Endlich wird wieder kollektiv darüber gestritten, wohin wir wollen. Das erste Mal seit langem gibt es eine linke Strategiedebatte oder zumindest Ansätze davon. Dass sich gerade an einem durch und durch staatstragenden Programm wie #ZeroCovid die Debatte entzündet, mag man verteufeln oder nicht, wir suchen es uns schlicht nicht aus. Wir sind froh, dass wieder diskutiert wird und wollen versuchen, auf einiges aufmerksam zu machen, was scheinbar in Vergessenheit geraten ist. Wir wollen nach unserem Beitrag „One Solution! ZeroCovid?“ nun die praktisch-revolutionären Momente einer direkten und solidarischen Praxis herausarbeiten und einen ergänzenden Beitrag zur Debatte leisten: zu solidarischen Beziehungen, die auf ganzer Breite uns gehören, einer Gesellschaft der gegenseitigen Hilfe. Still fighting for revolution!
Ein Einspruch gegen einen „linken“ Lockdown und ein Versuch, dem Anspruch, „alles anders zu machen“ etwas gerechter zu werden. Unser erster Text „One Solution! ZeroCovid?„.
Von: AK unknow desires, Text ursprünglich veröffentlicht bei EMRAWI
Wir möchten bereits vorhandene, teils sehr simple Praktiken aufgreifen und Perspektiven aus jener Praxis für eine linke Strategie gegen Lockdown und Pandemie entwickeln. Wir wollen aufzeigen, dass jenseits von Staat und Kapital, soziale Fürsorge möglich ist, die sich auf das Prinzip der Selbstorganisation stützt. Diese Selbstorganisation ist die Bedingung der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Aushandlung tatsächlich solidarischer Pandemiemaßnahmen. Viele von uns wissen um die Gefahr der Pandemie und überlegen, wie sie sich vor dieser schützen können. Statt politische Programme zu unterzeichnen, denken wir an eine breite Debatte und vor allem Bewegung der solidarischen Lebens- und Beziehungsweisen und einen direkt von unten durchgesetzten Shutdown, ohne Forderungen und Bitten. Wir haben nichts gegen die Expertise von Ärtz:innen und Virolog:innen oder stellen deren Kompetenzen in Frage. Es geht jedoch nicht nur um eine Krise der Pandemie, sondern um krisenhafte Verhältnisse. Es reicht deshalb nicht aus, Virolog:innen oder andere Wissenschaftler:innen zu befragen, sondern die Verhältnisse im Ganzen kritisch in den Blick zu nehmen. Die gesellschaftlichen Bedingungen der Pandemie können wir nicht ausschließlich Expert:innen vermeintlich neutraler Wissenschaften überlassen.
Das Scheitern der solidarischen Nachbarschaften im ersten Lockdown
Im ersten Lockdown gab es eine breite Bewegung an solidarischen Nachbarschaften. Eine Bewegung, die wir im Grunde bis heute gut finden, die wir damals mitgetragen haben, an der wir aber heute auch starke Schwächen feststellen. Neben den üblichen politischen Forderungen und Skandalisierungen betreffend Obdachloser, „häuslicher“ Gewalt, aber auch ganz allgemein der Relevanz der sozialen Klassen während der Pandemie, wurden erfreulicherweise sogar Experimente der direkten gegenseitigen Hilfe gewagt. Vor allem wurde großer Wert darauf gelegt, Einkaufs- und Besorgungshilfen zu organisieren und so Menschen zu ermöglichen, sich dem Infektionsrisiko des Einkaufens zu entziehen. Warum haben wir uns auf das Feld der Besorgungen spezialisiert? Vielleicht weil es naheliegend ist. Vielleicht weil zu Beginn der Pandemie so viel über Risikogruppen geredet wurde.
Die Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass diese Form der Hilfe nicht besonders großen Anklang gefunden hat. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Versorgung mit Lebensmitteln nicht zwingend einer solidarischen Vermittlung bedarf (zumindest nicht in den Gegenden, in denen wir Hilfe organisiert haben), da sich Freund:innen und Nachbar:innen schneller und einfacher gegenseitig geholfen haben. Daraus folgt, dass wir zum zweiten denken, dass die solidarischen Nachbarschaftshilfen ein Angebot gemacht haben, dass auf kein allgemeines Bedürfnis geantwortet hat: trotz allem neoliberalen Umbau des Sozialstaates und aller finanziellen Belastung der Einzelnen durch die Pandemie ist die Drohung des Hungerns für viele im ersten Lockdown nur abstrakt gewesen. Für diejenigen, die wirklich unter Hunger oder Geldmangel leiden, konnten keine nennenswerten solidarischen Hilfsangebote geschaffen werden. Hier waren mehr die Tafeln aktiv als nachbarschaftliche Netzwerke. Im besten Fall waren es solidarische Netzwerke, die Tafeln mit Gütern und helfenden Händen unterstützt haben, eine organisierte nachbarschaftliche Versorgung mit Grundgütern wurde nirgends eingerichtet. Dies alles hat unserer Auffassung nach dazu beigetragen, dass sich die Nachbarschaftshilfen so schnell aufgelöst haben wie sie entstanden sind. Auch die zum Teil bestehende bundesweite Vernetzung der Aktivist:innen, ging nach dem Ende des ersten Lockdowns ein. Des Weiteren denken wir ganz banal gesagt, dass die Struktur vieler dieser Nachbarschaftshilfen zu unpolitisch war und sie sich oft als schlichte Dienstleistung verstanden haben. Daher gelang es kaum aus den Netzwerken eine dauerhafte stabile politische Vernetzung gegenseitiger Hilfe entstehen zu lassen oder Ideen der Selbstorganisierung in den Nachbarschaften zu verankern.
Schlussfolgerungen aus dem Scheitern
Aus den Erfahrungen folgt unserer Meinung nach nicht, dass gegenseitige nachbarschaftliche Hilfe als Organisationsform grundsätzlich zu verwerfen ist. Aus der Erfahrung schließen wir aber, dass die Form der Hilfeleistung nicht aus unserer Phantasie über die Bedürfnisse der Bedürftigen entspringen darf, sondern unbedingt von diesen und das sollte auch bedeuten: uns selbst gewählt werden müssen. Bei unseren Bemühungen müssen wir von uns ausgehen. Wir müssen uns fragen, was unsere Bedürfnisse sind und wie wir auch diese in Selbstorganisierung befriedigen können. Selbstorganisierung heißt eben nicht bloß Organisations- und Hilfsangebote für andere zu schaffen. Gleichzeitig dürfen wir bei unseren Überlegungen nicht bei uns stehen bleiben, da wir (wie ein Großteil der „Linken“) selbst einen komfortablen persönlichen Hintergrund haben, der uns etwa keiner Abschiebung oder Massenunterkunft aussetzt; unsere finanziellen Probleme meistens nicht unsere Existenz gefährden und wir ein mehr oder weniger festes soziales Netz um uns herum haben. Wir glauben, dass erst organisierte Solidaritätsnetzwerke die Möglichkeit haben, tatsächlich für jene, die in der gegenwärtigen Pandemie mit deutlich mehr Problemen zu kämpfen haben, konkrete Unterstützung und gegenseitige Hilfe zu organisieren. Ein einfaches Beispiel: wenn wir alle, deren soziale Sicherung trotz Pandemie weitestgehend stabil ist, halb-depressiv und ohnmächtig vor Netflix oder der Bundesliga versauern, werden wir die Energie nicht aufbringen, einen Mietenstreik zu organisieren oder eine stille Besetzung zu supporten. Die Frage darf nicht sein: Willst du, dass wir dieses oder jenes helfen? Sondern: Wie und bei was können wir uns gegenseitig helfen?
Hierzu braucht es eine offene Struktur der selbstorganisierten Hilfe, eine wirkliche Community oder Nachbarschaft, in der die Kommunikationswege für Hilfegesuche immer schon offenstehen und deren Bedürfnisse dadurch erkennbar werden, dass sie von den Leuten selbst artikuliert werden. Wir denken, es wäre notwendig mit Angeboten zu experimentieren, um zu erfahren was angenommen wird und was nicht. Mit Aktionsformen experimentieren bedeutet aus Fehlschlägen und Erfolgen beiderseits zu lernen, aber immer wieder neue kreative Anläufe zu nehmen.
Es gilt weiterhin, dass der Pandemie nicht mit individuellem Handeln begegnet werden kann. Es ist nicht einfach eine individuelle Verantwortung, sich individuell zu schützen und individuelle Probleme zu lösen, sondern die Probleme, Bedürfnisse und Strategien kollektiv zu bestimmen. Ohne die Möglichkeit der persönlichen Anwesenheit muss diese solidarische Nachbarschaft soweit es geht digital und telefonisch organisiert werden. Wie digitale Plattformen im Sinne solidarischer Nachbarschaften und gegenseitiger Hilfe eingesetzt werden können, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Breitere Debatten über grundlegende strategische Ansätze lassen sich über die bekannten Kanäle abwickeln. Auch Plena werden auf Plattformen wie Jitsi oder Mumble weiterhin durchgeführt. Stadtteilchats gab es häufig bereits vor dem ersten Lockdown und spätestens seit dann sind diese grundsätzlich angelegt. Wichtig ist, dass wir im digitalen Raum Aktionen für den realen Raum planen und uns nicht in Scheinproblemen verlieren. Denn auch das wird schnell klar, wenn es um wirkliche Hilfe geht: Soziale Krisen lassen sich nur durch wirkliche soziale (und nicht digitale) Beziehungen überwinden. Der Zettel im Hausflur und das persönliche Gespräch mögen wesentlich mehr Überwindung kosten, können dafür jedoch zu Beziehungen heranwachsen, die uns zu Mietenstreiks, gemeinschaftlicher Versorgung und solidarischen Konzepten des Gesundheitsschutzes ermächtigen können.
Ideen um solidarische Nachbarschaften und Kommunen
Kein Mensch soll auf der Straße leben müssen…
1. Mietenstreik schützt kollektiv vor Zwangsräumungen und spült eine Menge Geld Monat für Monat in unsere eigenen Taschen. Konkret zu organisieren sehen wir: Streikkomitees, Repressionskassen, Strategien der direkten Vergesellschaftung durch langfristige Streiks oder die Information der eigenen Nachbarschaften und das in Erfahrung bringen von Beteiligungsbereitschaft.
2. Besetzungen schaffen unmittelbar genutzten Wohnraum. Es gibt überhaupt viele Gründe für Besetzungen. Deswegen könnte eine neue Bewegung der Besetzungen in vielerlei Hinsicht Kämpfe vereinen und Raum für solidarische Distanzierung schaffen. Und damit die Polizei die Besetzung nicht sofort entdecken und räumen, kann man die Gebäude auch still besetzen.
3. Eine breite „Stadt Für Alle“-Bewegung schafft Rückhalt für Mietenstreiks und Besetzungen. Kieztreffen und die Vernetzung von Nachbar:innen lassen sich auch online veranstalten und organisieren.
4. Eine breite Bewegung kann außerdem die gesellschaftliche Frage nach der solidarischen Verwaltung von Wohnraum stellen und Konzepte zur flächendeckenden Enteignung von kommerziell genutztem Wohnraum entwickeln. Mieten durch Streiks und Besetzungen abschaffen!
… und niemand eingesperrt sein.
1. Über Gefängnisse sprechen wird gerne vermieden. Unter der Pandemie leiden die Insass:innen verstärkt. Es muss Aufgabe einer abolitionistischen Bewegung sein, herrschaftsfreie Konzepte von Sicherheit und Ordnung als wirkliche Alternativen gegen Knäste zu etablieren. Bis dahin können wir Unterschlupf gewähren und gemeinsam dafür sorgen, dass möglichst niemand seine Haft antreten muss.
2. Das Zuhause mag für manche Ort der Sehnsucht sein, für andere ist es ein Alptraum. Besetzungen durch FLINT*-Kollektive oder Migrant:innen können Schutzräume öffnen, die auch schon vor der Pandemie gefehlt haben. Autonome Räume zu öffnen und für schutzbedürftige Menschen bereit zu halten, wäre eine zusätzliche Option.
3. In leerstehenden Lokalen und Läden ließen sich leicht ärztliche Stationen für Tests, Essensverteilung, Suppenküchen usw. einrichten. Dezentralisierung und Verkürzung notwendiger Wege ist nicht nur notwendige Maßnahme gegen eine Pandemie, sondern auch ein Anliegen sozialer Städte und nachhaltiger Produktionsweisen.
Kein Mensch soll Mangel leiden
1. In vielen Städten gab oder gibt es bereits Foodsharing oder Gabenzäune. Kommune-Hallen und Basisläden könnten einen Grundbedarf an Lebensmitteln öffentlich zugänglich machen. Gedeckt durch Spenden aus der solidarischen Stadtbevölkerung. Alles für Alle. Und zwar umsonst.
2. Viele kleine Suppenküchen oder SoKüs können auch trotz einer Pandemie frei zugängliche Mahlzeiten anbieten.
3. Ladendiebstahl ermöglicht kostenfreien Genuß vorzüglichster Lebensmittel. Plünderungen helfen, wenn es wirklich mal an allem fehlt.
4. Sollte der Staat Geld, ausschütten, nehmen wir es. Aber selbst wenn, dann wird es nie an alle Menschen ausgezahlt werden. Daher verlassen wir uns nicht auf staatliches Geld und fordern auch keines.
5. Breitere Bewegungen könnten allgemein die Frage nach bedingungsloser und kostenloser Grundversorgung stellen, einer unmittelbaren Umwandlung mindestens der Bereiche Landwirtschaft und Ernährung, Gesundheit und Therapie, Verkehr, Energie und Kommunikation in kostenlose und frei zugängliche Bedarfswirtschaften. Dies ist sicherlich im Interesse vieler unserer Bewegungen. Armut, öffentlicher Verkehr, allgemein der ökologische notwendige Abbau gewisser Industriezweige, alles verweist auf öffentlich zugängliche Güter und grundsätzlich garantiertem Zugang zum gesellschaftlichem Leben. Wichtig ist dabei nicht die Verstaatlichung, welche dem Eigentum nur neue Eigentümer gibt, sondern die Aufhebung der Eigentumsform und die Einführung kollektiver, kooperativer und solidarischer Reproduktionsformen.
Shutdown für die Industrie
1. Sämtliche unwichtige Industrie von außen zu blockieren und wichtige Produktionsketten zu stören, macht es den Arbeiter:innen leichter von innen ihre Arbeit niederzulegen und zu Hause zu bleiben.
2. Die Frage der Systemrelevanz ist manchmal recht leicht zu beantworten: Kein Schwein braucht Tönnies, das ist offensichtlich. Lufthansa auch niemand. Die Autoindustrie auch nicht. Eine Menge dicht gedrängter Menschen schon allein in diesen drei Industrien. Und es gibt noch viel mehr. Es gibt genug Grund diese Industriezweige auch für nach der Pandemie unschädlich zu machen. Nicht nur (aber auch) Abschiebeknäste können brennen.
3. Häufig ist es aber etwas komplexer und wir müssen an Debatten anschließen, die sich die Frage stellen, wie wir revolutionär wirtschaften können. Es gibt hier einen Haufen Ansätze unter verschiedensten Namen, die von verschiedensten Gruppen und Strömungen in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten entwickelt und vertreten wurden. Alle verweisen in ihrer Art auf eine andere Form der Produktion, Konsumption, Reproduktion, Verteilung, Planung, Entscheidungsfindung, usw. Hier die kollektive Kreativität walten zu lassen und gemeinsame Strategien der direkten Umsetzung zu entwerfen ist auch Teil unserer Strategie. Eine revolutionäre Strategie, die wir selbst durch uns hindurch entwickeln und eine gemeinsame Utopie einer lebenswerten Gesellschaft hervorbringt, für welche es sich lohnt zu kämpfen.
4. Neben Blockadeaktionen vor Amazon, BMW, Baustellen, usw. lässt sich auch Arbeiter:innenautonomie in Betrieben aufbauen, bzw. die Idee einer Arbeiter:innen-Selbstverwaltung überhaupt wieder stärken. Auch Basisgewerkschaften können Kämpfe in den Betrieben organisieren.
5. Für eine breite Beteiligung von vielen Arbeiter:innen wird eine konsistente und von ihnen selbst gestaltete Vision von selbstorganisierten und revolutionären Arbeits- und Wirtschaftsweise nötig sein. Hier entsprechende Aushandlungsprozesse aktiv auch innerhalb von Zusammenhängen von Arbeiter:innen zu diskutieren wird entscheidend sein.
Prekär Beschäftigte vereinigt euch
1. Zugang zu kostenlosen Läden würde vielen momentan zwangsweise Arbeitslosen helfen.
2. Viel wichtiger ist es jedoch auch von dieser Seite aus darauf zu drängen, eine bedingungslose Grundversorgung zu garantieren, die nicht bloß vom guten Willen der Nachbar:innen abhängig ist. In dieser Hinsicht brauchen wir eine Perspektive, die Friseure, Gastronomie, Kunst und Kultur, Unterkünfte, usw. als soziale Dienstleister:innen in unsere Kommunen zu integrieren. Umfassenden Strategien für revolutionäre Gemeinwesen, in denen wer nicht arbeiten kann, dennoch ohne weiteres mit allem Nötigen versorgt werden kann. Städte und Gesellschaften, in welchen wir gemeinschaftlich darüber diskutieren können, wie wir unsere re/produktive Arbeitszeit verteilen und wer welche notwendigen Arbeiten übernimmt, ohne dabei immer dem Zwang des Broterwerbs unterliegen zu müssen.
3. Für den Einzelhandel kann der Mietenstreik sicherlich eine Erleichterung bringen. Dasselbe gilt für die vielen Klubs und Bars.
Keine Macht dem Staat
Ob wir wollen oder nicht, werden wir effektiven Schutz vor Pandemie, Armut und Gewalt nur gegen staatliche Maßnahmen durchsetzen können. Auch unsere Anliegen vor der Pandemie waren nicht mit den Interessen und Prinzipien des Staates vereinbar. Vieles weist auf neue Entscheidungsprinzipien und Umsetzungsstrategien.
1. Sinnlose Maßnahmen wie Ausgangssperren dienen nicht der Bekämpfung der Pandemie, sondern nur der staatlichen Kontrolle unserer Viertel. Hindern wir die Polizei daran rassistische Kontrollen durchzuführen oder Obdachlose zu vertreiben!
2. Nachbarschaftliche Netzwerke können die Grundlage für eine solidarische Gestaltung der Viertel sein und sich immer mehr der Verwaltung durch staatliche Institutionen widersetzen.
3. Arbeiter:innen-Räte und basisgewerkschaftliche Netzwerke können notwendige Maßnahmen in ihren eigenen Betrieben gestalten.
4. Trotz Corona töten die europäischen Grenzen weiterhin. Vergessen wir die Menschen in den Lagern nicht, versuchen wir ihnen zu helfen wo es geht. Schützen wir die Menschen hier vor Abschiebungen, indem wir ihnen z.B. das Untertauchen ermöglichen. Ein sicherer Hafen zeichnet sich auch dadurch aus, dass niemand ihn ungewollt verlassen muss.
Keine Macht dem Markt
1. Solidarische Landwirtschaften und Verteilungsnetze können den logistischen Aufwand für die Versorgung von Städten reduzieren und damit nicht nötige Bewegungen einschränken. Netzwerke aus Städter:innen und Bäuer:innen können die Grundlage für eine kooperative, solidarische und nachhaltige Wirtschaft bilden.
2. Eine breite Bewegung gegen die kommerzielle Nutzung von Impfstoffen und für offene Lizenzen wäre vermutlich noch schlagkräftiger, wenn es direkt darum ginge das Patentsystem insgesamt aufzulösen. Ein System, das zu nichts weiter nützt als die kreative Verwendung von Wissen und Technologie zu unterbinden.
3. Da Staat und Markt offensichtlich dabei versagen, überlebenswichtige Corona-Schutzausrüstung wie FFP2-Masken oder Schnell-Tests zu verteilen, können diese sich auch auf anderem Weg angeeignet und verteilt werden.
4. Der Aufbau solidarischer Betriebe in der Hand von selbstorganisierten Nachbarschaften und Kommunen ist im Hinblick auf lebensnotwendige Güter auch immer eine Option. Überlassen wir nicht dem Markt unsere Versorgung mit Lebensmitteln.
Keine Macht der Depression
1. Self-Care stellt gerade jetzt keine leicht zu bewältigende Aufgabe. Kollektiv daran zu arbeiten, nicht zu vereinsamen ist auch die Grundlage dafür, dass wir selbst die Energie aufbringen können für Andere aktiv zu werden.
2. Wir sehen eine potenziell widerständige Kraft darin, Depressionen nicht als individuelles Schicksal, sondern als Symptom der kapitalistischen Verhältnisse, in denen jede Alternative unmöglich erscheint, zu begreifen. Indem wir in einen sozialen Austausch über unsere Depressionen kommen, durchblicken wir den allgemeinen Charakter der Erkrankung und verstehen, dass es eine kollektive, wenn auch unterschiedliche Erfahrung ist. Es gilt, Netzwerke zu bilden, in denen man sich austauschen und gegenseitig auffangen kann. Aus dieser Solidarität kann man sich nicht nur mit Depression und psychischem Leid auseinandersetzen, sondern dem entgegentreten.
Was noch fehlt
Wir haben zu einigen Aspekten nichts geschrieben und werden sogar an vieles nicht gedacht haben. Dieses Mosaik aus konkreten Umständen und direkten Aktionen zu vervollständigen ist unsere gemeinsame Aufgabe. Wir denken, dass jetzt genau diese direkten Formen der Solidarität und gegenseitigen Hilfe nötig sind. Wir sehen auch die Schwierigkeiten, die die Pandemie zusätzlich zu den repressiven Hürden aufwirft. Hier wird es darum gehen müssen, Formen der Bewegung zu finden, die die soziale Isolation durchbrechen und gerade deshalb Maßnahmen durchsetzen können, die der Pandemie etwas entgegensetzen, Kollektivität herstellen und so eine ganz andere und wirklich solidarische Perspektive gegen Corona, Armut und Gewalt von unten durchsetzen. Wer dank eines Mietenstreiks keine Miete zahlen muss, kann vielleicht einfacher nicht mehr in der Arbeit erscheinen. Wer im Krankenhaus arbeitet wäre sicher froh, wenn wir auf der Straße durchsetzen, dass Personal aufgestockt wird, Arbeitszeiten erträglicher werden oder parallel die Arbeit zuhause kollektiv erleichtert wird. Diese Bewegung soll der Isolation auch ganz konkret durch kollektive Unterstützung und gemeinsame Verantwortung entgegentreten. Gerade diese Formen der Solidarität, durch die wir Gewinne für uns und unsere solidarischen Viertel erkämpfen, können soziale Vereinsamung durchbrechen. Durch solidarische Bewegungen können wir für Menschen dort einstehen, wo sie gerade selbst nicht für sich einstehen können.
Entscheidend für den Erfolg der von uns skizzierten solidarischen Netzwerke erscheint uns, dass diese Hilfen nicht nur caritativ wirken. Sie sollen nicht einfach Outsourcing des Staates bewirken, welcher die sozialen Konflikte nur oberflächlich befriedet, um sie nicht in Kämpfe eskalieren zu lassen. Stattdessen wollen wir mit unseren Nachbarschaften Netzwerke schaffen, unsere Nachbarschaften und solidarischen Städte so organisieren, dass sie in der Lage sind gegen Staat und Kapital alles Notwendige durchzusetzen, um uns vor der Pandemie zu schützen ohne zugleich im Polizeistaat leben zu müssen.
Die drohenden Verteilungskämpfe über die Kosten des Staates durch die Pandemie haben bereits begonnen. Es deutet sich an, dass diese den neoliberalen Umbau der Stadt weiter vorantreiben sollen. Um in diesen sozialen Verteilungskämpfen eine Rolle zu spielen, ist es bereits jetzt nötig, sich auf diese vorzubereiten und widerständige Netzwerke zu bilden. Wir stellen uns hier breite Bündnisse aus radikalen und sozialen Gruppen vor, die sich über viele Gespräche hinweg, von eigenen Freundeskreisen über Hausgemeinschaften und Kiezversammlungen zu wirklichen Strukturen der Selbstverwaltung verbinden. Je tiefer wir uns in unseren Nachbarschaften verankern und je mehr die entwickelten Konzepte für unsere Städte aus unseren Städten kommen, desto mehr können wir in Richtung revolutionärer Stadtverwaltungen hinwirken: Versammlungen und Gremien, die den Bedürfnissen der Bewohner:innen entspringen und von diesen umgesetzt werden und die eine kollektive Absprache und Entscheidungsfindung ermöglichen, um Kräfte zu bündeln und herzustellen.
All unsere Ideen sollen dabei immer schon weitergehende Schritte in Richtung einer wirklich befreiten Gesellschaft antizipieren. Denn wir wollen keinen befreiten Zustand an die Wand pinseln, sondern eine wirkliche Bewegung der Befreiung erschaffen. Dabei werden wir immer in der Spannung zwischen aktuellen Kräfteverhältnissen und Ansätzen revolutionärer Solidarität verbleiben müssen und mehr von uns selbst fordern, als wir vielleicht aktuell umsetzen können. Immer darauf hoffend, dass schon morgen die Kräfte auf unserer Seite größer sind und die gestern fernen Ziele heute nah. Lasst uns der Politik den Rücken zukehren und damit beginnen in den unkontrollierbaren Zwischenbereichen unserer Beziehungen, freie Netzwerke zu knüpfen. Erst wenn wir aufhören zu hoffen, dass der Staat uns retten wird, können wir anfangen, uns selbst zu retten.
Für einen Frühling der Revolte! Für ein revolutionäres 2021!