Interview mit dem anarchistischen Gefangenen Michael Kimble

Der nachfolgende Beitrag ist eines von 85 Artikeln aus dem Buch Schwarze Saat – Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus.

Anmerkung: Im Buch befinden sich völlig unterschiedliche, und teils widersprechende, Positionen. Es werden hier alle Beiträge veröffentlicht, auch solche, deren Positionen wir nicht teilen.

Im nachfolgenden Interview spricht der Langzeitgefangene über seine Erfahrung in den Kerkern, warum der Staat ihn eingeknastet hat, Gefangenensolidarität, wie er vom Kommunismus zum Anarchismus gekommen ist, über seine Opposition zur Zivilisation und mehr.

INTERVIEW

Interviewer: Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?

Michael: Es gibt nicht viel über mich zu sagen, es gibt nichts Einzigartiges an mir oder meiner Situation. Ich bin ein stolzer Schwarzer schwuler Anarchist, der aufrichtig radikale Veränderungen herbeiführen will, und wenn ich radikal sage, dann meine ich extrem und ich denke, dass nichts extremer sein kann als die totale Zerstörung dieser sozialen Ordnung, des Herrschaftssystems oder wie auch immer du es nennen willst.

Interviewer: Wie war das Leben, als du in Alabama aufgewachsen bist? Mit welchen Hindernissen und Kämpfen hattest du zu kämpfen?

Michael: Mein Leben in Alabama, zumindest die frühen Jahre meines Daseins, war wunderschön. Ich bin in der Schwarzen Gemeinde von Birmingham, Alabama namens Powderly (Westside) geboren und aufgewachsen und es war ländlich, unbefestigte Straßen, Schweine, etc. Als ich etwa 7 Jahre alt war, brannte unser Haus nieder und wir zogen in eine andere Nachbarschaft auf der Westside namens Westend. Es wurde als Mittelklasse-Viertel angesehen. Wir besaßen zwei Häuser in dieser Nachbarschaft. Beide meiner Eltern arbeiteten. Aber da ich noch so jung war, wusste ich nicht, dass meine Eltern Probleme in ihrer Ehe und in finanzieller Hinsicht hatten. Letztendlich ließen sich meine Eltern scheiden und wir verloren die Häuser. Ich, meine Schwester und drei Brüder zogen mit unserer Mutter für etwa drei Jahre in die Southside und dann in die Northside in die Siedlungsprojekte. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich anfing, soziale Probleme zu haben. Ich wurde von den Kindern in den Projekten ausgegrenzt, aber da ich nie ein Weichei war, habe ich nie zugelassen, dass mich jemand verprügelt, ohne zurückzuschlagen. Nachdem die Kinder gelernt hatten, dass ich zurückschlagen würde, wurde ich als Gleichrangiger akzeptiert. Das war mein größtes Hindernis, akzeptiert zu werden oder sich anzupassen. In den Projekten gab es eine Menge schwuler (Drag Queens) Leute in den Familie meiner Gleichrangigen, es war also nichts Ungewöhnliches. Die Sache war, ob man sich wehren würde.

Interviewer: Kannst du ein bisschen darüber sprechen, warum du in den späten 80ern eingesperrt wurdest?

Michael: Ich wurde 1986 für den Mord an einem Weißen eingesperrt, der mir und einem Freund Schaden zufügen wollte. Wir hatten unsere Arme umeinander gelegt und dieser Typ fing an, uns zu verarschen, nannte uns Schwuchteln, Nigger und alle Arten von respektlosen, homofeindlichen und rassistischen Scheiß. Nachdem wir ihn konfrontiert hatten als er uns angriff, zog ich eine Pistole, die ich bei mir hatte und erschoss ihn. Die Medien versuchten, daraus einen rassistisch motivierten Mord zu machen und alles Mögliche. Ich wusste wirklich nichts davon, bis ich die Möglichkeit hatte, meinen Pre-sentence Investigation Report (PSI) einzusehen und das war, nachdem ich schon eine Weile im Gefängnis war. Ich brachte den Fall vor Gericht und erhielt eine lebenslange Haftstrafe und hier bin ich 29 Jahre später, immer noch im Gefängnis wegen eines homofeindlichen Rassisten. Ich bereue es nicht.

Interviewer: Du hast bereits über deine politische Entwicklung im Gefängnis gesprochen — vom Kommunismus zur Anarchie. Kannst du uns erzählen, wie das passiert ist? Gab es Erfahrungen, Ereignisse, Beziehungen oder Schriften, die dich in Richtung antiautoritäres Handeln gedrängt haben?

Michael: Ich wurde in meinen frühen Jahren Kommunist, weil es die Unterdrückung von Schwarzen, Schwulen, armen Menschen und natürlich Gefangenen ansprach und die Idee vertrat, eine Welt frei von diesen Unterdrückungen zu schaffen. Ich wurde Teil des New Afrikan Independence Movement (NAIM), das zu dieser Zeit sehr lautstark war und es schien, als ob alle Kämpfenden der Black Liberation Movement Teil des NAIM waren. Und sie waren in den Gefängnissen aktiv, was die juristische Unterstützung (Klagen, Briefe, Telefonkampagnen, Aufklärung) und die Besuche bei den Gefangenen angeht. Und natürlich nahmen sie auch an kulturellen Programmen in den Gefängnissen hier in Alabama teil. Auch um diese Zeit herum hatten die ABCs [Anarchist Black Cross] begonnen, durch ihre Unterstützung von „politischen Gefangenen/Kriegsgefangenen“ aus den Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte sichtbar zu werden, so dass ich anfing, Literatur und Zeitungen (The Blast, Love & Rage, Bulldozer, Fifth Estate, etc.) zu erhalten und begann, etwas über Anarchismus zu lernen und es fand bei mir Resonanz. Scheiße, ich war gegen Autorität, gegen Unterdrückung und begann die Widersprüche zwischen Staatlichkeit (Regierung) und Freiheit zu sehen. Im Anarchismus ging/geht es darum, all das abzuschaffen und im Jetzt zu verwirklichen und nicht auf die Zukunft zu warten. Und seitdem bin ich ein überzeugter Anarchist.

Interviewer: Hat das Schwulsein einen Einfluss auf deine Fähigkeit, dich zu organisieren und kollektiv im Gefängnis zu kämpfen?

Michael: Ohne Zweifel. Zuerst musst du die Mentalität im Gefängnis verstehen, die nicht viel anders ist als draußen, nur kleiner. Auf der einen Seite gibt es den Glauben, dass schwul sein gleichbedeutend mit Schwäche ist, auf der anderen Seite gibt es Typen, die sich als Macho aufspielen, um sich in einer Welt voller Raubtiere zu verteidigen und/oder Typen, die politisch sind und aus einer religiös-kulturell-nationalistischen Orientierung kommen. Diese letztgenannten Typen sind die, mit denen du am ehesten zu tun haben wirst, wenn du etwas organisierst. Und viele von ihnen sind Gangmitglieder und sind das, was man O.G.s (Original Gangstas) nennt, Gangmitglieder, die nicht mehr so aktiv in der Gangkultur sind wie in ihrer Jugend, aber immer noch eine Verbindung dazu haben und zu denen jüngere Gangmitglieder aufschauen. All die Stigmata von außen werden vergrößert, aber man kann immer noch mit den meisten dieser Typen arbeiten, wenn man sich einen Ruf als jemand aufgebaut hat, der aufsteht und sich von niemandem etwas gefallen lässt, weder von Cops noch von Gefangenen, und der aufrichtig ist in dem, was er sagt, worum es ihm geht. Sie wissen es, sie leben seit Jahren täglich um dich herum. Aber auch hier ist es ein Kampf an sich, den ganzen psychologischen Scheiß zu überwinden, der in den Köpfen dieser Jungs herumschwirrt. Man hat ihnen jahrelang gesagt, dass es nicht in Ordnung ist, schwul zu sein und nicht den traditionellen Geschlechterrollen zu entsprechen. Also stumpft es deine Stimme und deine Bemühungen ab, schwul zu sein. Aber als Anarchist wüte ich weiter, weil ich ein eigenes Interesse daran habe, Unordnung im Inneren zu schaffen und zur totalen Vernichtung der Gefängnisse und des Systems, das sie hervorgebracht hat, beizutragen.

Interviewer: Wie war es, in den 90er Jahren ein revolutionärer Gefangener zu sein, als ein Großteil der antiimperialistischen Bewegung auseinandergefallen war und der anarchistische Kampf erst begann, sich aus seiner jahrzehntelangen Flaute in den USA herauszuziehen?

Michael: Um die Wahrheit zu sagen, war ich so in den Kämpfen in diesen Gefängnissen gefangen, dass ich mich nicht wirklich auf die Geschehnisse draußen konzentrierte. Ich war damit beschäftigt, zu versuchen, im Inneren aufzubauen. Natürlich streckten wir die Hände aus und spürten den Rückgang, aber die Menschen versuchten immer noch, mit uns zu interagieren. Ich habe nicht zu viel von der aufkeimenden anarchistischen Bewegung erwartet, da es offensichtlich war, dass sie in den Kinderschuhen steckte.

Interviewer: Hast du irgendwelche Veränderungen in den Methoden und Formen der anarchistischen Gefängnissolidarität bemerkt, seit du eingesperrt wurdest?

Michael: Meine Erfahrung mit Anarchist*innen draußen war nicht so umfangreich, aber von dem, was ich beobachtet habe, waren anarchistische Gruppen wie die ABCF, die am meisten in der Nähe von Gefängnissen aktiv war, hauptsächlich materielle und emotionale Unterstützung für diejenigen der alten, etablierten Bewegungen, Organisationen der vergangenen Jahrzehnte, die sie als politische Gefangene/Kriegsgefangene klassifizieren. Das hat sich zu einem großen Teil geändert, jetzt hast du Anarchist*innen, die in der materiellen, emotionalen Unterstützung involviert sind, aber auch in Demos, Angriffe gegen Gefängnisse, etc. Das ist etwas, was ich in den 1990er Jahren in den USA nie gesehen habe. Es geht jetzt darum, Kompliz*innen zu werden.

Interviewer: Du hast dich schon früher kritisch über das Konzept des politischen Gefangenen/Kriegsgefangenen geäußert. Kannst du erläutern, warum du dich gegen diese Bezeichnung aussprichst und welche Erfahrungen du mit diesem Konzept und seinen Befürworter*innen gemacht hast?

Michael: Erstens: Das Konzept, das von den meisten Gruppen verwendet wird, basiert auf der Definition der Vereinten Nationen (UN), wer und was ein politischer Gefangener/Kriegsgefangener ist, also habe ich definitiv ein Problem damit. Um genau zu sein, lehne ich es ab. Die UN ist nur eine weitere staatliche Institution, die auf Herrschaft und Kontrolle von Bevölkerungen basiert. Dann ist das Konzept, so wie es praktiziert wird, elitär, diskriminierend und schafft Berühmtheiten und legitimiert eigentlich nur den Staat und sein Rechtssystem. Die USA haben über 2 Millionen in ihren Lagern, aber nur etwa 100 werden von den Gruppen als politische Gefangene/Kriegsgefangene angesehen. Das ist ein Witz. Es übersieht die Männer und Frauen, die in diesen Gefängnissen kämpfen und deswegen leiden. Oh, ich hatte Debatten über all dies mit Anarchist*innen. Es hat unsere Korrespondenz zum Ende gebracht. Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich darüber spreche, genauso wie wenn ich über Religion spreche. Die jüngsten anarchistischen Kämpfe hatten das Gefängnis als einen zentralen Fokus, sowohl wegen der staatlichen Angriffe auf Anarchist*innen als auch wegen der offensiven Aktionen von Anarchist*innen gegen die Gefängnisgesellschaft.

Interviewer: Gibt es Aktionen oder Kämpfe, die für dich in letzter Zeit inspirierend waren?

Michael: Die Unterstützung und Solidarität, die dem Free Alabama Movement (F.A.M.) hier von Anarchist*innen gezeigt und gegeben wurde, die Demos im ganzen Land, die 11.-Juni-Ereignisse, die Solidarität, die ich im letzten Jahr oder so bekommen habe, und die Aktionen, die in Solidarität mit den Gefangenen und gegen die Gefängnisgesellschaft auf der ganzen Welt getragen wurden, die Bannerabwürfe, die wöchentlichen Lärmdemos in Kalifornien am Gefängnis sind alle inspirierend. Ich bin einfach nur froh, wenn ich sehe, dass hier in Alabama solche konstanten Sachen passieren.

Interviewer: Was denkst du über die jüngsten Anti-Polizei-Kämpfe in den USA?

Michael: Ich liebe die Anti-Polizei-Demos und Rebellionen. Ich habe vor ein paar Nächten im Radio gehört, dass in Ferguson zwei Cops erschossen wurden. Ich war so aufgeregt, dass ich in dieser Nacht nicht einmal schlafen gegangen bin. Ich bin froh, dass die jungen, Schwarzen Menschen in Ferguson nicht zugelassen haben, dass diese „Rassenzuhälter“ ihre gerechte Wut und ihren Wunsch zu kämpfen, auslöschen, und den Cops Vergeltung zufügen. Ich denke, dass wir in naher Zukunft mehr von diesen Angriffen sehen werden, denn die Cops hören nicht auf, Schwarze zu ermorden. Welche andere Wahl haben wir, als zurückzuschlagen? Das sind zwei Aktionen der Vergeltung. Die Aktion in New York und die Aktion in Ferguson. Es gibt noch mehr, von denen ich sicher noch nicht gehört habe.

Interviewer: In einigen deiner Schriften drückst du eine Opposition zur Zivilisation aus. Könntest du darüber sprechen und wie sich das von einer Kritik an Staat und Kapital allein unterscheidet?

Michael: Ich denke nicht, dass man eine Kritik an Staat und Kapital von einer Kritik an der Zivilisation trennen kann. Die Zivilisation hat den Staat und das Kapital hervorgebracht, die alle Arten von Unterdrückung mit sich brachten und Werkzeuge, um diese Unterdrückung zu managen, wie Überwachung, Gier, Herrschaft und all die anderen beschissenen Dinge, die die Menschen logischerweise einander und der Umwelt antun. Zivilisation wird vom Kapital mit Fortschritten in der Effizienz und Lebensqualität erklärt, aber bedenke, dass die Lebenserwartung eines Schwarzen Mannes in den USA etwa 25 Jahre beträgt. Es wird erwartet, dass er im Alter von 25 Jahren tot oder im Gefängnis ist. Die Zivilisation hat eine Trennung zwischen den Menschen und der Erde verursacht. Die Zivilisation hat alle Arten von Krankheiten hervorgebracht; Medikamente, die nichts heilen, dich aber dazu bringen, sie zu kaufen, um die Krankheit zu „managen“, ihre Gier zu füttern; Umweltverschmutzung; Patriarchat; Rassismus; Gefängnisse; etc. Die Zivilisation ist die Ursache des Elends, das wir als Unterdrückung bezeichnen und muss abgebaut, rücksichtslos und vollständig zerstört werden.

Interviewer: Wie können Anarchist*innen stärkere Beziehungen zu Gefährt*innen im Inneren der Gefängnisse aufbauen?

Michael: Durch Interaktion, Zuhören, Kompliz*innen werden, Gefangene als Gleiche behandeln und die Situation der Gefangenen nicht romantisieren. Es ist nichts Nobles daran, im Gefängnis zu sein. Nur revolutionäre Solidarität zu zeigen und alles, was das mit sich bringt. Ich sage das immer wieder und werde es auch weiterhin tun: Die Leute müssen sich Os Cangaceiros anschauen, du weißt schon, die Gruppe in Frankreich während der 70er, 80er und 90er Jahre, um zu sehen, wie eine Form der Solidarität aussieht.

Interviewer: Was würdest du gerne vom anarchistischen Kampf in den USA in den nächsten Jahren sehen?

Michael: Ich würde gerne sehen, dass Anarchist*innen aktiver werden, indem sie echte Kompliz*innenschaft und Freundschaften mit denen von uns drinnen aufbauen und mehr Angriffe gegen Gefängnisse, Firmen und Institutionen unternehmen, und so die Menschen, die entführt und in Gefängnissen gehalten unterstützen. Außerdem denke ich, dass es für Anarchist*innen an der Zeit ist, etwas für die Anarchist*innen aufzubauen, die die Gefängnisse durch Bewährung, End of Sentence (E.O.S.) oder anderweitig verlassen. Einige von uns werden nach ihrer Entlassung eine Unterkunft, Kleidung, etc. brauchen. Du weißt schon, etwas, wo wir uns einklinken können. Meistens müssen wir uns bei einem Resozialisierungszentrum bewerben und das ist ein ganz neues Problem, denn alle, die ich kenne, sind religiös orientiert und verlangen, dass man an religiösem Scheiß teilnimmt.

Interviewer: Die Kämpfe in den Gefängnissen von Alabama werden immer härter. Was ist dort aktuell los?

Michael: Nun, wir hatten gerade einen nationalen Aufruf für die Verteilung von Kondomen, da Geschlechtskrankheiten ein großes Problem unter den Gefangenen zu sein scheinen. Dann, am 1. März 2015, rief die F.A.M. zu einem Arbeitsstreik (Shutdown) auf. Er dauerte 3 Tage. Ich bin ziemlich sauer darüber. Warum nur 3 Tage? Es sollte doch auf unbestimmte Zeit sein. Ich habe am 2. März einen Hungerstreik begonnen, um meine Solidarität zu zeigen und habe erst am 9. oder 10. März erfahren, dass er vorbei ist. Die Erklärung, die ich für die Kürze des Streiks bekomme, ist, dass dies ein Testlauf war, um den Leuten zu zeigen, was sie erwarten können. Scheiße, wir (Holman und St. Clair) hatten gerade erst einen Shutdown im Januar 2014 und der dauerte 15 Tage, also wissen die Leute, was sie zu erwarten haben. Aber nochmal, ich war nicht dabei, also weiß ich es nicht, aber ich vermute, dass einige „vernünftige“ und „verantwortungsbewusste“ Gefangene den Rebell*innen „Vernunft“ eingeredet und sie erdrückt haben.

Hier in Holman in der Lockup Unit protestieren die Jungs dagegen, dass die warmen Mahlzeiten durch Lunchpakete ersetzt werden, wenn man seinen Essensschlitz offen hat. Also, es wurde viel Urin und Kot geworfen und Feuer angezündet. Die Cops haben sich vorerst zurückgehalten, aber wir warten ab, was als nächstes kommt. Ich habe meinen Hungerstreik beendet.

Interviewer: Gibt es noch etwas anderes?

Michael: Ja, ich denke, je mehr Kämpfe wir draußen sehen, desto mehr wird die Scheiße drinnen losgehen. Anarchist*innen müssen darauf vorbereitet sein und darüber nachdenken, was sie bereit sind, zur Zerstörung des Staates beizutragen, indem sie die Gefängnisse angreifen. Lass mich auf die zweite Frage zurückkommen, die du gestellt hast. Versteh mich nicht falsch, es gab schwere Ungerechtigkeiten, die mir zugefügt wurden, als ich in Alabama aufwuchs. Es gab bestimmte Abschnitte, durch die ich nicht gehen wollte, weil ich höchstwahrscheinlich verhaftet werden würde, einfach weil ich ein Schwarzer bin. Sogar in den 1980er Jahren gab es Straßen mit Geschäften, die immer noch „Whites Only“-Schilder in den Schaufenstern hatten. Aber ich fühlte mich sicher in meinem Viertel. Außerdem hatte ich wirklich keinen Grund, an diese Orte zu gehen, die People of Color gegenüber feindlich eingestellt waren. Aber weißt du was, als ich 12 oder 13 Jahre alt war, sind wir Kinder mit dem Fahrrad durch diese rassistischen Viertel gefahren und nicht einer dieser Fanatiker*innen hat etwas gesagt. Oh ja, sie haben uns böse Blicke zugeworfen, aber das war uns scheißegal. Wir waren knallharte Kerle und haben im Grunde genommen alles gemacht.

Nun, schwul zu sein war etwas anderes. Ich wurde durch Spott von Freund*innen und Familie verarscht, aber es war nicht so wie bei Racefeindlichkeit. Obwohl es von den Leuten in meiner Hood akzeptiert wurde, schwul zu sein, war es direkt nebenan in den anderen Hoods anders. Die Leute machten sich lustig, schikanierten und verprügelten sogar diejenigen, die sie als schwul ansahen. Ich wurde mit vielen Namen beschimpft und hatte eine Menge Kämpfe, als ich aufwuchs. Aber weißt du, ich wurde so jung eingesperrt und das war nicht mein erstes Mal, dass ich eingesperrt wurde. Ich war schon eine ganze Weile durch das Jugendstrafsystem gegangen. So wurde ich vor einer Menge Zeug auf der Straße bewahrt. Ja, der Knast hat mich vor den Straßen bewahrt, aber nicht vor dem ganzen Scheiß, der gegen Schwule läuft, während sie eingesperrt sind. Ich war nie Zeuge einer Vergewaltigung, aber ich habe Grausamkeiten erlebt. Weißt du, als Kinder suchen wir nach allen möglichen Gründen, um andere Kinder runterzumachen. Wir suchen nach Unterschieden und zusammen mit den Vorurteilen, die uns die Gesellschaft in den Kopf gesetzt hat, ist es nicht schwer für uns, diese zu finden. Diese Welt ist so kaputt, dass sie, wenn sie es nicht versteht, es nicht kontrollieren kann, versucht, es zu zerstören. Und das wird den Kindern zu Hause beigebracht, in der Kirche, in der Schule, einfach überall, wo sie sich hinwenden. Kein Wunder, dass die Selbstmordrate bei Teenager*innen so hoch ist.