Amsterdam: Bericht von der Hausbesetzungsaktion am 8. März

Übersetzung des Berichts auf squat.net

Zu Ehren des 8. März, haben wir, die Anarcha-Feministische Gruppe Amsterdam, eine Hausbesetzungsaktion organisiert. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde sie im Stillen organisiert und der Aufruf auf privaten Kanälen geteilt. Trotzdem kamen mehr als 60 Gefährt:innen, um unsere Aktion zu unterstützen! Drei Transparente („Woman life freedom“, „Sex work is work“, „destroy patriarchy, fight capitalism, smash the state“) hingen aus den Fenstern des besetzten Gebäudes. Die Polizei war anwesend, aber es wurde niemand verhaftet.

Unser politisches Statement:

Uns wird gesagt, dass es nicht genug Häuser für alle gibt, dass es nicht genug Platz für die Geflüchteten und Migrant:innen gibt, die hierher kommen und vor imperialistischen Kriegen und vom (Neo)Kolonialismus zerstörten Ökonomien fliehen. Es ist inakzeptabel, dass die Medien der Migration die Schuld dafür geben, dass wir alle zu kämpfen scheinen, ein Zuhause zu finden. Dies ist ein Beispiel dafür, Migrant:innen und Geflüchtete zum Sündenbock zu machen.
Es gibt kein Problem des Platzmangels, es gibt keine „Wohnungskrise“, das einzige Problem ist die ungleiche Verteilung des Reichtums. Das Problem ist der Kapitalismus.

Wir werden durch steigende Mietpreise und Gentrifizierung aus unserer Stadt verdrängt. Sozialwohnungen werden privat verkauft und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bedeutet, dass Menschen aus der Arbeiterklasse gezwungen sind, die Stadt zu verlassen. Sogar Menschen mit essentiellen Berufen wie Lehrkräfte, Gesundheits- und Sozialarbeiter:innen sind gezwungen, umzuziehen. Die Menschen kämpfen, um die Miete zu bezahlen, während Spekulant:innen freie Hand haben, um zu tun, was sie wollen. Einige private Investor:innen haben Hunderte von Häusern, zum Beispiel hat Prinz Bernhard mehr als 600 Häuser, und der Besitzer dieses Gebäudes, Anthonie Mans, besitzt über 100 weitere Immobilien in den Niederlanden. Die Wartelisten für Sozialwohnungen sind lächerlich und es kann zwischen 8 und 14 Jahren dauern, bis die Menschen einen Platz bekommen. Aber für jeden Obdachlosen gibt es schätzungsweise 750m2 leere Gebäude in Amsterdam.

Miete ist Diebstahl. Die Instandhaltung eines Zimmers kostet nicht hunderte von Euro pro Monat. Dieses Geld geht direkt in die Taschen der Vermieter:innen oder Spekulant:innen. Das Wohnungsproblem betrifft überproportional Frauen und queere Menschen. Queere Teenager:innen werden zum Beispiel häufiger obdachlos. Menschen, die häusliche Gewalt erleben, sind manchmal gezwungen, in unsicheren Situationen zu bleiben, weil sie es sich finanziell nicht leisten können, diese zu verlassen. Vermieter:innen diskriminieren oft potentielle Mieter:innen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Einkommens, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität und ihrer Fähigkeiten. Sie sind dafür bekannt, dass sie oft einschüchternd und unverschämt sind und sich berechtigt fühlen, uns zu sagen, wie wir unser Privatleben leben sollen.

Seit das Hausbesetzungsverbot in Kraft getreten ist, hat sich die Obdachlosigkeit verdoppelt. Doch viel zu oft gab es eine unangenehm enge Beziehung zwischen Hausbesetzungen und Gentrifizierung, und nirgendwo klingt das so wahr wie in Amsterdam. Hausbesetzungen sind historisch gesehen eine Bewegung gegen die Gentrifizierung, die Erpressung von Mieten und eine Ablehnung der Institution des Privateigentums – aber in den letzten Jahren haben einige Hausbesetzenden die Gentrifizierung aktiv vorangetrieben, anstatt sie zu bekämpfen. Sie arbeiten mit dem Staat zusammen, um die wenigen „Freiräume“ und legalisierten Hausbesetzungen, die noch übrig sind, zu erhalten (oft ohne Erfolg). Wir lehnen diese Position und Strategie ab. Wir wollen Wohnraum für alle, nicht nur für eine ausgewählte Gruppe von „Künstler:innen und Freidenker:innen“. Wir müssen mit unseren Unterdrückenden aus einer Position der Macht heraus sprechen, nicht sie anflehen, uns ein paar Krümel zuzuwerfen. Die Stadt gehört allen, die in ihr leben, und es ist Zeit, dass wir sie uns zurückholen.

Sexarbeiter:innen wird gesagt, dass sie nicht arbeiten dürfen, während andere Kontaktberufe es dürfen – das trägt nur zur weiteren Stigmatisierung von Sexarbeit bei. Die Regierung schließt Bordellfenster in Amsterdam, weil sie angeblich Sexarbeiter:innen vor dem Menschenhandel retten und die Kriminalität eindämmen will. Es gibt keine empirischen Beweise dafür, dass das Schließen von Fenstern dabei helfen würde. Jemandem den Arbeitsplatz wegzunehmen, wird ihre Situation wahrscheinlich nur noch prekärer und gefährlicher machen. Sexarbeiter:innen aus dem Stadtzentrum in ein weniger reiches Viertel zu verlegen, um „Störung“ aus dem reichen Viertel zu entfernen, fällt in ein strukturelles Muster der Stigmatisierung von Sexarbeit und der Stigmatisierung der Arbeiterklasse. Wenn sich der Staat wirklich um Sexarbeiter:innen kümmern würde, anstatt uns zu schikanieren, würden sie uns während dieser Pandemie materiell unterstützen oder uns erlauben zu arbeiten. Sexarbeit ist Arbeit. Für die Rechte der Arbeiter:innen zu kämpfen, bedeutet auch für die Rechte der Sexarbeiter:innen zu kämpfen.

Die Geschichte des 8. März ist sehr radikal und inspirierend. Er war sogar der Startpunkt der russischen Revolution! Aber was ist mit dem 8. März und dem Feminismus im Allgemeinen passiert? Der Kapitalismus. Da die moderne Wirtschaft gelernt hat, den Protest zu kommerzialisieren und daraus Profit zu schlagen, war der Feminismus keine Ausnahme. Wenn Menschen das Wort Feminismus hören, denken sie daher nicht immer an radikalen, intersektionalen und antikapitalistischen Feminismus. Sie denken an eine Art von Feminismus, der sagt, dass es „mehr weibliche Politikerinnen“, „mehr Girl Bosses“ geben sollte. Das nennt sich „liberaler Feminismus“, aber es ist eher wie eine akribisch ausgearbeitete Werbekampagne. Der liberale „Feminismus“ kümmert sich nicht wirklich um gesellschaftlich unterdrückte Gruppen, selbst wenn es Frauen sind. Er weigert sich, die Wurzel der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu sehen, er versucht, fair zu sein, bleibt aber auf halbem Weg stehen. Der liberale Feminismus verkennt die Beziehung zwischen Kapitalismus und Patriarchat. Aber wenn wir das Patriarchat bekämpfen, sollten wir den Kapitalismus bekämpfen und umgekehrt. Während Frauen zur Arbeit gehen müssen, müssen sie, wenn sie nach Hause kommen, noch Hausarbeiten erledigen und emotionale Unterstützung leisten, das ist auch Arbeit, aber Arbeit, die unterbewertet und unbezahlt ist.

Anstatt das Problem zu bekämpfen, welches der Kapitalismus ist, lässt der liberale Feminismus die Menschen um Wege kämpfen, mit ihm zu koexistieren. Eine solche Ideologie malt die intersektionale feministische Bewegung als „verrückte Männerhasser:innen“. Mit Hilfe des Kapitals kaufen sie deine Aufmerksamkeit von den Bildschirmen deiner Laptops/Fernseher/Telefone mit „feel good girl power“-Filmen, -Songs etc. Sie verkaufen dir schöne Kleidung mit „feel good girl power“-Slogans. Sie geben dir einen Rabatt beim Kauf von Kosmetika zu Ehren des 8. März, dem „Tag der starken Frauen“. Auf diese Weise löschen sie die Geschichte und die Bedeutung eines so unglaublich wichtigen Tages für alle Frauen aus.
Der 8. März ist der Tag, an dem wir uns an den Kampf der Frauen erinnern, die vor uns kamen! Es ist der Tag, um Solidarität mit den Frauen zu zeigen, die heute kämpfen! Es ist der Tag, an dem wir unseren Kampf gegen den Kapitalismus feiern und dieses verdammte Patriarchat zerschlagen! Solange die 1% die Welt regieren, selbst wenn die Hälfte von ihnen Frauen sind, wird das Leben der 99% nicht besser sein!

Als Fem-Leute wird uns oft gesagt, dass wir nicht zu viel Raum einnehmen sollen. Wir sind gesellschaftlich konditioniert, unseren Mund und unsere Beine geschlossen zu halten. Wir sollen nicht zu groß träumen oder zu laut atmen. Aber wir werden erdrosselt und es wird von uns erwartet, dass wir lächeln. Es gibt keinen Raum, der unter diesem patriarchalen kapitalistischen System sicher ist. Solidarität ist die einzige Lösung. Stehe denen bei, die gegen ihre eigene Unterdrückung kämpfen, ihr Kampf ist dein Kampf, ihr Kampf ist unser Kampf. Wir sind nicht frei, bis alle frei sind. Wir werden nicht zulassen, dass wir der Kollateralschaden dieser Krise sind. Wir werden nicht zulassen, dass wir aus dieser Stadt vertrieben werden! Es ist an der Zeit, den Raum zurückzuerobern!

Als Feminist:innen wissen wir, dass Kampf Arbeit bedeutet und dass er Liebe beinhaltet. Wir stehen in Solidarität mit den kurdischen Frauen, die vom türkischen Staat inhaftiert wurden, die in den Bergen Kurdistans kämpfen und die in allen vier Teilen Kurdistans neue Lebensformen in der Gesellschaft aufbauen.
Wir stehen in Solidarität mit Angel, der geflüchteten Frau, die in die Niederlande kam, um Sicherheit zu finden, aber durch das niederländische Einwanderungssystem ermordet wurde. Sie war eine politische Kämpferin! Sie war eine trans Frau! Wir stehen in Solidarität mit ihr und allen Migrant:innen!

Es gibt keinen Raum, der unter diesem patriarchalen kapitalistischen System sicher ist, also müssen wir uns wehren.
Genug ist genug! Wir müssen den Raum zurückerobern!

Anarcha-Feministische Gruppe Amsterdam