Verfasst von Shemon in IllWillEditions
Einführung
Vom 26. Mai bis zum 1. Juni 2020 brannte eine von Schwarzen angeführte, gemischtethnische proletarische Rebellion Polizeistationen nieder, zerstörte Polizeiautos, griff die Polizei an, verteilte Güter um und rächte sich für die Ermordung unzähliger Schwarzer und Nichtschwarzer durch die Polizei. In der ersten Juniwoche schien sich alles geändert zu haben, jede Person schien vergessen zu haben, dass all dies geschehen war, und stattdessen wurden wir gute Demonstrierende, wir wurden gewaltlos und wir wurden Reformist_innen. Anstatt die Polizei anzugreifen, ertrugen wir unzählige Aufmärsche, die keinen anderen Sinn hatten, als weiterzumarschieren. Von revolutionären Abolitionist_innen wurden wir zu reformistischen Abolitionist_innen. Was geschah?
Es gibt viele einfache Antworten, die alle falsch sind. Eine mögliche Antwort würde auf die polizeiliche Unterdrückung der Bewegung hinweisen, die dazu führte, dass über 14.000 Menschen verhaftet wurden. Eine andere würde auf die Weißen hinweisen, die sich der Bewegung angeschlossen haben, und die ihre ganze liberale Politik und ihre Strategien mitbrachten. Schließlich behauptet die lächerlichste Antwort von allen, dass die militante Phase der Rebellion nie eine wirkliche Bewegung von Schwarzen und nicht-Schwarzen Proletarier_innen war, sondern in Wirklichkeit ein Produkt von Agitator_innen von außen war.
In Wirklichkeit fand etwas viel Gefährlicheres und Unheimlicheres statt, etwas Organisches bis hin zum Ethnienkapitalismus und mit Wurzeln, die bis zum afrikanischen Sklavenhandel und der haitianischen Revolution zurückreichen. Eine Kampagne zur Aufstandsbekämpfung hat den Kurs der Bewegung grundlegend verändert. Auch wenn sich der Rückzug und die Niederlage der Bewegung, die sie auslöste, als vorübergehend erweisen mag, stellen solche Kampagnen bedeutende Hindernisse für eine weitere Radikalisierung dar und müssen daher angegangen werden. Diese Kampagne zur Aufstandsbekämpfung vor Ort wurde von der Schwarzen Mittelschicht, Schwarzen Politiker_innen, Schwarzen radikalen Akademiker_innen und Schwarzen NGOs angeführt. Dies mag ein Schock für die Menschen sein, deren Impuls darin besteht, die Schwarzen als eine monolithische politische Gruppe zu betrachten. Diese Vorstellung ist falsch.
Dies war kein lokales Phänomen in einer oder zwei Städten, sondern eine Dynamik, die in den ganzen Vereinigten Staaten stattgefunden hat. Eine weitverbreitete Rebellion erforderte eine weitverbreitete Aufstandsbekämpfung. Und obwohl es keinen Zweifel daran gibt, dass hinter der von den Schwarzen angeführten Aufstandsbekämpfung Milliarden Dollar an Philanthrop_innen, Universitäten, dem Staat und der weißen Mittelschicht stehen, ist die unbequeme Wahrheit, dass eine von den Schwarzen angeführte Rebellion nur durch ein von den Schwarzen angeführtes Programm zur Aufstandsbekämpfung niedergeschlagen werden konnte. Nichts von all dem hätte stattfinden können, wenn es nicht eine bedeutende Schicht Schwarzer Aufstandsbekämpfender in den ganzen Vereinigten Staaten gegeben hätte.
Der Aufstieg der Schwarzen Mittelschicht ist eine organische Entwicklung der Klassenschichtung im ethnischen Kapitalismus. Sie ist der Ausgangspunkt für das Verständnis der Aufstandsbekämpfung, die gegenwärtig die George-Floyd-Rebellion erstickt. Letztere hat ihre soziale Basis in der Schwarzen Mittelschicht, die höchstens eine enge Reform des Systems anstrebt, nämlich die Umwandlung des Ethnienkapitalismus in einen einfachen Kapitalismus.
Auf lange Sicht ist die Schwarze Mittelschicht der Feind des Schwarzen Proletariats: Arbeitslose, Lohnarbeiter_innen, Sexarbeiter_innen usw. Die wahren Partner_innen oder Kompliz_innen des Schwarzen Proletariats sind die Latinx-Proletarier_innen und die weißen Proletarier_innen, die indigenen Völker von Turtle Island (eine Bezeichnung für die Erde oder für Nordamerika von einigen indigenen Gruppen) und das internationale Proletariat. Bis jetzt scheinen das nur wenige in diesem Land herausgefunden zu haben, geschweige denn, welche politischen und strategischen Implikationen sich daraus ergeben. Obwohl keines dieser Probleme neu ist, lohnt es sich, noch einmal auf sie zurückzukommen.
Die Schwarze Mittelschicht
Im Kampf um die Befreiung der Schwarzen gab es immer eine Spannung in der Frage der Schwarzen Mittelschicht: Ärzt_innen, Anwält_innen, Professor_innen, Manager_innen und Geschäftsinhaber_innen. Nicht über ihre Existenz, sondern über ihre politische Rolle und ihr Verhalten im Kampf gegen die Vorherrschaft der Weißen.
In vielerlei Hinsicht unterscheidet sich die Schwarze Mittelschicht nicht von anderen Mittelschichten. In ihrem Kern ist die gesamte Politik der Mittelschicht wahl- und gesetzgeberisch und reformistisch. Bei ihren Strategien geht es um Respektabilität, den Schutz des Privateigentums und letztendlich darum, dem Gesetz zu folgen. Die Mittelschicht fühlte sich schon immer berechtigt, für ihr jeweiliges Proletariat zu sprechen und es zu vertreten. Sie setzen sich für die gemischtethnische Einheit unter den Kolleg_innen ihren Klasse ein, während sie gleichzeitig die ethnische Treue nutzen, um ihre eigenen Positionen im ethnischen Kapitalismus voranzubringen. Alle Analysen der Mittelschicht sehen das Proletariat als ihre Bedrohung oder Opfer; niemand sieht das Proletariat als eine revolutionäre Klasse. Die wenigen Menschen aus der Mittelschicht, die das Proletariat als revolutionär betrachten, arbeiten entweder daran, das Proletariat zu unterdrücken, oder sie schließen sich ihnen im Kampf an.
1931 argumentierte W.E.B. Du Bois, dass, solange Jim Crow die Möglichkeiten der Schwarzen Mittelschicht einschränkte, das Schwarze Proletariat und die Schwarze Mittelschicht gemeinsam gegen die weiße Vorherrschaft kämpfen müssten. Aber schon in den 1960er-Jahren waren die Black Panther Party und die League of Revolutionary Black Workers davon überzeugt, dass sich die Schwarze Mittelschicht und das Schwarze Proletariat getrennt hatten. Mit der Niederlage von Jim Crow in den 1960er-Jahren fanden die Schwarzen aus der Mittelschicht einen Weg zum Erfolg, was zu großen Unterschieden zwischen ihnen und ihren enteigneten Nachbar_innen führte.
Die Bewegung, Jim Crow zu besiegen, zerstörte nicht den ethnischen Kapitalismus oder die Anti-„Schwarzheit“; vielmehr, während sie einer kleinen Handvoll Schwarzer Personen neue Wege eröffnete, wurde ihr Sieg gleichzeitig zu einer verheerenden Niederlage für die Massen der Schwarzen Proletarier_innen, die in ihren miserablen Bedingungen stecken bleiben, mit dem einzigen Unterschied, dass ihre Arbeitsplätze und Nachbarschaften nun von der ’siegreichen‘ Schwarzen Mittelklasse verwaltet und kontrolliert werden. In dieser Hinsicht lügt die Schwarze Mittelschicht nicht ganz, wenn sie sich als die Kulmination der Bürgerrechtsbewegung und der Schwarzen Macht darstellt. Diese Widersprüche gab es schon vor den Bewegungen der 1960er-Jahre, und sie sind seither nie auf einer Massenebene aufgeklärt worden. Die Schwarze Mittelschicht war und ist bis heute der Widerspruch der Schwarzen Befreiungsbewegung.
Der wesentliche Unterschied zwischen der Schwarzen Mittelschicht und der weißen Mittelschicht ist strategischer Natur: die Schwarze Mittelschicht benutzt die proletarischen Kämpfe der Schwarzen, um ihre eigene Sache voranzutreiben. Da sie nicht stark genug ist, um ihre Sache aus eigener Kraft voranzutreiben, nutzt sie die Angst vor Unruhen und Straßenprotesten, um ihre eigene Agenda durchzusetzen. Die Schwarze Mittelschicht kann sich nicht völlig von der militanten Phase der Rebellion distanzieren, weil sie Unruhen und Gewalt als potentielle Bedrohung für den Rest der Gesellschaft ausnutzen muss. Gleichzeitig kann sich die Schwarze Mittelschicht nicht mit dem Aufstand identifizieren, weil dies ihrem eigenen Wunsch widersprechen würde, in den kapitalistischen Staat integriert zu werden, dessen Gesetze und Ordnung die Existenz von Privateigentum sichern.
Das Ergebnis ist ein verworrenes und widersprüchliches Verhältnis, das von einer dreifachen Dynamik geprägt ist: (i) die Schwarze Mittelschicht strebt danach, den Reichtum und die Macht der weißen Mittelschicht zu erlangen, (ii) dies setzt jedoch voraus, dass sie bereit ist, das Schwarze Proletariat zu disziplinieren, (iii) mit dem sie nichtsdestotrotz ein Gefühl des verknüpften Schicksals teilt, das von der Unfähigkeit der Polizei und anderer weißer Menschen angetrieben wird, die armen Schwarzen aus dem Ghetto von ihren vorstädtischen Gegenstücken zu unterscheiden. Diese dreifache Dynamik findet ihren Ausdruck in der allgemeinen Stoßrichtung der Mainstream-Black Lives Matter-Proteste, deren Aktivist_innen aus der Mittelschicht gleichzeitig dafür plädieren, (i) dass die Polizei aufhört, die Schwarze Mittelschicht mit den Schwarzen aus dem Ghetto zu verwechseln, (ii) dass der Staat mehr Geld für die soziale Reproduktion ausgibt, in der Hoffnung, mehr Schwarze in die Schwarze Mittelschicht zu katapultieren, und (iii) mehr Positionen für die Schwarze Mittelschicht an Universitäten, in Vorstandsetagen von Unternehmen usw. zu schaffen.
Die gesamte Gesellschaft der Schwarzen Mittelschicht ist bereit, von den Bemühungen der schwarzen Proletarier_innen zu profitieren. In den kommenden Monaten werden die aus der Rebellion gewonnenen Siege in Form von neuen und wertlosen ‚Vielfältigkeits‘-Positionen, sinnlosen akademischen Konferenzen und Artikeln und erbärmlichen Gehaltserhöhungen kommen. Fürs Erste müssen die derzeitigen Proteste ihre parasitäre Beziehung mit der ursprünglichen George Floyd-Rebellion aufrechterhalten. Nach der militanten Phase der Rebellion sind die Proteste in eine zombieähnliche Phase von endlosen Märschen übergegangen, oft durch bereits leere Straßen und Autobahnen. Es ist, als wären die Polizeistationen nie belagert, zerschlagen und niedergebrannt worden. Protest auf Protest folgt auf Protest, ohne eine sinnvolle Reflexion über das, was in der ersten Woche geschah. Während 2014 Autobahnblockaden in das taktische Repertoire des Anti-Polizei-Kampfes aufgenommen wurden, hätten wir vielleicht gedacht, dass „verbrannte Bezirke“ als Beitrag von Minneapolis in Erinnerung bleiben würden. Stattdessen werden die Fortschritte, die in Minneapolis gemacht wurden, unter den Straßenmärschen im ganzen Land begraben, da die Schwarze Führung reaktionäre Spaltungen zwischen friedlichen und guten Demonstrierenden verstärkt.
Revolutionäre versus reformistische Abschaffung
Es gibt zwei Arten der Abschaffung: die revolutionäre Abschaffung und die reformistische Abschaffung. Die revolutionäre Abschaffung ist die Selbsttätigkeit des Proletariats im Kampf gegen die gesamte karzinogene Logik des Staates und des Ethnienkapitalismus. Dazu gehört das Niederbrennen von Polizeistationen, das Zerstören von Polizeiautos, das Angreifen von Cops und das Umverteilen von Waren von Target und Versace. Der revolutionäre Abolitionismus steht im Bündnis mit dem revolutionären Antikapitalismus, da er begreift, dass die Abschaffung nur möglich ist, wenn sie mit Antikapitalismus, Anti-Statismus, Anti-Imperialismus, Anti-Homofeindlichkeit und Anti-Patriarchat verbunden ist. Gefängnisse müssen abgeschafft werden, aber auch Schulen, Sozialarbeiter_innen und die Armee der bürgerlichen Institutionen und Wohltäter_innen. Die expansive Dynamik, die sie deshalb nennt, kann nicht bei der Polizei aufhören, sondern muss ihren Angriff auf die Mauer, die die so genannten Vereinigten Staaten und Mexiko trennt, auf die Haftanstalten, auf die Gerichte und auf die riesige Infrastruktur des Gefängnisstaats und des Kapitalismus ausdehnen.
Der revolutionäre Abolitionismus erreichte in der ersten Woche der Rebellion schnell einen Siedepunkt, mit einem Wiederaufleben in der vergangenen Woche am 25. Juli. In der Zwischenzeit wurde die revolutionäre Abschaffung größtenteils durch eine reformistische Abschaffung ersetzt, eine Strömung, die weitgehend von der Aktivität und Politik professioneller Aktivist_innen, NGOs, Anwält_innen und Politiker_innen bestimmt wird und sich hauptsächlich mit der „Definanzierung“, der Politik und den Gesetzesänderungen befasst. Diese Perspektive sieht die Politiker_innen weiterhin als die wichtigsten historischen Akteur_innen an, gegenüber denen sie sich als eine Interessengruppe positioniert. Auf diese Weise entfernt der reformistische Abolitionismus die Proletarier_innen vom Terrain des Kampfes.
Es ist zwar richtig, die grobe Ungerechtigkeit der Polizeibudgets im Gegensatz zu den Ausgaben für Gesundheit, Infrastruktur, Schulen und andere Dienstleistungen zu beobachten, aber Vorschläge zur „Finanzkürzung“ sind kaum mehr als eine monetäre Verschiebung von einem Teil des Staates in einen anderen. Außerdem, selbst wenn der reformistische Abolitionismus beginnt, sich die Abschaffung der Polizei vorzustellen, wie es gerade jetzt in Minneapolis der Fall ist, scheint es nicht zu begreifen, dass die Polizei nicht durch die Gesetzgebung abgeschafft werden kann. Was der reformistische Abolitionismus nicht sieht, ist, dass es immer und immer nur tatsächliche oder gefürchtete Revolutionskriege waren, die die Sklaverei abgeschafft haben. Der kürzeste Weg zur Abschaffung von Polizei und Gefängnissen ist und war immer der Aufstand, wie wir letztes Jahr gesehen haben, als der Aufstand in Haiti dazu führte, dass ganze Gefängnisse geleert wurden. Der Aufstand bildet das Kernstück der revolutionären Abschaffung der Sklaverei.
Angesichts der Tatsache, dass die revolutionäre Abschaffung im Land mit Angriffen auf DHS-Büros in Atlanta und der Verbrennung von Gerichtsgebäuden auftaucht, ist die reformistische Abschaffung ein direkter Angriff auf diese militanteren Mittel der Abschaffung. Nirgendwo war diese Spannung und die Beziehung zwischen der reformistischen Abschaffung und der revolutionären Abschaffung so stark wie in Minneapolis. Die Reformist_innen hatten sich jahrelang in Minneapolis vorbereitet und die Rebellion gab ihnen den Hebel in die Hand, um ihren Zug zu machen. Was als ein All-Out-Angriff auf die Kräfte von Recht und Ordnung in Minneapolis begann, hat sich inzwischen in eine Fülle von schmerzlosen politischen Projekten verwandelt. Während das Schwarze Proletariat zurückweicht, kommen die Schwarzen Berufsaktivist_innen an die Front, bis alles wieder gut und heilig ist.
NGOs und Akademiker_innen
Schwarze Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter die Gruppen der Movement for Black Lives, haben eine Schlüsselrolle in dieser Kampagne zur Aufstandsbekämpfung gespielt. Ihre soziale Basis ist nicht das Schwarze Proletariat, sondern die Schwarze Mittelschicht und – was am wichtigsten ist – die weiße Bourgeoisie durch die Vermittlung von Philanthrop_innen. Um die Bewegung zu kooptieren, wirft die Bourgeoisie Geld auf Probleme, die durch den ethnischen Kapitalismus entstanden sind. In der NGO haben sie eine willige Gruppe von Leuten gefunden, die ihre Dollars gerne annehmen. Das Geld fällt vom Himmel: Wenn du Schwarz bist, zur Mittelschicht gehörst und dreimal Black Lives Matter sagen kannst, wird dir das Geld wie von Zauberhand in den Schoß fallen. Obwohl diese NGOs politisch unterschiedlich sind, neigen sie dazu, wenig oder gar keinen Hintergrund im Kampf zu haben, keine besondere Sorge für Bewegungen und letztendlich kein Interesse daran, den Ethnienkapitalismus zu stürzen. Sie sind lediglich ein Spiegelbild der verschiedenen Parasiten, die das Blut aus dem historischen Kampf der Schwarzen Proletarier_innen saugen. Sie lösen auf lange Sicht nichts, und es ist unwahrscheinlich, dass eine von ihnen die Bewegung tatsächlich anführen wird, da sie keine Basis haben. Da die Bewegung, die durch die George-Floyd-Rebellion entstanden ist, jedoch neu ist, sind viele ihrer Teilnehmenden immer noch leicht verwirrt und zeigen daher weiterhin eine unterwürfige Bereitschaft, jeder Schwarzen Person zu folgen, die mit einem Megafon auftaucht. Während es unvermeidlich ist, dass sich einige NGO-Aktivist_innen wieder einmal von ihren Gruppen abspalten und sich den radikaleren Elementen der Bewegung anschließen werden, ist jede strategische Ausrichtung, die ihre potentielle Energie zentriert, falsch. Auf die Radikalisierung der NGOs zu warten, ist wie auf die Radikalisierung der Gewerkschaften zu warten. Irgendwie müssen die NGOs schließlich aus der Bewegung hinausgeworfen werden.
Und was ist mit den sogenannten „revolutionären Schwarzen Intellektuellen“? Da das Wort „revolutionär“ in nicht-revolutionären Zeiten bedeutungslos ist, und die eingeschränkte Praxis, eine „intellektuelle Person“ zu sein, in revolutionären Zeiten unwirksam gemacht wird, haben wir es mit einem Widerspruch in sich selbst zu tun. Während in nichtrevolutionären Zeiten die Aktivitäten der akademischen Intellektuellen die übliche kapitalistische Arbeitsteilung zwischen Denker_innen und Handarbeiter_innen widerspiegeln, neigt die Arbeitsteilung in aufständischen Momenten dazu, zusammenzubrechen und neu geordnet zu werden, so dass viele Proletarier_innen plötzlich mit Formen des Lesens, Schreibens und Theoretisierens beschäftigt sind, die vorher ausschließlich Aufgabe der Intellektuellen waren.
Um es klar zu sagen: die George-Floyd-Rebellion ist das neue Kriterium, nach dem alle Theorien und Politiken zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Nicht an Besitzansprüche, nicht an akademische Zeitschriften, nicht an eine Gemeinschaft von sogenannten Gelehrt_innen, sondern an das Feuer und die Hitze des proletarischen Kampfes. Sie müssen auf die Forderungen von Aufständen, Streiks, Besetzungen, Blockaden, Aufständen, Krieg und Revolution antworten. Und in dieser Hinsicht muss man zugeben, dass die Ergebnisse bisher eine Katastrophe waren. Schwarzer Marxismus, Afro-Pessimismus, Schwarzer Anarchismus und Schwarzer Feminismus sind alle bei diesem Aufstand auf die Probe gestellt worden, und alle sind gescheitert. Diese Theorien haben wenig bis gar keinen bedeutenden Einfluss auf das Schwarze Proletariat gehabt. In einigen Fällen haben sie sogar ihre Karrieren aufgewertet, indem sie ihre Stimme den gegenaufständischen Nichtregierungsorganisationen verliehen haben, die nur allzu gerne ein Honorar zahlen.
Was geschah mit der Schwarzen Revolutionstheorie? Seit über fünfzig Jahren verstecken sich die Theorien in der Akademie. Die Universität hat das radikale Schwarze Denken vollständig zur Ware gemacht, was sie von den Schwarzen Proletarier_innen geschieden hat, indem sie bestimmt hat, wer Zugang zu ihr hat und wer in der Lage ist, ihrer dichten und stumpfen Sprache einen Sinn zu geben. Die Themen und Fragen, die für die Schwarzen Proletarier_innen von Bedeutung sind, werden nie unter den Begriffen, Konzepten und Traditionen des Schwarzen Proletariats angesprochen, sondern stattdessen unter den viel engeren und reformistischen Begriffen der Akademie diskutiert. Keine Idee in der Akademie ist dem Schwarzen Proletariat gegenüber rechenschaftspflichtig, gegen das eine feste Anstellung den radikalen Akademiker_innen die ultimative Isolation bietet. Dieser Mangel an Rechenschaftspflicht schützt überholte und nutzlose Ideen und lässt verstaubte alte Theorien, die vor langer Zeit im tatsächlichen Klassenkampf besiegt wurden, in der Akademie weiterleben und wird zu einem toten Gewicht im Gehirn der Bewegung.
Dies hört jetzt auf. Die volle Wucht einer Rebellion hat die Trümmer auf eine Art und Weise beseitigt, die die Kritik niemals erreichen konnte. Obwohl die politische Konsolidierung der Rebellion vorerst den Schwarzen Gegenaufständischen zugefallen ist, hat die George-Floyd-Rebellion es der nächsten Generation Schwarzer Revolutionär_innen des Proletariats sowie einigen abtrünnigen Menschen der Mittelschicht ermöglicht, aufzutauchen und sich selbst zu erkennen zu geben. In den kommenden Monaten und Jahren müssen wir alles tun, was wir können, um ihnen zu helfen, sich von den falschen Spaltungen der intellektuellen Aktivität und der revolutionären Aktivität zu befreien, die unsere Bewegungen seit langem plagen.
Schlussfolgerung
Wenn der Kapitalismus jemals abgeschafft werden soll, wenn eine befreiende kommunistische Zukunft jemals das Licht der Welt erblicken soll, muss sich das Proletariat mit Gewalt aus seiner Abhängigkeit von der bürgerlichen Gesellschaftsordnung emanzipieren. Doch bevor der Antagonismus diesen Punkt erreichen kann, muss noch ein weiterer Kampf stattfinden, in dem das Schwarze Proletariat politisch und materiell mit der Schwarzen Mittelschicht abrechnet. Dies ist keine neue Realität, sondern eine, mit der jede Revolution, an der Schwarze beteiligt sind, zu ringen hatte. Bis jetzt hat das Schwarze Proletariat jeden dieser Kämpfe verloren, was zu einem Kapitalismus und Staat mit einem Schwarzen Gesicht geführt hat.
Wenn die Schwarze Mittelschicht in der Lage war, den Gegenaufstand so effektiv zu führen, so ist dies zum Teil darauf zurückzuführen, dass sie wichtige Teile des Staates erobert hat. Lori Lightfoot in Chicago, Keisha Lance Bottoms in Atlanta, Chokwe Antar Lumumba in Jackson und Bernard Young in Baltimore sind nur einige Beispiele für eine aufstrebende Führungsebene, die sich ihrer Klasseninteressen auf eine Art und Weise bewusst ist, die das Schwarze Proletariat erst noch herausfinden muss. Sie besuchen die besten Schulen des Landes, was es ihnen erlaubt, die Art von zynischen Argumenten zu mobilisieren, die nötig sind, um ein reformistisches und aufständischenfeindliches Programm zu artikulieren.
Die Mittelschichten haben ihre Universitäten, Wahlen, Unternehmen und andere Institutionen, um ihre Version der Regenbogenkoalition zu entwickeln. Das Proletariat wird aus dem Prozess ausgeschlossen.
Das Schwarze Proletariat kann den Kampf führen und entfachen, wird aber ohne Kompliz_innen im weißen und lateinamerikanischen Proletariat und in den indigenen Nationen keine entscheidenden Schlachten gewinnen. Während es so viele Läden ausräumte, wie es konnte, kämpfte das Schwarze Proletariat zusammen mit anderen Proletarier_innen. Eine Woche lang wurde ein organisches Bündnis aufgebaut, als verschiedene unterdrückte Gruppen Feuer auf die Polizei regnen ließen und Waren über Turtle Island verteilten.
Diese organischen Allianzen führen jedoch nicht automatisch zu dauerhafteren Allianzen. Die gigantischen Ausbrüche von Solidarität in Unruhen und Aufständen neigen dazu, sich bald darauf schnell wieder in antagonistische Beziehungen unter Proletarier_innen zurückzuziehen. Schließlich ist das Teilen eines Augenblicks des Kampfes nicht dasselbe wie das Schmieden von langfristigem Vertrauen und Solidarität. Was ist realer, eine Woche geteilte Einheit oder ein Leben lang proletarischer Konflikt miteinander?
Das Schwarze Proletariat sieht sich der Konkurrenz im Beruf, der Wohnungskonkurrenz und dem Kampf um andere knappe Ressourcen gegen andere Proletarier_innen gegenüber. Die jeweiligen Mittelschichten versprechen, diese Leckerbissen zu sichern, solange Schwarze Proletarier_innen weiterhin Schwarze Politiker_innen wählen, Latinx-Proletarier_innen die Latinx-Politiker_innen wählen, und so weiter. Obwohl diese Logik eine Sackgasse für die proletarische gemischtethnische Solidarität ist, dient sie kurzfristigen Zielen, die für die Besitzlosen oft schwer zu ignorieren sind. Auf diese Weise wird die zerbrechliche Einheit, die in Momenten der Revolte geschmiedet wurde, wieder in die getrennten sozialen Beziehungen des Alltags aufgelöst. Proletarier_innen bauen gelegentlich auf täglicher Ebene Solidarität untereinander auf, aber im Großen und Ganzen fehlen ihnen im ethnischen Kapitalismus die Mechanismen oder Institutionen, um diese Einheit zu entwickeln. Deshalb sind Angriffe auf die Infrastruktur des Kapitalismus so wichtig, und deshalb sind neue Räume der sozialen Reproduktion lebenswichtig.
Nichtsdestotrotz müssen wir darauf wetten, dass der Aufstand das Proletariat verändert hat. Wir müssen daran glauben, dass sich möglicherweise auch die Alltagsbeziehungen zu verändern beginnen. Das ist eine Vermutung und muss im Kampf erprobt werden.
Letztendlich wird eine Art größerer Prozess von Krisen-Krieg, Wirtschaftskrise, Pandemien, ökologischem Kollaps nötig sein, um eine strategische Einheit zwischen den verschiedenen ethnitisierten Gruppen von Proletarier_innen zu erzwingen. Ohne Organisationen zu fetischisieren, werden einige Organisationsformen erforderlich sein, um dieses Bündnis zu kristallisieren und zu konzentrieren. Das Proletariat wird seine eigenen Klassen-Ethnien-Geschlechter-Interessen gegen die Schwarze und weiße Mittelklasse gleichzeitig durch Aktion, Organisation und Programm entwickeln müssen.
Seit der Wirtschaftskrise 2007/2008 ist die ganze Welt in eine Periode des Massenkampfes eingetreten. Es war ungleichmäßig, in einem Moment Griechenland, im nächsten der arabische Frühling, im nächsten Marikana oder Haiti, mit entsprechenden Gegenrevolutionen oder Aufstandsbekämpfungen als Teil des Prozesses. Die George-Floyd-Rebellion ist Teil dieses fortlaufenden Prozesses, um mit der massiven Ungleichheit, der Polizeigewalt und anderen Formen der Unterdrückung umzugehen. Ich habe den Nachdruck auf den Rückzug aus der Niederlage im gegenwärtigen Augenblick gelegt, denn das ist es, was uns unmittelbar bevorsteht. Aber in naher Zukunft wird die Bewegung wieder einmal angreifen, weil es keine andere Wahl geben wird. Die Niederlage ist vorübergehend, der Kampf ist permanent.