichen Chemiker*innen entwickelt wurden). Daneben den Patenten und den Schulden, die aufgenommen werden, um Zugang zu diesen landwirtschaftlichen Hilfsmitteln zu haben. Die Unterscheidung zwischen einer «guten» und einer «schlechten Anwendung», wie sie im Bereich der Gentechnologie stattfindet, hat ebenso wenig Sinn hinsichtlich der Chemie, der Kernenergie (das «zivile» angereicherte Uran, das dazu dient, die Atombombe zu bauen), der Mathematik (Ballistik und Kryptologie) oder der Informatik [vi]: Ob zivil oder militärisch, die Technologie dient hauptsächlich zur Beherrschung.
Der Triumph des Eugenismus
Nach dem Tweet von Professor Spencer verurteilte die anarchistische Zeitschrift aus Zürich Dissonanz das «eugenische Weltbild dieser Wissenschaftler» [vii]. Betrachten wir die Frage des Eugenismus unter den Wissenschafter*innen etwas genauer. Nebenbei sei angemerkt, dass an den Eucarpia-Kongress auch Forscher*innen aus der Human- und der Tiergenetik eingeladen waren.
Kommen wir auf unseren historischen Fokus zurück: «Der Generalplan Ost hatte die Versklavung, Deportation und Hinrichtung der einheimischen Bevölkerung in Osteuropa zum Ziel, die durch ein genetisch verbessertes germanisches Herrenvolk ersetzt werden sollte. Da die Wirtschaft des anvisierten Lebensraums auf der Landwirtschaft basieren sollte, verstand das Naziregime die Agronomie im Allgemeinen und die Pflanzenzüchtung im Besonderen als wichtige Instrumente für die Aneignung und Umgestaltung Osteuropas.» Das Prinzip der genetischen Verbesserung war umfassend: Die rassistische Eugenik ging mit einem agrokolonialistischen Expansionismus einher und beide teilten die gleiche Vision der genetischen Verbesserung. Man könnte wetten, auch wenn das leicht anachronistisch ist, dass das Naziregime die Gentechnik des 21. Jahrhunderts angewandt hätte, um Pflanzen, aber auch die «Arier*innen» genetisch zu «verbessern».
Haben wir es bei der Gentechnik nicht mit einem totalitären Dispositiv zu tun, das momentan in einer befriedeten Situation entsteht und nur auf ein totalitäres politisches Regime (das sich die Mittel zur absoluten Hegemonie seiner Ideologie gibt) wartet, um sein gesamtes Potential auszuschöpfen?
Laut Jacques Testart können Eugenik und Nationalsozialismus nicht gleichgesetzt werden, es kann jedoch gesagt werden, dass die Ideologie der Eugenik mit ihrer Verneinung des Anderen und ihrem elitären Anspruch problemlos ihren Platz in einer totalitären Ideologie findet. [viii] Wieland stellt eine «historische Kontinuität» in der deutschen Pflanzenzüchtung fest: «Der nationalsozialistische Staat bot den universitären Züchter*innen einen passenden Rahmen, um schon geplante For-schungsprogramme auszuführen. In diesem Sinne war der Übergang der Weimarer Republik zum sogenannten Dritten Reich nicht so brutal, wie man denken könnte.
»Wo stehen wir heute wirklich? Neben der offensichtlichen Zunahme des Rechtsextremismus befinden wir uns auch in einer Epoche, in der die Eugenik, vor allem in der Medizin, wieder erstarkt. 2006 erklärte Testart anhand von mehreren Beispielen, dass die Eugenik eine Tendenz ist, deren Wurzeln weit zurückreichen, dass die aktuelle Epoche bereits weitgehend von eugenischen Verfahren geprägt ist und dass die Eugenik zum ersten Mal in der Geschichte die technischen Mittel auf der Höhe ihrer historischen Versprechen haben wird. Testart argumentierte für eine Begrenzung der Eugenik, die gemäss ihm nur der Vermeidung von Mängeln dienen soll, die das Leben unerträglich machen. Ihm war jedoch klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Grenzen, die diesem potentiell enormen Business von gewissen Staaten gesetzt wurden, hinfällig sind, weil sie von konkurrenzierenden Staaten überschritten werden. Zehn Jahre später führt die CRISPR-Cas9-Technologie zu einem Bruch und verschiebt die in der öffentlichen Diskussion etablierten Grenzen, nicht nur in der Agroindustrie, sondern auch, was den Menschen betrifft, wie die Human gene editing initative[ix] und das Hin und Her rund um Pseudoschutzmassnahmen zeigen. Es scheint klar, dass nicht zu erwarten ist, dass die Institutionen auch nur das Geringste verhindern, zur grossen Freude der Transhumanist*innen.
Der Transhumanismus, der in wissenschaftlichen Kreisen aufblüht und eine grosse Medienaufmerksamkeit geniesst, sagt die «Verbesserung» der Menschheit durch die Technologie voraus und arbeitet auf dieses Ziel hin. Einer seiner Pionier*innen, Kevin Warwick, sagte: «Diejenigen, die entscheiden werden, Menschen zu bleiben, und sich weigern werden, sich zu verbessern, werden ein grosses Handicap haben. Sie werden eine Unterart bilden und die Schimpansen der Zukunft sein.» Diese Aussage ist nicht nur von einem technophilen Fanatismus geprägt, sondern besteht auch aus klassistischen (die privilegierten Menschen bilden eine höhere Rasse), rassistischen (die als niedriger angesehen Menschen werden nicht mehr als Menschen angesehen), validistischen (ein Handicap, eine Behinderung, zu haben, bedeutet, seine Würde zu verlieren) und speziestischen (die Schimpansen sind niedriger als die Menschen) Gemeinplätzen. Sie illustriert perfekt das Gedankengut, von dem diese Ideologie geprägt ist. Nimmt man noch die Aussage des französischen Transhumanisten Laurent Alexandre hinzu – «Wir brauchen keine Individuen mit reduzierten kognitiven Fähigkeiten.» [x] –, sieht man einen radikalen Validismus kommen, in anderen Worten eine Eugenik.
Wetten wir, dass ein zukünftiges totalitäres und rassistisches Regime nicht nur die aktuelle Entwicklung in der Gentechnik, sondern auch die Zunahme elitistischer Ideologien in wissenschaftlichen Kreisen, ob transhumanistisch oder nicht, zu schätzen wissen wird. Denn beinahe die gesamten Wissenschafter*innen verstehen sich zwar als Humanist*innen und schätzen den Transhumanismus als «extrem» ein. Doch das Mindeste, das gesagt werden kann, ist, dass sie mit ihrem Reflex, Kritik von Nicht-Expert*innen zurückzuweisen (die «irrationalen Ängste von Ignorant*innen»), ih-rem schamlosen Gefühl, als einzige die Wahrheit zu besitzen, ihrem Elitismus und ihrer Verachtung für andere Menschen nicht gerade den von ihnen angeführten Prinzipien entsprechen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass es in diesem Umfeld zu «Ausrutschern» wie demjenigen von Spencer kommt.
Der automatisierte Genozid
Heute ist die Gentechnik tatsächlich an einen Punkt gelangt, an dem sie einer eugenistischen Politik die «Mittel auf der Höhe ihrer historischen Versprechen» bieten kann. Die vor drei Jahren erfundene Gene-Drive-Technologie, Techniken zur Steuerung der Nukleasen[xi] wie CRISPR-Cas9, ist eine Technologie, die sprichwörtlich zum Genozid führen kann.
Grob gesagt funktioniert die Gene-Drive-Technologie wie folgt:
- Ein genetisch verändertes Lebewesen hat in seiner DNA ein transgenes Segment mit folgenden Elementen: A) einem Gen, das dem Organismus den gewollten Charakter verleiht; B) einem Gen, das seine Zellen veranlasst, ein Protein zu produzieren, das «Nuklease» genannt wird.
- Das veränderte Lebewesen paart sich mit einem unveränderten. Das Kind besitzt ein Chromosom von jedem Elternteil, eines ist also transgen, das andere nicht.
- Die Zellen des Wesens «Kind» produzieren Nuklease, auch «DNA-Schere» genannt.
- Die Nuklease schneidet das nicht transgene Chromosom an der Stelle, an der man auf dem Chromosom des transgenen Elternteils das transgene Segment findet. Sie ist so programmiert.
- Um den Schnitt zu reparieren, benutzt die Zelle die transgene Sequenz des gegenüber-liegenden Chromosoms als Vorlage. So wird das transgene Segment auf das Chromosom kopiert, das von dem nicht transgenen Elternteil stammt.
- Wenn das Wesen «Kind» sich paart, hat es nicht nur 50 % Chancen, den transgenen Charakter an seine Nachkommen weiterzugeben, sondern 100 %. Denn seine beiden Chromosomen besitzen nun die transgene Sequenz!
- Und immer so weiter, bis das transgene Gen an die gesamte Population weitergegeben worden ist.[xii]
Dieses Modell könnte in Zukunft effizienter sein als die transgenen Mücken, die seit einigen Jahren von der Firma Oxitec freigelassen werden, um die Mücke auszurotten, die Malaria verbreitet. Beiden Methoden ist gemeinsam, dass es darum geht, sterile Nachkommen zu produzieren. Zurzeit laufen schon zahlreiche andere Untersuchungen, obwohl das oben beschriebene theoretische Schema erst vor zwei Jahren entstanden ist. So sollen Tierarten, die Trägerinnen von Krankheiten sind, ausgerottet oder resistent werden, die von einem Pilz bedrohten Salamander gerettet werden, die gegen Herbizid resistent gewordenen Pflanzen wieder anfällig gemacht werden, usw.
Eine neue Technologie führt immer zu einem Ideenkarussel und schafft neue Märkte, die eine weitere Welle der künstlichen Veränderung der Welt auslösen, die immer invasiver und unumkehrbarer ist. Unumkehrbarer, weil die Verunreinigungen durch die früheren GVO-Generationen sich nicht allzu sehr allgemein verbreiten konnten, aufgrund der Vererbungsgesetze und der natürlichen Selektion. Die Gene-Drive-Technologie ist hingegen eine Art Kettenreaktion, um die Hegemonie von Genmutationen durchzusetzen, auch wenn sie keine erblichen Vorteile bieten.
Eine weitere Büchse der Pandora wurde geöffnet: Diese Technologie eröffnet die Möglichkeit, die Idee eines automatischen Genozids zu verwirklichen. Oder vielleicht sollte besser von Ökozid gesprochen werden, da der Begriff Genozid historisch gesehen mit den Versuchen verbunden wird, bestimmte ethnische Gruppen von Menschen zu vernichten. Das Wort Genozid-Technologie beschreibt jedoch, was die Gene-Drive-Technologie konkret möglich macht: eine auf bestimmten genetischen Charakteristiken basierende gezielte Ausrottung. Dieses Wort drückt auch eine nicht anthropozentrische Sichtweise aus: Ja, die Vernichtung oder Veränderung von gewissen nichtmenschlichen Arten aufgrund von Charakteristiken, die als stossend angesehen werden, ist von extremer Gewalt. Geschieht dies aus menschlichen Interessen, schockiert es in einer speziestischen Gesellschaft weniger. Aus einer inklusiven und egalitären Perspektive ist es jedoch inakzeptabel. Und was verhindert, dass die Anwendung auch auf Menschen ausgeweitet wird?
Man kann sich beruhigen, indem man an der Wirksamkeit dieser Technik zweifelt. Doch die Forscher*innen lieben Technologien, die noch nicht ganz ausgereift sind und sie so vor die Herausforderung stellen, diejenige Technik zu finden, die wirklich funktioniert. Eines Tages schafft dies jemand, darauf verbessert jemand anderes die Technik, damit sie billiger wird, usw. Nein, die Anwendung der neuen Zuchttechnologien und der informatischen Genomdatenbanken ist nicht neutral. Die Forscher*innen, die diese Technologie erfunden haben, tragen auf jeden Fall eine grosse Verantwortung. Aber auch diejenigen, die ihre Anwendungen vervielfachen, tragen nicht nur dazu bei, dass die Verwendung dieser Technologie selbstverständlich wird, sondern eröffnen auch weitere desaströse Möglichkeiten – manchmal, ohne es zu wollen.
Wenn die Masken fallen
Zahlreiche Beispiele enthüllen, wie korrupt der Gentechniksektor ist, seien es die multinationalen Unternehmen, wissenschaftliche Zeitschriften oder die öffentlich finanzierte Forschung. Dazu kommt der kürzlich erfolgte Rauswurf der Forscherin Angelika Hilbeck aus der Forschungsanstalt Agroscope zugunsten von Jörg Romeis, einem Lakaien der Agrochemie-Industrie. [xiii] Erstere hatte im Zusammenhang mit transgenem Mais ein Problem entdeckt, das sie nicht verstecken wollte, letzterer hatte es geschafft, das Problem zu vertuschen. Die Frage ist nicht, wie viele Wissenschafter*innen korrupt sind, sondern ob sie herrschend sind – und vom wissenschaftlichen Establishment wird in der Regel die Sichtweise der Verfechter*innen der Gentechnik übernommen – und woher die Macht stammt, die Wahrheit definieren zu können.
Die Akteur*innen der Pflanzenzüchtung beklagen sich regelmässig, dass sie mit dem Monster Monsanto gleichgesetzt würden und dass der Wert ihrer Arbeiten mit den angebauten Varietäten nicht anerkannt werde. Dabei gibt es nur sehr wenige, die sich grundlegend von der technokratischen Logik abheben. Die grosse Mehrheit rühmt nach wie vor das technische Potential der Gentechnik, die uns retten wird. Sie stellen global gesehen keine Ausnahme dar von der Feststellung, dass die Wissenschafter*innen ihre eigene Macht nicht kritisch betrachten – ausser dass sie einige Gemeinplätze von sich geben, die ihnen eine kritische Betrachtung ihrer eigenen Verantwortung ersparen.
Der Nationalsozialismus wird mit dem «Bösen» assoziiert, während die Demokratie «gut» ist… Es ist notwendig, jenseits dieser Kategorien zu unterscheiden, was der Herrschaft dient und was der Emanzipation. Alle Positionen, die schliesslich dazu dienen, die Beherrschten zu unterdrücken, oder die offen zugunsten der Beherrschung wirken, müssen bekämpft werden. Das sogenannt «moderne» Saatgut, das an die Bäuer*innen verkauft wird mit dem Versprechen, sie von der Armut zu befreien, verschlimmert nur ihre Verschuldung und trägt dazu bei, ihre Ländereien zu vereinnahmen. Indem die Praxis der Wiederaussaat verhindert wird, ist dieser bäuerliche Ethnozid eine historische Folge der Ausweitung des Kapitalismus, der sich immer ausgebreitet hat, indem er die Bäuer*innen um die Almenden und weitere Mittel zur Existenzsicherung gebracht hat – seit der Epoche der Enclosures. Mazoyer und Roudart[xiv] zeigen auf, dass die GVO auf keinen Fall den Welthunger beseitigen können, auch wenn sie technisch gesehen ihre Versprechen einhielten. Was die armen Bäuer*innen wirklich brauchen, ist Zugang zum Land und faire Preise, um ihre Arbeitsmittel unterhalten und verbessern zu können. Etwas, das im aktuellen Wirtschaftssystem jedoch unmöglich ist.
Wir haben genug davon, karrierengeilen Wissenschafter*innen zuzuhören, wie sie sich mit absolutistischen Lügenmärchen rechtfertigen, die nur die aktuelle Situation legitimieren und das Schlimmste vorbereiten. Zu einem Zeitpunkt, in dem der Krieg gegen das Lebendige an Intensität gewinnt, ist der Totalitarismus nicht mehr in weiter Ferne, sondern ist zu einem Dispositiv geworden, das vor unseren Augen am Entstehen ist. Wenn die Wissenschafter*innen Kritik solidarisch zurückweisen, haben sie ihre Seite gewählt. Es ist zu einfach, zu sagen, man sei neutral, und sich herauszuhalten aus den Kampffeldern, in denen die Mächtigen die Waffen benutzen, die von der Technowissenschaft entwickelt wurden. Aber ist nie zu spät, um sich von den Habern und Rudorfs zu distanzieren und sich dem Widerstand anzuschliessen. Damit aus dem Mist eine Zukunft wächst, die frei von Herrschaft ist.
[i] Agroscope ist die schweizerische öffentliche Agronomieforschungsanstalt; die ETHZ ist die Eidgenössiche Technische Hochschule Zürich.
[ii] https://motherboard.vice.com/en_us/article/anti-gmo-protesters-threw-cow-dung-at-scientists-trying-to-solve-food-insecurity
[iii] Thomas Wieland, Autarky and Lebensraum. The political agenda of academic plant breeding in Nazi Germany, Journal of History of Science and Technology, Vol.3, Fall 2009.
[iv] Op.cit. Alle weiteren Zitate ohne Fussnoten stammen von Wieland.
[v] Um weiterzulesen: Pourquoi nous disons non aux OGM et au PNR59 https://rhizom.noblogs.org/archive/
[vi] Man spricht häufig von Cyberkrieg und man kennt die Rolle, die IBM und seine Hollerith-Maschinen gespielt haben. Sie waren die Vorgänger der Computer und ha-ben dem Nazi-Regime die Möglichkeit einer industriellen Verwaltung des Holocaust geboten.
[vii] Scheisse in der ETH, in Dissonanz n°35, Zurich, 31.8.2016. Französische Version: https://renverse.co/Zurich-De-la-merde-a-l-EPFZ-789
[viii] Jacques Testart, L’eugénisme médical aujourd’hui et demain, in L’éternel retour de l’eugénisme, J. Gayon und D. Jacobi Eds, PUF, 2006.
[ix] http://nationalacademies.org/gene-editing/index.htm
[x] L’humain 1.0 va disparaître, in Le Matin du 13 janvier 2017, Interview mit Laurent Alexandre, Prophet des Transhumanismus aus Frankreich, Chirurg und Direktor von DNA Vision, einem Unternehmen, das mit der DNA-Sequenzierung arbeitet.
[xi] Siehe den Artikel Neue Züchtungstechnologien in Rhi-zom Nr. 2.
[xii] Paul Scherer, Protéger des espèces à l’aide de manipu-lations génétiques ?, in StopOGM Infos n°66, Februar 2017.
[xiii] D. Hakim, Scientists Loved and Loathed by an Agrochemical Giant, NY Times, 31.12.2016. Siehe auch: E. Lipton, Food Industry Enlisted Academics in G.M.O. Lobbying War, Emails Show, NY Times, 5.9.2015
[xiv] M. Mazoyer und L. Roudart, Histoire des agricultu-res du monde, éd. du Seuil, 2002.